Nathalie Granger (1972)
In den 40er Jahren schon war Marguerite Duras bereits als Autorin tätig, feierte früh in den 50er Jahren große Erfolge – und begab sich mit der Drehbucharbeit an "Hiroshima, mon amour" (1959) auf das Gebiet des Films. Erst ab 1967 beginnt Duaras damit, selber Regie zu führen – und schon früh bestechen diese Arbeiten durch einen eigenwilligen Stil, der reichlich minimalistisch die Nüchternheit mit dem Mysteriösen vermengt. Jeanne Moreau und Lucia Bosè stehen ihr in dem im August 1972 uraufgeführten "Nathalie Granger" als namhafte Stars zur Seite... in einem Spielfilm, der wie ein Thriller ohne Thrill wirkt, wie ein Drama ohne Höhe- oder Wendepunkte. Die Titelfigur ist die Tochter der einen Frau; über ihre schulischen Leistungen geht es, auch um ihre Gewaltbereitschaft; man spricht über Maßnahmen und Veränderungen, fasst aber keine so wirklich ins Auge. Im Radio wird über einen Mordfall informiert, aber auch diese Info setzt keine konventionelle Handlung in Gang, regt bloß Erwartunghaltungen an, die Duras gar nicht zu erfüllen gedenkt. Dann ein Eindringling: Gérard Depardieu als Vertreter betritt die Bühne. Auch er setzt nichts in Gang. Die Frauen – kultiviert offenbar, gehobene Schicht, mutmaßlich gebildet, aber nicht sehr reflektiert – bleiben seltsam abgekapselt von ihrer Umwelt: Die Welt, so scheint es, könnte untergehen, ohne dass sie ihre Routine unterbrechen müssten. Trott und Tristesse klingen an, was dem Drama nahekommt; kleine Indizien künden vom Unheilvollen, dass außerhalb ihres Horizonts am Werke ist, was dem Thriller nahekommt. Aber Genreschubladen sind fehl am Platz. Es ist: ein Duras – in höchster Formvollendung. Dessen Cast später – dank Depardieus Karriere – noch namhafter erscheint. Duras sollte nicht zum letzten Mal mit ihm gearbeitet haben: In "Le camion" (1977) ist er, längst auf der Höhe seines Erfolgs, nochmals in einem ihrer radikaleren Werke zu sehen.
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