Mat i syn (1997) & Smirennaya zhizn (1997)
Als "Mat i syn" am 20. Februar 1997 in Berlin seine Uraufführung erlebte, da hatte es Aleksandr Sokurov geschafft: Die Aufmerksamkeit für sein Schaffen hatte sich nun auch im Westen merklich erhöht – und es sollte nur noch fünf Jahre dauern, ehe Sokurov mit seinem One Take-Meisterwerk "Russkiy kovcheg" (2002) international als einer der beachtlichsten – wenn nicht gar als der beachtlichste – Filmemacher Russlands wahrgenommen werden sollte...
45 Jahre war Sokurov damals alt, als er diesen Film über das nahende, allmähliche Ableben einer Mutter an der Seite ihres Sohnes drehte. Mit Bearbeitungen und Manipulationen der Kameralinse filmte er dieses bloß knapp 70 Minuten umfassende Szenario, das sich in einem einfachen Häuschen und der umliegenden natürlichen Landschaft ereignet: trübe, verschwommene, sanft verzerrte Bilder, in denen der Wind wie beim großen Lehrmeister Tarkovsky durch Bäume und Gebüsche weht, in denen der Atem Casper David Friedrichs zu spüren ist... Das Elternhaus, ein Leitmotiv in Sokurovs Filmen, verschmilzt hier förmlich mit der Natur, hebt sich kaum von ihr ab, derweil das gemeinsame Warten auf den Tod und das gemeinsame Wahrnehmen der Natur, durch die der Sohn die Mutter trägt, bloß ein Minimum an Dramaturgie gewährleisten. Fast panentheistisch oder gar pantheistisch fällt dieses Szenario aus, in dem Leben und Tod nur noch hauchdünn voneinander getrennt sind, in denen das alltägliche gesellschaftliche Leben ausgeblendet bleibt und staunend und ehrfrüchtig die Natur selbst, das Sein selbst vermittelt wird.
Mit "Otets i syn" (2003) sollte Sokurov später ein Gegenstück abliefern. Aber schon am 22. Mai 1997 kommt mit "Smirennaya zhizn" ein ähnlich gelagerter Film zur Uraufführung, der sich zugleich etwas deutlicher in die lange Reihe filmischer Elegien stellt, die Sokurov seit "Mariya. Krestyanskaya elegiya" (1978/1988) bzw. seit "Elegiya" (1985) mindestens bis "Elegiya zhizni. Rostropovich. Vishnevskaya." (2006) immer wieder einmal dreht: Diesmal schildert Sokurov an einer ungewöhnlichen Schnittstelle zwischen dem Dokumentarischen und dem Inszenierten den Alltag einer älteren Frau, die in relativer Abgeschiedenheit in einer japanischen Berglandschaft wohnt und geduldig und ohne Murren an ihren Kimonos arbeitet; ebenfalls leicht verzerrt, in verblichenen Farben, in gespenstisch zeitlupenartiger Langsamkeit. Langsam, ganz langsam ereignen sich alle Handlungen, kommt es auch einmal zu Gesprächen – wobei Innenwelten schon in einigen Einstellungen einer wahren Seelenlandschaft selbst aufscheinen. Sokurov, der wie so oft in seinen Dokumentar- und Essayfilmen einen Kommentar einspricht, stellt den Landschaftsbildern selbst auch immer wieder Groß-, Nah- und Detailaufnahmen an die Seite: von Fotografien, von der Frau, von dem Häuschen – derweil auf der Tonspur noch der Wind heult und der Regen praselt... Und in seinen Worten zeigt sich deutlich eine bewundernde Haltung gegenüber der Alten, die mit ihrer gelassenen Duldsamkeit ihr demütiges Leben lebt – und so nahezu schon geheiligt erscheint.
In beiden Filmen zeigt sich Sokurovs Interesse an der Vergänglichkeit, am Verstreichen der Zeit, am Wandel, hinter dem aber immer auch Kontinuität durchscheint... und an Demutshaltungen gegenüber der Existenz selbst, die hier an eine Altersweisheit gekoppelt werden. Vielleicht hat sich Sokurov – der mit seinem Faible für Demutshaltungen dennoch auch eine ganze Tetralogie der Macht inszenieren sollte (deren letzten Teil, "Faust" (2011), er erst infolge einer Audienz bei Putin stemmen konnte) und der teils recht slawophil Hohelieder auf die russische Kultur anstimmte – deshalb auch zuletzt einige Male (etwa anlässlich der Krim-Krise oder anlässlich der Inhaftierung Oleg Sentsovs) und insbesondere Ende letzten Jahres wieder dazu durchgerungen, öffentlich der offiziellen Linie zu widersprechen oder Putin (erfolglos) zu einem Umdenken in unterschiedlichen Fragen bewegen zu wollen...
Bei medici arts International liegt "Smirennaya zhizn" auf leider vergriffener DVD vor, die eher selten preiswert angeboten wird: Fassungseintrag von PierrotLeFou. Zugleich ist der Film auch als Bonusmaterial auf der Artificial Eye-DVD von "Mat i syn" zu bekommen, die jedoch ebenfalls vergriffen, aber häufiger einmal zu erschwinglicheren Preisen zu bekommen ist: Fassungseintrag von PierrotLeFou
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