Shadow of a Doubt (1943)
Bereits die wortlose Exposition von Alfred Hitchcocks am 12. Januar 1943 uraufgeführten "Im Schatten des Zweifels" - nach einer unter anderem von Thornton Wilder für die Leinwand adaptierten Geschichte Gordon McDonells - lässt keine Zweifel aufkommen, dass wir es bei Joseph Cottens nach außen hin so freundlich und charmant wirkendem Charles Oakley mit einem Mann mit zwei Gesichtern zu tun haben. Tatsächlich wird schnell klar, dass er in Wirklichkeit ein mehrfacher Witwenmörder ist, der auf der Flucht vor der Polizei Unterschlupf bei der nichtsahnenden Familie seiner Schwester sucht. Wie so oft bei Hitchcock zieht der Film seine Spannung aus dem Vorwissen des Zuschauers, das sich nicht nur auf die eine zentrale Frage beschränkt, wer Charles wirklich ist, sondern gleich auf mehrere: Wie lange kann er die Fassade aufrechterhalten? Wann riecht die Familie Lunte? Wie reagiert sie, wenn sie die Wahrheit kennt? Wie reagiert er, wenn er erfährt, dass sie die Wahrheit kennt?
Hier ist es allerdings einzig der aufmerksamen Nichte (außerordentlich erfrischend: Teresa Wright) vorbehalten, hinter das schreckliche Geheimnis ihres Onkels zu kommen, denn alle anderen Familienmitglieder sind zu sehr in ihren konservativen Heile-Welt-Familienklischees gefangen, wie sie Hollywood noch Jahrzehnte bevölkern sollten: der gemütliche Vater, der das Geld nach Hause bringt (aber sich als Ventil immerhin mit einem Freund der Familie einen Spaß daraus macht, sich in der Theorie die besten Mordmethoden auszumalen – gleichzeitig auch eines von Hitchcocks Lieblingshobbys), die Mutter als naive und treusorgende Hausfrau, die altkluge Tochter im baldigen Teenageralter und der etwas nervige Sohnemann als das Nesthäkchen der Familie. Die Seelenverwandtschaft der verträumten Charlie wird durch die Namensgleichheit mit ihrem Onkel noch einmal betont, und umso tiefer sind Schmerz und Schock für sie, wenn sie mehr und mehr feststellen muss, dass der, den sie so sehr verehrt, weit davon entfernt ist, der Idealtypus Mann zu sein, als den sie ihn immer betrachtet hat.
Zwar schleichen sich dabei gerade zum Ende hin manch fragwürdige Handlungsweisen der Hauptfiguren ein, die nur noch schwer zu akzeptieren sind, doch werden sie durch durchweg überzeugende Schauspielleistungen und die nostalgische Kleinstadtatmosphäre der 40er-Jahre gekontert (mit Polizisten, die noch per Hand den Verkehr regeln), weshalb Hitchcocks "Lieblingsfilm" – so bezeichnete der Regisseur ihn im berühmten Interview mit dem französischen Filmemacher François Truffaut – auch heute noch nicht nur für Komplettisten einen Blick wert ist.
Und dass die Thematik des finsteren Eindringlings in die heile Familienwelt immer noch ein beliebter Stoff ist, zeigen nicht zuletzt Joseph Rubens B-Klassiker "The Stepfather" von 1987, der ihn in einer Szene sogar direkt zitiert (zum Vertuschen einer unliebsamen Zeitungsnachricht funktioniert der Mörder die Zeitung kurzerhand zu einem Papierhut um - in "Im Schatten des Zweifels" zu einer Papierscheune), mitsamt der beiden Fortsetzungen (1989, 1992) und des erst 2009 gedrehten Remakes.
Günstig zu greifen ist der Film mit gewohnt solider Laurent Bouzereau-Doku als Universal-DVD: Fassungseintrag von farnsworth
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