Review

Allgemein

Ich habe mich stets geweigert, hier oder woanders eine Rezension zu den Simpsons zu schreiben, weil ich befürchtete, man könne dem gelben Mythos einfach nicht gerecht werden, egal welche Worte man wählt.

Nun mache ich es doch. Vielleicht, weil ich glaube, es Groening und seinem Lebenswerk schuldig zu sein. Als Kind der 90er (Jahrgang 1981) haben mich die Simpsons schließlich geprägt wie keine andere TV-Serie zuvor, und ein Großteil derjenigen, die etwa so alt sind wie ich, werden dieses Gefühl wohl mit mir teilen.

Also dann. Begonnen hat alles Ende der 80er. Nicht etwa mit den Simpsons... nein, Bill Cosby und seine "Cosby Show" dominierten die US-Fernsehlandschaft im Comedysektor. Die Cosby Show vollbrachte eine Pionierleistung für das Sitcom-Genre und ebnete Sitcom-Primussen wie "Eine schrecklich nette Familie", "Hör mal, wer da hämmert", "Roseanne" oder aktuell "King of Queens" den Weg. Die deutschen TV-Sender, damals noch im Großen und Ganzen durch nur fünf Stationen repräsentiert, mussten bei der Flut von Filmen, Shows und Serien aus Deutschland und den USA natürlich selektieren und importierten die Cosby Show nach Deutschland. Jeder kannte sie, (fast) jeder liebte sie.

Es wurde ein Image aufgebaut. Die Huckstables (richtig geschrieben?) waren eine liebenswerte, brave, glückliche Vorzeigefamilie. Das brachte die Konkurrenz auf den Plan. Man fand und füllte eine Nische für die nicht ganz so vorbildliche Familie. Fox reagierte als erstes und brachte zunächst einmal den Schuhverkäufer (in den USA ein nicht gerade angesehener Job) Al Bundy mit seiner verlausten Familie ins Fernsehen. Der Arbeitstitel: "Not the Cosbys".

Derweil machte ein gewisser Matt Groening mit seinen kurzen Comicstrips in der "Tracey Ullman Show" von sich reden. Es ging um eine Familie, "die Simpsons", die allerlei nervige Familienprobleme und Alltagspflichten zu bewältigen hatte. Eine fürsorgliche Mutter, ein verzweifelter Vater, zwei nervige Kinder und ein Baby, das eigentlich gar nicht da war. Während die Cosbys zu brav und die Bundys zu asozial waren, fand die US-Fernsehlandschaft in den Simpsons erstmals ein identifikationswürdiges Familienensemble. Charaktere und Situationen boten eine direkte Schnittstelle zum richtigen Leben.

Ob des Erfolgs der kleinen Comiceinlagen entschied man sich bei Fox, den Simpsons eine Chance zu geben. Man gab eine Staffel mit 13 Folgen in Auftrag.
Dabei war die Serie optisch zunächst einmal kein Hingucker. Die seltsame Hautfarbe der Bewohner Springfields resultierte daraus, daß Groening beim Erfinden seiner Figuren keinen hautfarbenen Stift zur Hand hatte. Gelb war da das Nächstliegende.
Auch sonst wirkte alles recht provisorisch. Barts, Lisas und Maggies Haare verschmolzen mit dem Kopf, hier gab es keine Abtrennung. Homer verpasste man erst gar keine, mal abgesehen von den paar Strichen (zwei runde auf dem Kopf, ein gezacktes am Hinterkopf). Dafür wurde der "Stoppelbart", oder eher der ungenügend rasierte Mundbereich zu seinem Markenzeichen. In den ersten Staffeln kann man im Hintergrund ab und zu eine Nebenfigur mit ähnlichem Stoppelbart erblicken, doch das wurde eingestellt, damit der Hauptcharakter der Serie unverwechselbar blieb (mal von Krusty und "Onkie Herb", Homers Zwillingsbruder, abgesehen). Von Marges blauer Turmfrisur wollen wir erst gar nicht reden.
Doch wer hätte gedacht, daß all diese Mängel später mal die unverwechselbaren Dinge ausmachen würden, die die Serie so liebenswert machten.

Wie dem auch sei, etwa ein Jahr nach der amerikanischen Erstausstrahlung brachte das ZDF die neue Zeichentrickserie nach Deutschland. Mit ähnlichem Erfolg wie im Heimatland.

Worin lag nun der Erfolg der Serie? Wenn ich mir meine ersten, nun schon 13 Jahre alten Eindrücke der ersten Folgen wieder ins Gedächtnis berufe, dann haben mir als Kind vor allem folgende Dinge gefallen: die außergewöhnlich gezeichneten Figuren, die schrägen Charaktere mit ihren lustigen Grimassen, die schrillen Gegensätze (z.B. kluge Lisa, dummer Bart), der bunte Ort Springfield mit viel Wiedererkennungswert... eben all die Sachen, die man bei anderen Kinderzeichentrickserien doch ab und zu schonmal vermisst hatte.
Der Erwachsene konnte tiefer in die Materie eintauchen und entdeckte hinter den lustigen Charakteren und der bunten Comicwelt doch tatsächlich Sozialkritik. Wenn man so will, sind die Simpsons die Vorväter für das Erfolgsgeheimnis aktueller CGI-Blockbuster. Damals war es aber noch neu, in scheinbaren Kindertrickserien solche Substanz vorzufinden.

Mit zunehmender Anzahl der Staffeln lernte man dann immer mehr Charaktere kennen, die durch ihre blosse Identität die sozialkritischen Untertöne beibehielten: da gibt es Flanders, den tiefreligiösen Nachbarn der Simpsons und Homers Erzfeind, der eingewanderte Schotte Willie, der pflichtbewußte Rektor Skinner und seine dominante Mutter, der korrupte, dumme und gefräßige Polizeichef Wiggum, der machtgierige, alte Mr. Burns und sein schwuler und in Burns verliebter Assistent Smithers... die Liste nimmt kein Ende. Aufgrund der Vielseitigkeit der Charaktere entstanden dann auch immer wieder Reibungen, die sich geradezu optimal zu einer Story verarbeiten liessen. Glaubensfragen, Arbeitslosigkeit, Schulprobleme, Krankheit, Familienkrach, all diese aus dem Alltag bekannten Situationen wurden thematisiert. Dabei ließ man es sich aber nicht nehmen, auch mal Unrealistisches zu verarbeiten. So hielt jede Staffel (abgesehen von der ersten) eine Halloween-Episode bereit, bei denen die Simpsons jeweils drei übernatürliche Horror- oder Geisterstories erleben dürfen.

Zur Evolution der Serie: am meisten hat sich sicherlich Homer verändert. War er doch zu Beginn noch der verzweifelte, aber fürsorgliche Familienvater, der sich in manchen Situationen für seine Familie schämte, nahm sein Intelligenzquotient und damit auch sein Gefühl für Moral und Stolz ab. Und man höre und staune: das machte ihn zur Lieblingsfigur des Publikums und zum allgemeinen Kulturgut. Homer war wie ein Superheld: jeder würde mal gerne für einen Tag Homer sein. Homer und seine besondere Superkraft, alles zu tun, was er will, ohne sich um irgendwelche Konsequenzen zu scheren.
Die freche Rotznase Bart folgte auf dem zweiten Platz der Beliebtheitsliste.. Die Tatsache, daß Bart im Original von einer Frau gesprochen wird, liegt darin, daß man damit seine vorgespielte Unschuldigkeit verdeutlichen wollte. Die deutsche, leicht kratzige Stimme schlägt zwar einen vollkommen anderen Weg ein, ist aber genauso effektiv.
Lisa hat sich auch etwas verändert. Zu Beginn war sie genauso rotzfrech wie ihr zwei Jahre älterer Bruder. Dann entschloss man sich, aus ihr das ungewöhnlich kluge und mißverstandene Mädchen zu machen, das sich inmitten einer Horde von Affenmenschen ("Sie, Sir, sind ein AFFENARSCH!") fühlt wie eine Ausgestoßene. Dadurch erreicht sie beim Zuschauer keinen vergleichbaren Beliebtheitsstatus wie etwa ihr Vater oder ihr Bruder, aber das Konzept funktioniert ausgezeichnet. Auch, wenn man es kaum glauben mag, aber ohne Lisa wären die Albernheiten von Homer und Bart nur halb so witzig.
Etwas Verständnis erfährt Lisa nur von ihrer Mutter. Die ewig fürsorgliche Hausfrau Marge mit der kratzigen Stimme ist das Rückgrat der Familie Simpson. Sie sorgt für den Zusammenhalt, und es ist ziemlich offensichtlich, daß Homer als Alleinerziehender sehr schnell versagen würde (wie in einer Episode auch eindrucksvoll demonstriert wird). Dieses Image wurde glücklicherweise sehr lange konsequent weiterverfolgt. Nur einige Ausrutscher wie die "Busen-Marge" in einer der letzten Staffeln trübten das Bild.
Dann sind die Simpsons natürlich tierlieb. Schneeball I wurde schon vor der ersten Staffel überfahren und wird seitdem von Lisa betrauert, während Schneeball II nun das Haus bevölkert. Die Katze ist aber eigentlich nur Beiwerk (was mir ja als Katzenfan eigentlich stinken müsste), denn der eigentliche Tierstar ist Knecht Ruprecht (im Original Santa`s Little Helper), ein abgeschlaffter, dummer Windhund, den die Simpsons in der Weihnachtsepisode der ersten Staffel aufgenommen haben. So viel Dummheit und Liebenswürdigkeit wie bei ihm hat man noch selten in einem Tier vereint gefunden.
Vielleicht kann man auch noch Grampa Simpson zum Familienstamm zählen. Homers Vater lebt im Altenheim und hat immer was zu erzählen. Auch er ist immer wieder für einen Brüller gut.

Was, ich habe jemanden vergessen? Das ist kein Wunder, denn Maggie ist der stille Beobachter der Serie. Ich glaube, in all den Staffeln hat sie bisher erst ein einziges Wort gesagt. In einer Zukunftsvision, in der man Maggie als Teenager sieht, wird angedeutet, daß sie eine wunderschöne Stimme hat - doch man hört sie nie. Das ist einer der vielen Insider, die geboten werden. Homer vergisst sie manchmal oder zumindest ihren Namen, sie ist im Grunde unwichtiger für die Serie als die Katze - und gerade deshalb vielleicht am Ende doch wichtigste Figur der Serie. Wie sagte Lisa doch in einer Episode? "Man muß auf die Noten achten, die nicht gespielt werden."

Es gibt noch so viel über die Simpsons zu sagen, wie etwa die "Bite the hand that feeds you"-Philosophie (etliche Seitenhiebe gegen das eigene Studio Fox oder gegen den von der Serie schon oft gewonnenen Grammy, der in einigen Episoden wie Müll behandelt wird) oder die ganzen Rück- und Vorblenden, die auch die Geschichte Springfields beleuchten, oder die vielen Gaststars (wer war noch gleich "Sam Etic"?)... aber das würde doch über den sowieso schon viel zu lang geratenen Umfang dieser Rezension hinausgehen. Überhaupt sollte man diesen Text nicht als Rezension auffassen, sondern vielmehr als Verbeugung vor dem gelben Mythos, der das Leben vieler Menschen bereichert hat.
Möge Homer und Anhang uns noch in 50 Jahren zum Lachen bringen.

ZEHN VON ZEHN!

P.S. zum Schluß noch mein Lieblings-Simpsons-Gag (sofern es überhaupt möglich ist, einen herauszuheben):
Season 1, Episode: "Vorsicht, wilder Homer".
Homer baut eine Falle (eine Schlinge) und versteckt sich mit Bart. Ein Hase kommt herangehoppelt, schnüffelt an dem in der Falle liegenden Grünzeug. Er hüpft hinein und wird kilometerweit weggeschleudert.

Ich weiß nicht, warum ich gerade diesen Gag gewählt habe, und so hört sich das auch nicht witzig an, aber seht euch die Szene nochmal an. Das ist für mich der Inbegriff von Situationskomik.

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