Scarabea - wieviel Erde braucht der Mensch? (1969)
1969: das ikonisch gewordene Revolutionsjahr – dem im Deutschland ein ereignis- & einflussreiches Jahr vorangegangen war – war vergangen, der Junge Deutsche Film war bereits in die Jahre gekommen und wurde daher vermehrt als Neuer Deutscher Film bezeichnet, da legte Hans-Jürgen Syberberg sein Spielfilmdebüt vor. Nach seinen Fritz Kortner-Porträts, dem berüchtigten Romy Schneider-Porträt, dem Dokumentarfilmen "Die Grafen Pocci - einige Kapitel zur Geschichte einer Familie" (1967) und vielen TV-Reportagen für das Bayerische Fernsehen versuchte sich Syberberg an einem Spielfilm, dem er im Grunde bloß noch zwei, drei Spielfilme folgen ließ: "San Domingo" (1970) und "Karl May" (1974), eventuell auch noch "Ludwig - Requiem für einen jungfräulichen König" (1972), wenngleich sich dieser Film außerhalb jeglicher Konvention bewegt. Die restlichen Werke ragten trotz ihrer Spielszenen eher in den Essayfilm hinein. Spätestens seit Syberberg ausgerechnet bei Matthes & Seitz in "Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege" (1990) gegen eine "jüdisch linke[] Ästhetik" Stellung bezog, war Syberberg hierzulande unten durch. Gegegolten hatte er hier – anders als in Frankreich und den USA – nie sehr viel und vorangegangen war dem Skandal um den als rechtslastig eingestuften Kunst-Essay eine lange Fehde zwischen Filmemacher und Kritik. Joe Hembus etwa sah [wie auch Fassbinder] in Syberberg einen Werner-Schroeter-Plagiatoren und auch sonst stieß der Filmemacher bei der deutschen Kritik auf wenig Gegenliebe: Er erschien vielen gerade nach 1968 als rückschrittlich und antiaufklärerisch; auch die Filmförderung trat Syberberg dementsprechend nicht gerade wohlwollend entgegen. Und Syberberg, durchaus sehr egozentrisch und etwas narzistisch, konterte mit Provokationen, einer genüsslichen Arroganz und seinen "Hitler, ein Film aus Deutschland" (1977) enthielt er der deutschen Filmszene eine ganze Zeit vor und untersagte die angedachte Aufführung auf den Filmfestspielen Berlin.
Zur Zeit von "Scarabea - wieviel Erde braucht der Mensch?", der am 10. Januar in die Kinos gelangte, hatte sich die Lage noch nicht derartig hochgeschaukelt. Der Film, der frei nach L. N. Tolstoi einen dicklichen, groben, deutschen Geschäftsmann durch Sardinien reisen lässt, bis er eine Wette abschließt, bei der er soviel Grundstück behalten darf wie er an einem Tag umrunden kann, hebt sich noch nicht ganz so weit von der umgebenden deutschen Filmszene ab. Der deutsche Finanzmensch, der da an seiner Kraftanstrengung tragisch scheitert, dem aber zugleich wahre Werte bei seiner finanziell motivierten Reise immer klarer vor Augen treten, ist im Grunde eine Figur wie bei Werner Herzog (der allerdings – obgleich populär – auch eine Sonderstellung im Neuen Deutschen Film einnahm). Mit "Candy"-(1968)-Star Nicoletta Machiavelli besetzt, mit Erotik, mit einem blutigen Schlachtfest und einer kleinen metafilmischen Episode scheint "Scarabea" ganz dem Zeitgeist zu folgen, zuml die negativ konnotierte Hauptfigur Geschäftsmann ist und sich als Gast in der Fremde ganz wie zuhause benimmt. Nur vereinzelt – wenn etwa die Hauptfigur Gottfried Benn nicht zuordnen kann – kommt zum Vorschein, was sich später immer deutlicher bei Syberberg zeigen sollte. Ab "Ludwig - Requiem für einen jungfräulichen König" widmet er sich der Beziehung zwischen dem Dritten Reich und Wagner, zwischen dem Dritten Reich und der Romantik... Im Siebenstünder "Hitler - Ein Film aus Deutschland" konzentriert er sich noch stärker darauf, fordert gar, Hitler mit Wagner, mit der Romantik zu bekämpfen, anstatt eine gerade Linie von der Romantik, von Wagner bis zum Dritten Reich zu ziehen (und eben ab 1968 einer "jüdisch linken" Ästhetik zu frönen). Zwischendurch der Fünfstünder "Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried von 1914-1975" (1974), der einerseits ganz engagiert dran bleibt und der Interview-Partnerin Winifred Wagner entlockt, wie groß ihre Zuneigung zu Hitler war, der aber andererseits eben auch fordert, Winifred Wagners Sozialisierung zu bedenken und sie nicht vorschnell zu verurteilen. Ein wenig davon kann man im Rückblick auch schon im "Scarabea" erkennen, in welchem ähnlich wie bei Herzog – mit seiner vermeintlich präfaschistischen Ästhetik – Erhabenheit, Mystisches und Mythisches weit größeren Stellenwert besitzen als Bodenständiges & Politisches. Andererseits ist "Scarabea" voll von – seinerzeit durchaus skandalösen – Szenen des Hässlichen und Provokativen, sodass der Anfang/Mitte 1968 gedrehte Streifen weit mehr mit der 68er-Ästhetik gemein hat, als es dem späten Syberberg lieb gewesen sein dürfte. Der Film, in dem der 1968 verstorbene Schauspieler Rudolf Rhomberg eine letzte Filmrolle erhielt, wurde dann auch mit einigem Bedenken der FSK vorgelegt, von der er dann letztlich seine 18er-Freigabe erhielt...
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