Satisfaction (1968)
Am 7. Juni 1968 hatte es der Wiener Aktionismus endlich geschafft: Nach immer extremeren Happenings, die gerade bei Günter Brus zunehmend mit Selbstverletzungen einhergingen, erzielte man an diesem Datum den ultimativen Tabubruch und erhielt ein gewaltiges Medienecho, das noch ein gerichtliches Nachspiel mit sich brachte. In der Universität Wien führten Brus, Otto Muehl, Peter Weibel und Oswald Wiener ihre Performance Kunst und Revolution vor, bei welcher man vor Publikum urinierte, defäkierte, onanierte, erbrach, peitschte, blutete und auf der Nationalflagge die Bundeshymne sang. (Ernst Schmidt jr. drehte darüber und über die folgenden Reaktionen den seiner eigenen Auskunft zufolge unvollendet gebliebenen Dokumentarfilm "Kunst & Revolution" (1968).) Als "Uni-Ferkelei" verschrieen, kam es bald darauf zur Anklage wegen einer Herabwürdigung österreichischer Staatssymbole.
Das Happening ist eine ausgesprochene offene Kunstform, die ihren Weg weniger in die Museen finden wollte, sondern im Akt der Ausführung selbst ihre Wirkung entfaltet. Aber beachtlicher als die Befreiung von den unterdrückenden Tabus während des Happenings war die Gewalt, die man anschließend erntete: mehrmonatige Untersuchungshaft, Haftstrafen-Urteile, Unterschriftensammlungen zur Entziehung des Sorgerechts, Schmähungen... selbst ein Heinrich Gross, zur Nazi-Zeit emsig am Tüfteln an der Euthanasie, wurde bemüht, um psychiatrische Gutachten erstellen zu lassen. Man musste bloß ungeniert & vulgär gegen die Prüderie, die rigide Sexualmoral und den Nationalstolz rebellieren, damit Staat und gute öffentliche Meinung mit geballter Macht zurückschlugen und nicht davor zurückschreckten, zu den Akteuren aus dem Nationalsozialismus zurückzugreifen.
Das machte den Wiener Aktionismus mit seinen - vielfach auf Film gebannten - Aktionen zu einem idealen Ausdruck einer radikalen Sehnsucht nach Freiheit: Dusan Makavejevs "Sweet Movie" (1974), in welchem später Otto Mühl mit seiner Therapie-Kommune tobte, ist dafür ein signifikantes Beispiel. Und auch die 1968 entstandenen Filme der Wiener Aktionisten erlauben sich Freiheiten, gegen die etwa der im Februar 1968 auf die Leinwände geratene Oswald-Kolle-Film "Das Wunder der Liebe" (1968) geradezu bieder wirkt. (Wobei es im filmischen Schaffen der Wiener Aktionisten zwischen Anfang der 60er und Anfang der 70er Jahre eine fließende Entwicklung gibt: 1968 brachte keinen Einschnitt im Filmschaffen mit sich; es war bloß das Jahr, in welchem die "Uni-Ferkelei" den Diskurs verschärfte.)
"Satisfaction" ist einer dieser Happening-Filme: Ersonnen von Günter Brus, Otto Muehl und Rudolf Schwarzkogler, gefilmt von Kurt Kren, den filmaffinsten Wiener Aktionisten, der als Cutter zum Entsetzen mancher Aktionisten wie Brus bereits so manches Happening in überwältigendes Schnittgewitter überführte. In "Satisfaction" ordnet sich hingegen alles der Performance unter, derweil - wie so oft bei Muehl in seiner von Warhol inspirierten Phase - die Kamera statisch bleibt und der Schnitt lange, sehr lange hinausgezögert wird; Schmidt jr. sprach angesichts des Films von "stillebenartig[en] Kot- und Penisaktionen": Hier gibt es ungenierte Nacktheit, Defäkation (vor den Augen einer neugierigen Katze) und eine Frau, die sich nebenbei mit einem Kleinkind beschäftigt, onaniert mit ihrer freien Hand an einem Mann (dessen Penis kurz darauf mit einem Milchabpumpgerät bearbeitet wird - eines von mehreren Geräten in diesem Kurzfilm). Was heute wieder ganz besonders anrüchig wirken mag, etablierte sich damals gerade als Natürlichkeit: noch 1976 konnte Gerard Depardieu mit Kleinkind auf dem Arm seinen steifen Penis vor der Kamera massieren (in "La dernière femme"). Zugleich deutete sich in solchen Szenen aber bereits an, wie (allzu) unreflektiert der Aktionismus Natürlichkeit, Sexualität und Tabubruch dachte: Otto Mühl hat sich später im Rahmen seiner Kommune (und wohl auch im Rahmen eines Geniekults) an Kindern und Jugendlichen vergangen - und abgesehen davon, hat auch der Kampf gegen die Tabus ganz eigene, restriktive Tabus mit sich gebracht.
"Satisfaction", dessen Titel den Rolling Stones-Song in Erinnerung rufen mag, ist von diesen späteren, indiskutablen Entgleisungen Muehls aber noch weitgehend frei geblieben: Hier wird anhand der Eckpunkte Lust, Tabu, Mensch und Maschine zur Identitätsfindung und Selbstbestimmung eingeladen. Und selbst in Zeiten der Massenpornografie hat sich "Satisfaction" noch ein Fünkchen Aktualität bewahren können.
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