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von ratz

Vor 50 Jahren: Jirí Menzels Stalinismuskritik landet im Giftschrank

Stichwörter: 1960er 1990er Brodský Hrabal Jubiläum Klassiker Komödie Literaturverfilmung Menzel Neckár Nová-vlna Spielfilm Stalinismus Tschechoslowakei Zelenohorská Zensur

Skrivánci na niti (1969)

Man muß längst nicht alle Filme der Neuen Welle in der Tschechoslowakei gesehen haben, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie begrenzt der Kreis der signifikanten Filmschaffenden war, der sich hauptsächlich aus Studenten der Prager Filmhochschule FAMU rekrutierte. Jirí Menzel war fraglos einer der Hauptakteure, hatte er doch mit „Liebe nach Fahrplan“ (1966, Anniversary-Text) ein international beachtetes Spielfilmdebut vorgelegt. Der Erfolg für den 1969 abgedrehten „Skrivánci na niti“ sollte Menzel allerdings lange verwehrt bleiben, denn durch die Niederschlagung des Prager Frühlings lag der Film über 20 Jahre auf Eis und konnte erst 1990 uraufgeführt werden.

Daß „Skrivánci na niti“ unter dem Einfluß des „großen Bruders“ Sowjetunion umgehend zum Verbotsfilm erklärt wurde, liegt natürlich an der unverhohlenen Darstellung der abstrusen Zustände während der Nachkriegszeit in der Tschechoslowakei: Künstler, Intellektuelle und ehemals hochrangige Personen, die im stalinistischen Weltbild als Feinde des Volkes galten, wurden bis in die 1950er Jahre zu Umerziehungszwecken in Straflagern zu harter körperlicher Arbeit gezwungen. Diese Ereignisse hatte der Schriftsteller Bohumil Hrabal in einer Sammlung von Kurzgeschichten geschildert und – wie schon in „Liebe nach Fahrplan“ – gemeinsam mit Menzel zu einem Drehbuch verdichtet. Und erneut gelingt es Hrabal und Menzel, die furchtbaren Ereignisse der jüngeren tschechoslowakischen Historie mit dem erdverbundenen, pragmatischen und trockenen Witz der ihrer Landsleute gleichsam zu entschärfen. „Skrivánci na niti“ zeigt eine kleine Gemeinschaft von Zwangsarbeitern auf einem Schrottplatz, die aus allen gesellschaftlichen Schichten stammen und in ihrer außergewöhnlichen Situation auf die wesentlichsten Dinge des Lebens zurückgeworfen sind: Arbeit, Essen, Wetter, Kameradschaft und auch Begehren (denn die weiblichen Gefangenen stellen für die männlichen eine stete Verlockung dar). Wie selbstverständlich verschrotten sie Symbolträchtiges, etwa Berge von alten Schreibmaschinen, Munition oder Kruzifixen. Das Spiel mit den Klischees des Lagerfilms folgt keinem strengen Plot, sondern reiht Episoden aneinander, die auch Raum für die Charakterzeichnung der all zu menschlichen Aufseher und Funktionäre des Schrottplatzes mit einschließen. Menzel kann sich dabei auf ein Ensemble von namhaften Schauspielern wie Václav Neckár, Vlastimil Brodský und Jitka Zelenohorská verlassen.

Menzels Film ist somit keine bittere Anklage, sondern ein warmherziges Plädoyer für Menschlichkeit und die Überwindung von Standesgrenzen auch unter härtesten Umständen und überholt damit die hohlen, ja zynischen Parolen jenes Regimes, das sich genau diese Werte auf die allgegenwärtigen Spruchbänder schrieb, einen Film wie „Skrivánci na niti“ aber unter Verschluß hielt und die Filmemacher mit Berufsverbot belegte. Leider ist dieser wichtige Beitrag der tschechoslowakischen Neuen Welle bei uns nicht erhältlich, empfehlenswert ist jedoch die in Großbritannien erschienene DVD mit guten Extras (Fassungseintrag) oder die Menzel-Box vom Schweizer Label Trigon-Film, die „Skrivánci na niti“ ebenfalls enthält.


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