The Gang's All Here (1943)
In der Geschichte des amerikanischen Musicalfilms der 30er und 40er Jahre nimmt Busby Berkeley bis heute eine Sonderrolle ein: weniger bekannt als z.B. Vincente Minelli oder Stanley Donen, haftet dem Choreograph und Regisseur immer noch der Ruf des Exzesses an, des überbordenden Kitsches, ja er gilt sogar als einer der Ahnen des Camp, dessen offizielle Wertschätzung erst allmählich mit Susan Sontags wegweisendem Artikel von 1968 einsetzte. „The Gang’s All Here“, der am 24. Dezember 1943 in den USA Premiere feierte, präsentiert die originelle visuelle Ästhetik seines Schöpfers geradezu prototypisch – dazu erstmalig in Technicolor – und ist daher sein bekanntester Film.
Nachdem Berkeley einige Jahre am Broadway und in Hollywood als Choreograph von Tanzszenen tätig war, etwa in „42nd Street“ (1933), führte er bald in Filmen mit dem Ex-Kinderstar-Duo Judy Garland und Mickey Rooney Regie. Doch „The Gang’s All Here“ ist ein Vehikel anderer Art, es stellt sich als pures, eskapistisch-knallbuntes Entertainmentprodukt recht unverhohlen in den Dienst der Reklame für Kriegsanleihen. Aber das Faszinierende an dem Film ist ohnehin nicht der holperige Plot um das Verlieben eines bereits versprochenen Soldaten in ein Showgirl, sondern die unglaublich ausgestatteten und mit ausufernden Kameraschwenks gefilmten Musicalnummern. Berkeley überschreitet darin den Einsatz der konventionellen, langbeinigen Showgirl-Chorus-Line, vielmehr werden Körper und Gesichter der Tänzerinnen in der Masse als abstraktes, bewegliches Ornament eingesetzt. Von der Kamera aus der Vogelperspektive aufgenommen, entstehen die kaleidoskopartigen Effekte sowohl durch die Choreographie selbst, teils aber auch durch Spezialeffekte in der Postproduktion. Diese Technik wurde, obwohl nicht, wie oft behauptet, von Berkeley erfunden oder erstmalig eingesetzt, trotzdem zu dessen Markenzeichen und kennzeichnet Berkeleys Tanznummern, die an Aufwand und Effekten alles Bisherige in den Schatten stellten. Legendär ist inzwischen die Nummer „The Lady with the Tutti Frutti Hat“, in der die Tänzerinnen mit riesigen Pappmaché-Bananen hantieren – “one or two of his dance spectacles seem to stem straight from Freud”, mutmaßt eine zeitgenössische Kritik. Der lateinamerikanische Bühnenstar Carmen Miranda stiehlt übrigens auch in allen weiteren Szenen den vergleichsweise blassen Hauptdarstellern Alice Faye und James Ellison die Show.
Berkeleys ornamentalen Tanzchoreographien verblüffen bis heute und erreichen in „The Gang’s All Here“ eine abstruse Qualität (z.B. das finale Ballett mit Neonlichtern), die man eher in einer drogengeschwängerten Fantasie der 70er als in einem Hollywood-Musical der 40er Jahre erwarten würde (weshalb Berkeleys Einfluß bis in die Traumsequenzen von z.B. „The Big Lebowski“ reicht). In Deutschland ist der Film derzeit überhaupt nicht erhältlich, im europäischen Ausland allerdings schon: die fraglos beste Edition ist als Blu-ray beim britischen Boutiquelabel Eureka! erschienen (Fassungseintrag), die eine restaurierte Neuabtastung und umfangreiche Extras zu bieten hat.
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