Seul contre tous (1998)
Ausgerechnet ein Sequel war das Langfilmdebüt von Gaspar Noé, fußend auf seinem Kurzfilm "Carne" (1991): Dieser fließende Übergang vom Kurz- zum Langfilm sollte charakteristisch für Noés Karriere bleiben, der am Anfang bzw. Ende vom rückwärts erzählten "Irréversible" (2002) an den am 16. Mai 1998 erstmals gezeigten "Seul contre tous" anknüpfen und die Farbdramaturgie weiterentweickeln sollte, um zugleich die Chronologie aufzubrechen und die langen Kameraeinstellungen zu etablieren, was auch in "Enter the Void" (2009) wieder der Fall war. Dier dort verhandelten Themen tauchten dann in "Love 3D" (2015) und "Climax" (2018) wieder auf, in dem bereits der metafilmische Ansatz angezogen wird, der einem in dem exzessiv mit dem split screen arbeitenden "Lux Æterna" (2019) wiederbegegnen sollte – sowie in "Vortex" (2021), in dem auch der split screen wieder vehement auftaucht. Stärker als diese späteren Werke tritt "Seul contre tous" noch als Milieustudie und Sozialdrama auf: der von Philippe Nahon verkörperte Schlachter aus "Carne" reißt seine nach dem Gefängnisaufenthalt begonnene zweite Existenz nieder, boxt der längst nicht mehr geliebten hochschwangeren Partnerin in den Unterleib und flüchtet sich nach Paris, um erneut neu zu beginnen. Wieder wächst im Scheitern der Hass auf die anderen: die Schwulen, die Ausländer, "die da oben". Die Gewaltphantasien nehmen zu, werden aber doch nicht umgesetzt. Der Weg führt zur geistig beeinträchtigten Tochter, die er aus dem Heim abholt: bald wird er sie und sicht erschießen wollen, letztlich befriedet der mit Machtmissbrauch durchsetzte Inzest die Wut des Mannes in einem hochgradig verstörenden Finale, das beinahe schon Züge eines unmoralischen Happy Ends trägt. Dieses skandalöse Element sollte die Konstante bleiben in Noés Schaffen, das von allmählichen Weiterentwicklungen und Wandlungen durchsetzt ist: schon in "Carné" war es präsent, in "Irréversible" kulminierte es endgültig. Selbst im vergleichsweise zahmen "Vortex" bleibt es gegenwärtig: in der Zumutung einer Konfrontation mit der unumgänglichen Vergänglichkeit des Menschen, seiner Taten, seines Nachlasses.
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