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von ratz

Vor 25 Jahren: Kieslowskis spätes internationales Debüt

Stichwörter: 1990er Europa Frankreich Jacob Jubiläum Kieslowski Klassiker Liebesfilm Polen Preisner Spielfilm

La double vie de Véronique (1991)

Es waren einige der bekanntesten polnischen Regisseure, die schon zu Zeiten des Eisernen Vorhangs im Westen arbeiteten oder Polen sogar verließen: Roman Polanski, Jerzy Skolimowski, Walerian Borowczyk oder Andrzej Wajda sind namhafte Vertreter für diesen erfolgreichen "Kulturexport". Krzystof Kieslowski, der jüngste in dieser illustren Reihe, tat dagegen den Schritt in den Westen erst nach dem Ende des kalten Krieges und drehte seine letzten vier Filme als polnisch-französische Koproduktionen. "Die zwei Leben der Veronika", der am 15. Mai 1991 in Cannes Premiere feierte und in der Folge mit vielen Preisen bedacht wurde, machte den bereits 50-jährigen Regisseur mit einem Schlag international berühmt und ist die vielleicht deutlichste poetische Formulierung dieser spezifischen, asymmetrischen Ost-West-Sehnsucht, der Verknüpfung von zwei verschiedenen und doch verwandten Kulturen in einem ideologisch und geografisch geteilten Europa.

"Die zwei Leben der Veronika" macht dabei nie einen Hehl aus seiner Poetizität und beinahe plakativen symbolischen Anlage, die auf mehreren Ebenen gelesen werden kann: Die Konstellation von zwei jungen Frauen, die in zwei Ländern zur gleichen Zeit leben, sich äußerlich einander zum Verwechseln ähneln und den gleichen Namen tragen (Véronique in Frankreich, Weronika in Polen), lädt zur ausführlichen Interpretation ein. So kann man in der Entwicklung von Véronique ein klassisches Coming-of-Age-Drama sehen, in dem die Heldin lernt, mit Verlust, Tod und Liebe umzugehen (ihre Beziehungen zu Männern als Vater bzw. Liebhaber sind für beide Inkarnationen essentiell), oder man begreift den Tod von Weronika und ihr Weiterleben in Véronique als Gleichnis für die Verhältnisse zwischen Ost- und Westeuropa bzw. Polen und Frankreich, und auch aus dieser Perspektive ergeben sich mehrere Deutungsmöglichkeiten. Kieslowski – der ebenso viele Dokumentar- wie Spielfilme gedreht hat – und sein Koautor Krzystof Piesiewicz verlassen dabei die Pfade des bloß abbildenden Realismus, lassen viel Raum für das Unerklärte, Halb-Bewußte, Magische und die emotionale Innenwelt seiner zwei Heldinnen (die vielleicht auch eine Person sind). Kieslowski taucht seine Bilder in satte gold-grüne Farben, spielt mit der Symbolik des Blicks durch Glaskugeln und Fensterscheiben und wird von der hymnischen, stark leitmotivischen Musik Zbigniew Preisners unterstützt. Schließlich kann sich dem frischen, offenen und sinnlichen Spiel von Irène Jacob wohl niemand entziehen, die die Gefühlswelt von Véronique/Weronika von Euphorie über Nachdenklichkeit bis hin zur Melancholie mit authentischer Natürlichkeit abdeckt.

Kieslowski sollte seine Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen zwei Kultursphären in der Drei-Farben-Trilogie (1993/94) fortführen, bevor er gerade einmal 54-jährig starb und damit in vier Filmen seine gesamteuropäische Vision als Testament hinterließ. "Die zwei Leben der Veronika" ist auf DVD in guter Ausstattung von Concorde erhältlich (Fassungseintrag von Intergalactic Ape-Man), in den USA und in Großbritannien von verschiedenen Anbietern auch auf Blu-ray.


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