Morte a Venezia (1971)
Mit einer Überfahrt beginnt "Morte a Venezia": aus dem Dunkeln hinein ins Taghelle – und dennoch eine Überfahrt wie in mythischen Schilderungen des Hinübergehens ins Jenseitige. Gustav von Aschenbach, die von Dirk Bogarde gespielte Hauptfigur, wird sterben. Das steht von Anfang an fest, auch wenn die Figur noch nichts davon ahnt. Was hat man Viscontis am 1. März 1971 uraufgeführten "Morte a Venezia" nicht alles vorgeworfen? Kein Vergleich zum komplexeren Roman sei der oberflächliche Film, der Manns Tiefe vermissen lasse... Heute ist der Film – wie die gesamte Deutsche Trilogie des italienischen Aristokraten und Neorealismus-(Mit-)Begründers – weitestgehend rehabilitiert. Nein, Viscontis Film setzt die kunstphilosophischen, ästhetischen Bezugnahmen auf Platons "Phaidros" oder das Apollinische und das Dionysische nicht adäquat um, aber darum scheint es – guckt man den Film ohne Thomas-Mann-Scheuklappen – auch nicht zu gehen. Viscontis Deutsche Trilogie ist vom Aufstieg der Faschisten in "La caduta degli dei" (1969) bis hin zu Wahnsinn und Tod des Bayernkönigs in "Ludwig" (1972) vom Untergang gezeichnet, ein Todestrieb scheint seit ausgehender Spätromantik zwischen Dekadenz und Größenwahn zu wüten. Wie treffend diese Studie deutscher Befindlichkeit war und ob sie rein auf die Vergangenheit zielte, sei dahingestellt: mit dieser (höchst ambivalent einstufbaren) Linie von der Spätromantik zum Zweiten Weltkrieg bediente Visconti zumindest einen populären Diskurs... und als Hans Jürgen Syberberg in seinem berüchtigten, strittigen Hitler-Film "Hitler - Ein Film aus Deutschland" (1977) diese Linie zentral behandelte, da war das der Abschluss einer ganz eigenen Deutschen Trilogie, die (unter anderem) deutlich auf Visconti Bezug nahm. (Und schon der erste Teil, "Ludwig - Requiem für einen jungfräulichen König" (1972), verhandelte ebendiese Linie bereits...)
Jedenfalls lässt sich konstatieren, dass "Morte a Venezia" vor allem ein Film über den Untergang ist. Wenn Gustav von Aschenbach in Rückblenden seine Diskurse über das Schöne Revue passieren lässt, dann sind das in der Tat bloße flüchtige Einsprengsel... Passend, da doch von Aschenbach immer weniger Interesse an den einst von ihm propagierten "geistigen Akten" hat und sich stattdessen – bereits vom Alter sowie (subtiler) von persönlichen Verlusten gezeichnet – müde dem Sinnlichen zuwendet. Das ist vor allem der junge, engelsgleiche Tadzio (Björn Andrésen), der immer wieder von Aschenbachs Blicke fesseln wird. Derweil um beide herum eine Cholera-Epidemie in diesem Venedig wütet, das Visconti zwischen Jugendstil-Anleihen und Mahler-Klängen audio-visuell betörend in Szene zu setzen weiß. (Mahler-Klänge deshalb, weil Mahler schob bei Mann Inspirationsquelle für den im Roman noch schriftstellernden, bei Visconti komponierenden Gustav von Aschenbach war. Ken Russell wählte wenig später seinerseits Viscontis Film als Bezugspunkt für seinen Porträtfilm "Mahler" (1974).)
Visconti, dessen Tod sich am 17. März zum 45. Mal jährt, hatte fünf Jahre zuvor ein Spät- und Alterswerk geschaffen, das – erfüllt auch von proustschen Einflüssen zuhauf – auf das Sterben einstimmt: die äußeren Ereignisse, die einstigen Debatten sind kaum noch von belang für diesen von Aschenbach, der sich zwischen Nostalgie, leiser Melancholie, Ratlosigkeit und Verzweiflung und der Lust am Schönen treiben lässt (wenngleich er Tadzios Familie durchaus noch vor der Epidemie warnt)... so wie auch die langen Einstellungen von Pasqualino De Santis treiben in diesem späten Meisterstück der italienischen Regielegende... Bis dann auch ihn, Gustav von Aschenbach, die Cholera holt; am Strand, derweil der junge Tadzio wie ein Adonis in das Meer hineinschreitet...
Unterschiedlich wertschätzende, aber jeweils lesenswerte Besprechungen liefern Bretzelburger (Review) und Discostu (Review)...
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