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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Ein Film läuft rückwärts

Stichwörter: 1960er Jubiläum Klassiker Komödie Lipský Nová-vlna Spielfilm Tragikomödie Tschechoslowakei

Happy End (1967)

Oldřich Lipský ist unter den tschechoslowakischen Regisseuren seiner Zeit wohl der verspielteste – noch vor Karel Zeman: Biographische Deutungen verweisen gerne auf Lipskýs Kindheit, die er dank seiner Eltern vor allem zwischen dem Amateurtheater, dem Kino und dem Zirkus verbrachte. Das mag durchaus seine Spuren hinterlassen haben – zumindest bestätigte gleich seine erste Filmarbeit eine gewisse Vorliebe für kurzweilige Unterhaltung: "Cirkus bude!" (1954) wurde ein beachtlicher Publikumserfolg, erhielt jedoch bloß mittelmäßige Kritiken. Nach einigen wenigen Komödien ging Lipský dann sogar im Zirkusmilieu auf Tour und fertigte dabei auch die Dokumentation "Cirkus jede" (1961) an. Nach dieser Zirkus-Phase kehrte er wieder zum Spielfilm zurück und legte mit der Sci-Fi-Komödie "Muž z prvního století" (Der Mann aus dem 1. Jahrhundert, 1961) einen Film vor, der sein kommendes Werk bereits weitgehend vorwegnahm: Phantasievoll ausgestattete, clowneske, leicht satirische Komödien aus dem Bereich der Phantastik – an denen teilweise auch der später selbst als Regisseur erfolgreiche Jan Svankmajer mitwirkte – legte er in regelmäßigen Abständen vor: "Zabil jsem Einsteina, pánové…" (Ich habe Einstein umgebracht, 1970), "Adéla ještě nevečeřela" (Adele hat noch nicht genachtmahlt, 1978) oder "Tajemství hradu v Karpatech" (Das Geheimnis der Burg in den Karpaten, 1981) dürften wohl die populärsten Beispiele sein; Zirkusfilme ("Sest medvedu s Cibulkou" (Sechs Bären mit Zwiebel, 1972)) und Märchenfilme ("Tri veterani" (Die Prinzessin mit der langen Nase, 1986)) runden den homogenen Eindruck seines Gesamtwerkes noch ab. Seinen Karrierehöhepunkt erreichte Lipský allerdings, als man im Ausland dank der tschechoslowakischen Neuen Welle sein Augenmerk auf das Kino der Tschechoslowakei richtete: "Limonádový Joe aneb Konská opera" (1964), eine musikalische, antikapitalistische Western-Parodie mit Stummfilm-Anklängen, zog als originelles, leicht experimentell anmutendes Werk die Aufmerksamkeit der Kritik auf sich – und die Aufmerksamkeit des italienischen Produzenten Carlo Ponti, für welchen Lipský sodann drei englischsprachige Sci-Fi-Filme drehen sollte; Das Projekt zerschlug sich zwar und eine internationale Karriere blieb Lipský dann doch verwehrt, aber dafür erreichte er mit dem kommenden Film seinen künstlerischen Höhepunkt.

"Happy End" vereint avantgardistische Anflüge mit unbekümmertem Humor: Das am 1. Januar 1967 uraufgeführte Werk ist albern, tragisch, leichtfüßig, grimmig und ironisch zugleich; es ist eine Parodie auf das konventionelle Melodram, voller metafilmischer Gags. Erzählt wird nach der Einblendung "konec" und dem Abspann eine geradezu klassische Eifersuchtsgeschichte, die mit Mord und Hinrichtung endet: Aber Lipský lässt seinen Film ganz einfach konsequent rückwärts ablaufen. Der abgeschlagene Kopf der Hauptfigur fliegt aus dem Korb unter der Guillotine zurück an den Hals seines Besitzers, während das Fallbeil in die Höhe schießt. Und während Nebenfiguren überwiegend rückwärts murmeln, rollt die Hauptfigur als Erzähler ihr Leben nochmals von hinten auf: Und so läuft der Film dann allmählich seinem Happy End entgegen, das freilich keines ist. Aber im Gegensatz zu Dramen wie Ozons "5x2" (2004), in welchem Beziehungsgeschichten ebenfalls rückwärts geschildert werden (aber ohne rückwärtslaufende Einstellungen), rückt Lipský den schwarzen Humor ins Zentrum: Es überwiegt ein ausgesprochen heiterer Tonfall, der bloß unter der Oberfläche nach einigem Nachdenken seinen tragischen Kern erkennen lässt. Bloß gelegentlich, wenn ein Schlachthausalltag gezeigt wird, und tote Kühe mit Hammerschlägen belebt werden, um dann auf den Weiden zu grasen, liegt das subversive Potential ganz offen zutage. Und damit hat Lipský dann nicht bloß sein formal bemerkenswertestes (weil konsequentes & geschlossenes) Werk erschaffen, sondern auch sein hintergründigstes, das doch weit mehr ist, als ein bloßer Familienfilm oder eine Genre-Parodie.


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