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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Kleine Kurzfilm-Klassiker zwischen Animations- und Realfilm.

Stichwörter: 1970er Animationsfilm Avantgarde Bokanowski Frankreich Horror Japan Kawamoto Khrzhanovskiy Kurzfilm Literaturverfilmung Phantastik Russland Sowjetunion Zeichentrick

La femme qui se poudre (1972) & Babochka (1972) & Oni (1972)

Zum 2011 erdachten jour le plus court am 21. Dezember, der hierzulande seit 2012 am gleichen Datum, dem wintersonnenwendebedingt kürzesten Tag des Jahres, als Kurzfilmtag von geneigten Kinos und Cineasten begangen wird, seien drei kleine Klassiker des Kurzfilms in Erinnerung gerufen, die 1972 ihre Uraufführung erlebten: so "La femme qui se poudre", die erste Regiearbeit des Avantgardefilmers mit Faible für Animationsfilmtechniken, Patrick Bokanowski... Der Pointillist Georges Seurat malte eine Gemälde mit ähnlichem Titel, "Jeune femme se poudrant": die (attraktive) Frau, die sich am Schminktisch aufhübscht, ist ein so populäres wie beliebtes Motiv; 1972, als die Frauenbewegung längst allerorten wirkmächtig eingesetzt hat, widmete Bokanowski dem Motiv seinen ersten Kurzfilm, in dem er naheliegende Erwartungen nicht zu befriedigen dachte, sondern eine Alptraumvariante des Schönheits- und Jugendkults, der vor allem die Frau betraf, ins Zentrum rückte. Die Handlung, wenn man überhaupt von einer solchen sprechen will, gibt sich kryptisch; wie eine Sphinx, die einmal zu sehen ist. Die teils hochgradig experimentellen Bilder, in denen das Filmmaterial selbst teils zerkratzt wurde (worin sich das Interesse des Regisseurs an der Animations bereits zeigt), zeigen zu dissonannten, grummelnden, dröhnenden Klängen mit grotesk maskierten Figuren Szenen des Umwerbens, Nichtbeachtens, der Verschmutzung und des Übergriffes, der Erinnerungen an die nächtliche Verschleppung in "Das Cabinet des Dr. Caligari" (1920) auslöst. Vom expressionistischen Stummfilm, der frühen Avantgarde und dem Underground der 60er Jahre stammen die visuellen Eindrücke dieser beunruhigenden Monstrosität, die wie eine Vorstufe zu späteren Filmen von Guy Maddin und E. Elias Merhige wirken.
Ist Bokanowskis Film eher ein Werk über Abwesenheit und Unerreichbarkeit des Ersehnten, gibt sich "Babochka" des bereits erfahrenen Animationsfilmers Andrey Khrzhanovskiy optimistischer: aus grüner, bunter Natur dringt ein Schmetterling in die grauen, monotonen Fassaden der Großstadt ein, in der ein Junge bloß vom bunten Geflimmer seiner Spielzeuge unterhalten wird. Dem Schmetterling wird er folgen: erst mit Netz und Glas, dann aber auch in Gedanken durch bunte, erfüllende Traumwelten. Der Schmetterling, selbst ein Symbol der Verwandlung, verhilft dem Stadtkind zum Ausbruch aus der Monotonie in Natur und Fantasie. Wie immer man sich zum Gehalt des Films positionieren will, der das neueste elektronische Spielzeug der Jugend verteufelt: die Animationen, die zunehmend ins Abstrakte vordringen, zählen zumindest zu den Höhepunkten des Animationsfilms.
"Oni" vom Jiří-Trnka-geschulten Kihachirô Kawamoto – als dessen erstes Meisterwerk dieser Kurzfilm mitunter gehandelt wird – dreht sich ebenfalls um eine Verwandlung, wobei er selbst als Puppentrickfilm an einer Grenze zwischen Real- und Animationsfilm arbeitet. Die Verhandlung orientiert sich in diesem Fall an einer alten japanischen Sage: vergleichbar den Tiermenschen-Stoffen in aller Welt, auch wenn hier eine Doppelexistenz als Mensch und Dämon (und nicht als Wolf, Füchsin, Bär usw.) geführt wird. In der Schwärze der Nacht entfaltet sich die kurze Story vor monoton schwarzen Hintergründen, derweil abstrahierte Kulissen eher als Akzente in Erscheinung treten. Durch dieses Setting bewegen sich die Figuren, deren nur rudimentär eingesetzte Mimik dazu beiträgt, in ihnen keine Individuen zu sehen: Es sind bloße Figuren, minimalistische Bebilderungen einer Geschichte, deren Kern transportiert werden soll. Dem Sagencharakter kommt das sehr entgegen, was auch für den aus statischen, vor der Kamera vorbeiziehenden Zeichnungen gilt sowie für die Shamisen-Klänge von Seiji Tsuruzawa, die diesem dialoglosen Werk unterlegt sind.


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