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von ratz

Vor 75 Jahren: Auftakt zu Rossellinis Neorealistischer Trilogie

Stichwörter: 1940er Drama Fabrizi Fellini Italien Jubiläum Klassiker Krieg Magnani Neorealismus Rossellini Spielfilm

Roma, città aperta (1945)

Es war der richtige Film zur richtigen Zeit vom richtigen Regisseur und fungiert zugleich als definierendes Werk derjenigen Filmsprache oder Epoche, die als Italienischer Neorealismus in die Filmgeschichte eingegangen ist: In „Roma, città aperta“, angelaufen am 24. September 1945, schildert Roberto Rosselini den Widerstand der römischen Kommunisten und Katholiken gegen die deutschen Besatzer im Jahr 1944, bevor diese schließlich abzogen (und die Drehbucharbeiten zum Film umgehend begannen).

War es Luchino Viscontis „Ossessione“ (1943, Anniversary-Text), die als erstes Schlüsselwerk des Neorealismus gilt, so machte „Roma, città aperta“ das Konzept und die Bewegung weltweit bekannt, zusammen mit Rossellinis späteren Filmen „Paisà“ (1946) und „Germania anno zero“ (1948) bildet er die „Neorealistische Trilogie“ oder auch „Kriegs-Trilogie“, die den Bogen vom befreiten Italien zum befreiten Deutschland schlägt. „Roma“ hat natürlich alle wesentlichen Ingredienzen, die die Epoche kennzeichnen: Thema sind die Lebensumstände und der Kampf des einfachen Volkes, seine Sprache und seine Orte wie etwa ungeschönte Straßen, Hinterhöfe und beengte Wohnverhältnisse, auch die Narben des Bombenkrieges wie halb zerstörte Mietskasernen und Schutthaufen spart Rossellini nicht aus. Im Vergleich etwa zu „Fahrraddiebe“ (1948) fallen dem heutigen Zuschauer allerdings einige Zugeständnisse an konventionelle filmischen Methoden auf, gegen die sich der Neorealismus explizit ausspricht: relativ viele Studioaufnahmen, dramatische orchestrale Filmmusik oder die Besetzung der Hauptrollen mit professionellen Schauspielern statt mit Laien (wenn auch gegen den Strich, so waren Anna Magnani und Aldo Fabrizi auf komödiantische Rollen spezialisiert). Doch der Eindruck auf das zeitgenössiche Publikum und die Kritik war der einer rohen, unmittelbaren Wirklichkeit, wie man sie aus Kino-Wochenschauen kannte. Auch störte man sich nicht an der Vereinfachung der politischen Umstände jener Jahre, die der dramaturgischen Zuspitzung diente, auch nicht an der auf Stereotypen kondensierten Charakterzeichnung der Hauptfiguren. So stehen den grausamen, aber kultivierten (und homosexuell konnotierten) Nazi-Befehlshabern der lebenskluge und unbeugsame Geistliche, der aufrechte Kommunist sowie tapfere Kinder gegenüber. Rosselini verknüpft diese Elemente allerdings auf effektive Weise und spart auch gelegentliche Situationskomik nicht aus, die allerdings umgehend in Szenen von höchster Dramatik umschlagen kann. Die lange und grausame Folterszene, in die „Roma“ mündet, sorgte dafür, daß der Film in der Nachkriegs-BRD eine unrühmliche Zensurgeschichte hatte, die sich bei Wikipedia nachlesen läßt. Und schließlich liegt mit „Roma“ auch das erste Arbeitszeugnis des gerade 25-jährigen Federico Fellini als Ko-Autor und Regieassistent vor, ganze fünf Jahre, bevor er seinen eigenen ersten Film realisieren sollte.

Rossellini und seine italienischen Filmemacher-Kollegen haben sowohl international als auch im deutschen und vor allem im ostdeutschen Filmschaffen tiefe Spuren hinterlassen, denn die meisten der noch heute sehenswerten DEFA-Filme bis weit in die 1980er Jahre sind direkt oder indirekt vom Neorealismus beeinflußt, da dieser im Ostblock offiziell als eine der wenigen nachahmenswerten Errungenschaften westlicher Filmerzeugnisse galt. Die deutschen DVDs von „Roma, città aperta“ (immer noch zensiert!) sind zwar aktuell vergriffen, aber preisgünstig auf dem Gebrauchtmarkt zu haben, während im englischsprachigen Ausland ungekürzte Blu-ray-Ausgaben der „Neorealistischen Trilogie“ mit guten Bonuspaketen erhältlich sind.


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