Furcht (1917)
Conrad Veidt ist sicher einer der bekanntesten & markantesten deutschen Darsteller der Filmgeschichte: Von "Das Cabinet des Dr. Caligari" (1920) bis "Casablanca" (1942) reichen die großen, kanonisierten Filmklassiker, in denen er eindringliche Leistungen abgeliefert hatte, die ihm noch heute eine große Bewunderung zahlreicher Fans sichern. Zum Film gelangte Veidt über die Bühne: 1912 verließ er vorzeitig das Gymnasium und begann unter Max Reinhardts Leitung mit dem Schauspielstudium, um noch im selben Jahr auf der Bühne aufzutreten. Zu diesem Zeitpunkt ist Veidt 19 Jahre alt. Seine Schauspielausbildung kann er jedoch nicht abschließen, denn der Erste Weltkrieg kommt dazwischen: Veidt wird 1915 eingezogen und 1916 wieder aus gesundheitlichen Gründen freigestellt. In "Der Weg des Todes" (1916/17) soll er sein Leinwand-Debüt gegeben haben; vor seinem ganz großen Drehbuch in Wienes "Das Cabinet des Dr. Caligari" spielte er bereits in über 30 weiteren Filmen mit. Vier Filme erscheinen bereits 1917 mit ihm: "Furcht" ist der bekannteste von ihnen und zugleich der einzige, der halbwegs gut erhältlich geblieben ist, wenngleich BluRay, DVD und VHS noch ausstehen. Seine relative Bekanntheit unter Veidts frühen Filmen hat nicht selten zu der Behauptung geführt, es handele sich um Veidts ersten Kinofilm.
Schon in "Furcht" liefert Veidt als sinistrer Priester eine wegweisende Leistung ab, die vieles seiner folgenden Rollen bereits vorwegnimmt (wobei ihm auch die Hauptrolle eines wahnhaften, angsterfüllten Indien-Reisenden gut gestanden hätte). Bedrohliche, unheimliche oder zumindest obskurse, unergründliche Figuren hat er in schöner Regelmäßigkeit abgeliefert: Für Richard Oswald, mit dem er häufig zusammengearbeitet hat, gab er etwa den Tod in "Unheimliche Geschichten" (1919). Den Satan verkörperte er in "Der nicht vom Weibe Geborene" (1918). Für Wienes Meisterwerk gab er dann den mordenden Somnambulen Cesare, für Murnau trat er neuerlich als Leibhaftiger ("Satanas" (1920)) oder auch als Dr. Jekyll und Mr. Hyde ("Der Januskopf" (1920)) auf. Solch doppelgesichtige Figuren verkörperte er bereits in einigen von Richard Oswalds manchmal spekulativen Aufklärungsfilmen: in "Anders als die Anderen" (1919) gibt er einen erpressten und in den Selbstmord getriebenen Schwulen. Solch sonderbare, tragisch-getriebene und/oder unheimlich-sinistre Rollen machen ihn in den 20er Jahren weltbekannt: als tragischer, blinder Maler in Murnaus "Der Gang in die Nacht" (1921), als unter seinen transplantierten Händen leidender Pianist Orlac (in Wienes "Orlacs Hände" (1924)), als mit dem Bösen paktierender Student Balduin im ersten Remake "Der Student von Prag" (1926), den fanatischen Prediger im schwedischen "Ingmarsarvet" (1925) oder Iwan den Schrecklichen im "Wachsfigurenkabinett" (1923) von Paul Leni, für welchen er wenig später in den USA den verstümmelten, dauerhaft grinsenden Gwynplaine gab ("The Man Who Laughs" (1928)). (Seine erste kurze Hollywood-Episode in den späten 20er Jahren verdankte Veidt nicht zuletzt dem Einsatz von John Barrymore, der bisweilen ähnlich erfolgreich düster-bedrohliche Figuren verkörperte...)
Aber Veidt bleibt vorerst in Deutschland - bis in die Tonfilmära der 30er Jahre hinein, in der er unter anderem Rasputin verkörpert ("Rasputin, Dämon der Frauen" (1932)). Goebbels war viel daran gelegen, Conrad Veidt als deutschen Star in Deutschland zu halten; selbst einen Ariernachweis für Veidts jüdische Partnerin soll er angeboten haben. Veidt jedoch lehnte ab, nahm 1933 die Hauptrolle im britischen "Jew Suess" (1934) an und fiel sogleich wegen "prosemitischer Tendenzen" in Ungnade. Er floh zunächst nach Großbritannien, zu Beginn des Zweiten Weltkrieges schließlich in die USA, wo er sich fortwährend für den Kriegseintritt engagierte. Wegen seines Akzents und seiner anti-nationalsozialistischen Haltung bekleidete Veidt in dieser Zeit bis zu seinem Tod mehrfach einen Rollentypus, mit dem er als Privatperson nichts gemeinsam hatte: den Nazi. Eine populäre Ausnahme blieb seine Darstellung des bösen Jaffar in "The Thief of Bagdad" (1940), bei dem es sich zugleich auch um Veidts einzigen Farbfilm handelt.
Mehr Worte über Veidts (und Wienes) Frühwerk "Furcht" findet Ännchen von Tharau in seinem gewohnt ausführlichen Review.
Registrieren/Einloggen im User-Center
Etwas zu spät bin ich vor einigen Tagen übrigens auf einen herausragend guten Film des Jahres 1917 gestoßen, der bereits am 13. August sein Jubiläum feiern konnte: “Thomas Graals bästa film” von Mauritz Stiller, einem der größten Regisseure der späten 10er, der 20er und der frühen 30er Jahre.
Diese sehr selbstreflexive, clevere Komödie über das Kino selbst will ich an dieser Stelle zumindest erwähnt und empfohlen haben, wenn ich sie schon nicht nachträglich in der Anniversary-Ecke einbauen kann… 😉 Im nächsten Jahr werde ich dann zumindest dessen Fortsetzung “Thomas Graals bästa barn” (1918) in dieser Rubrik unterbringen und ab 1919 würde dann ohnehin kein Weg mehr an Mauritz Stiller vorbeiführen…