Udoli vcel (1968)
Spätestens seit vor eineinhalb Jahren „Marketa Lazarová“ (1967) in unseren Kinos lief, dürfte der tschechische Regisseur Frantisek Vlácil kein Unbekannter mehr sein. „Údolí vcel“, entstanden noch während der langwierigen Dreharbeiten von „Marketa Lazarová“ (Anniversary-Text), ist in mancher Hinsicht ein Geschwisterfilm von „Marketa“ und kam am 17. Mai 1968, also nur ein halbes Jahr später als dieser, in die tschechoslowakischen Kinos. Basierend auf dem Drehbuch von Vladimír Körner, spielt er ebenfalls im böhmischen Mittelalter und zeigt es in ausgesuchten schwarzweißen Breitwandbildern.
Doch obwohl die beiden Filme die Epoche, das ländliche Setting, einige Schauspieler und Drehorte gemeinsam haben, so ist „Údolí vcel“ doch ein völlig eigenständiges Werk geworden, das nie den Eindruck eines Nebenproduktes erweckt, sondern inhaltlich und stilistisch „Marketa Lazarová“ ergänzt, statt mit ihm zu konkurrieren. „Christ ist erstanden“ – mit diesem Choral, der mehr nach einer Drohung als nach einer freudigen Nachricht klingt, beginnt die Geschichte um den Ordensritter Ondrej (Petr Cepek), der mit den Glaubensregeln bricht, in die heimatliche Burg zurückkehrt und dort, da sein Vater inzwischen verstorben ist, seine Stiefmutter heiratet. Dieser ödipale Plot wird um die Beziehung Ondrejs zu seinem Glaubensbruder Arnim (Jan Kacer) ergänzt, der ihm zwar ein Mentor ist (auch erotische Motivationen klingen an), mit seinen orthodoxen Ansichten jedoch dem Freiheitsstreben Ondrejs entgegensteht. Mit nur sparsamen Dialogen schaffen es Körner und Vlácil, das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen Ondrej, Arnim und Ondrejs Stiefmutter (Vera Galatíková) auszubreiten. Dabei gehen sie narrativ geradlinig vor und erzählen in ruhigen, symbolisch aufgeladenen Bildern: etwa das Kreuz ist als Kruzifix oder Schwertgriff beinahe omnipräsent, aber auch das Meer, Bienen oder Jagdhunde sind quasi ikonographisch aufgeladen. Die leitmotivisch angelegte Filmmusik von Zdenek Liska orientiert sich an gregorianischen Gesängen und früher Polyphonie und illustriert so den Machtanspruch des Ritterordens bzw. der Kirche über das Leben von Ondrej und Arnim, über ihr Denken, Fühlen und Handeln – zu einer Zeit, als der christliche Glaube noch nicht in allen Gegenden Europas durchgesetzt worden war.
Die Widersprüche zwischen orthodoxer und liberaler Glaubensauslegung, die in „Údolí vcel“ zum Tragen kommen, haben auch 700 Jahre später nicht an Aktualität verloren, da Kriege im Namen des Islam geführt werden und Terroraktionen von religiösen Fundamentalisten das tägliche Bild bestimmen. So behält ein Film über das Mittelalter aus den 1960er Jahren auch im 21. Jahrhundert eine verblüffende Relevanz, die sich leider nicht in seiner allgemeinen Bekanntheit widerspiegelt. Denn nicht nur lief „Údolí vcel“ nie in deutschen Kinos, auch als DVD ist er bislang lediglich englisch untertitelte erhältlich – in Großbritannien als Einzelausgabe oder in einer vergriffenen Vlácil-Box (Fassungseintrag), jeweils mit äußerst informativem Booklet. Überaus lesenswert ist die ausführliche OFDb-Kritik von Ännchen von Tharau.
Registrieren/Einloggen im User-Center
Lieben Dank an dieser Stelle an ratz, der diesmal gleich beide Pfingsttage mit zwei Filmen versorgt (die sowohl terminlich als auch mit religiöser Thematik irgendwie passen, wobei gerade der morgige Titel eher kritisch & verstörend als besinnlich ist…)