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von ratz

Vor 100 Jahren: Lubitsch stellt E.T.A. Hoffmann auf den Kopf

Stichwörter: 1910er Deutschland Hoffmann Jubiläum Klassiker Komödie Lubitsch Oswalda Smolka Spielfilm Stummfilm Thimig

Die Puppe (1919)

Aus dem vielgestaltigen deutschen Frühwerk Ernst Lubitschs, das vom historischen Melodram bis zur leichtfüßigen Komödie reicht, sticht „Die Puppe“ besonders heraus, sowohl was das Sujet als auch was die visuelle Umsetzung betrifft. Zwar stammt das Motiv des Konstrukteurs einer lebensechten Puppe, in die sich ein junger Mann unsterblich verliebt, aus dem Gruselstück „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann (1816), doch in der Umsetzung von Lubitsch bleibt nichts Schauerromantisches mehr übrig. „Die Puppe“, die am 4. Dezember 1919 in Berlin Premiere feierte, hält sich eng an die Vorlage einer französischen Operette von 1896, die ihrerseits noch kaum etwas mit dem „Sandmann“ zu tun hatte.

In „Die Puppe“ ist das Hoffmannsche Motiv auf den Kopf gestellt: hier verliebt sich ein törichter junger Adeliger (Hermann Thimig) in die Tochter (Ossi Oswalda) des Puppenkonstrukteurs – in der Annahme, es handele sich um eine Puppe, weil er eine Heirat umgehen möchte. Die sich daraus ergebenden Verwicklungen bieten allerhand Raum für Slapstick, Klamauk und pikante Situationen, die Oswalda mit ihrer handfesten erotischen Ausstrahlung wirkungsvoll auflädt. Vor allem aber glänzt „Die Puppe“ durch die Bricolage-Ästhetik des Bühnenbildes und der Kostüme, deren theaterhafte Künstlichkeit Lubitsch noch unterstreicht, wenn er zu Filmbeginn, als sprichwörtlicher deus ex machina, schelmisch lächelnd selbst auftritt und die Kulisse der ersten Szene aus einer Spielzeugschachtel aufbaut, in der dann sogleich die Handlung beginnt. Nicht unerwähnt soll die kongeniale Stummfilmmusik des tschechischen Komponisten Martin Smolka bleiben, die leider erst 90 Jahre nach der Premiere von „Die Puppe“ komponiert wurde und in den deutschen Fernsehausstrahlungen seit 2010 zu hören ist. Mit viel Percussion und lautmalerischen Geräuschen, die oft in mechanisch-minimalistischen Loops strukturiert sind, unterstreicht Smolka das Augenzwinkernde, Verspielte und Witzige an Lubitschs Film und verleiht ihm mit ihrer gutgelaunten Atonalität zugleich eine erfrischende Zeitlosigkeit.

Wer nicht auf die nächste Arte-Ausstrahlung warten will und auf Smolkas Musik zu verzichten bereit ist, muß Lubitschs frivole Komödie aus Großbritannien importieren, wo sie als Blu-ray (Fassungseintrag) oder DVD (Fassungseintrag) bei Eureka! erschienen ist. Die Handlung faßt Frankie in seiner Inhaltsangabe noch einmal trefflich zusammen. Umfassend bespricht der OFDb-User Schlombie in seiner Kritik die möglichen Einflüsse von "Die Puppe" auf Komödien neueren Datums.


Kommentare und Diskussionen

  1. PierrotLeFou sagt:

    Allen Usern einen schönen ersten Advent! Wie in den letzten Jahren wird auch diesmal die Anniversary-Ecke zur (Vor-)Weihnachtszeit mit ein paar wohlplatzierten Bonustiteln angereichert… Den Anfang macht ratz mit einem Lubitschklassiker…

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