A Canterbury Tale (1944)
The Archers – so nannten sich der Regisseur Michael Powell und der Drehbuchautor Emeric Pressburger in ihren gemeinsamen Filmen zwischen 1942 und 1972 – hatten sich während des Zweiten Weltkrieges ganz der britischen nationalen Sache verschrieben. Dabei entstanden bewegende menschliche Dramen, die in ihrer Originalität, ihrem Humor und in ihrer ausgewogenen Charakterzeichnung den durchschnittlichen Propaganda- oder Durchhaltefilm weit hinter sich lassen. „A Canterbury Tale“, uraufgeführt am 11. Mai 1944, gehört in die Reihe jener Archer-Produktionen, die den Ruhm des Filmemacherduos zu begründen halfen.
Der Filmtitel bezieht sich natürlich auf die „Canterbury Tales“, jene Geschichtensammlung aus dem 14. Jahrhundert, die in Großbritannien, ähnlich wie bei uns das Nibelungenlied, ein zentrales kulturelles Artefakt für die nationale Selbstlegitimierung darstellt. Bei Powell und Pressburger sind es nun keine mittelalterlichen Pilger, sondern ein US-amerikanischer Soldat (John Sweet), ein Landgirl aus London (Sheila Sim) und ein Sergeant der britischen Armee (Dennis Price), die in der uralten Kulturlandschaft von Kent durch den Krieg zueinanderfinden. Diese drei Charaktere unternehmen ihre ganz eigene Pilgerreise zur berühmten Kathedrale von Canterbury und erleben dort im sonst ganz realistisch gehaltenen Setting jeder sogar ein kleines persönliches Wunder. P&P setzen dabei auf unverbrauchte Gesichter und reale Drehorte, um den Charme des englischen Landlebens und das Wesen der einfachen Leute, seien es Bauern oder Soldaten, einzufangen. In Canterbury rücken die Bombenschäden der im April und Mai 1942 durch die deutsche Luftwaffe verübten Baedeker-Angriffe mahnend ins Bild, wie überhaupt zahllose Drehbuch- und Ausstattungsdetails die Kriegssituation im Alltag wiederspiegeln, ohne daß der Krieg oder der Feind jemals explizit thematisiert wird. Vielmehr feiern P&P die lakonische und pragmatische Weise der Briten (und vor allem der britischen Frauen, die der Notlage wegen in Männerberufen tätig sind), mit den Umständen fertig zu werden und diese noch mit einer ironischen Bemerkung zu quittieren.
„A Canterbury Tale“ war an den Kinokassen kein durchschlagender Erfolg beschieden, so daß für den amerikanischen Markt sogar eine gekürzte und umgeschnittene Fassung erstellt wurde. Dann verschwand der Film für viele Jahre völlig in der Versenkung, bis er in den späten 70er Jahren wiederentdeckt wurde und heute neben den bekannteren Filmwerken der Archers aus den 40ern wie „49th Prallel“ (1941, Anniversary-Text) und „The Life and Death of Colonel Blimp“ (1943, Anniversary-Text) als Meisterwerk gewürdigt wird. Bei uns ist der Film leider nicht erhältlich, eine preisgünstige DVD kann jedoch aus Großbritannien bezogen werden, während in den USA eine 2-Disc-Special-Edition der Criterion Collection erhältlich ist.
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