“Widerruf: Verzicht auf jeden direkten oder indirekten Anspruch; 2. Nichtanerkennung; 3. Erklärung mit dem Zweck, den eigenen Arsch zu retten.
Obwohl es eigentlich nicht diesen ganzen 10-minütigen Erklärungsaufwand braucht, legt View Askew Wert auf die Feststellung, dass dieser Film - von Anfang bis Ende - als eine phantastische Komödie anzusehen und unter keinen Umständen ernst zu nehmen ist. Darauf zu bestehen, dass Szenen des nun folgenden Werks anstößigen oder lästerlichen Charakter hätten, hieße, unsere Absichten misszuverstehen und ein unzulässiges Urteil zu fällen; und Urteile zu fällen ist schließlich allein Gottes Vorrecht (das gilt auch für euch Filmkritiker... war nur’n Spaß).
Bevor Sie also jemandem wegen dieses läppischen Films Leid zufügen wollen, denken Sie bitte daran: Auch Gott hat Sinn für Humor. Man muss sich nur einmal das Schnabeltier ansehen.
Herzlichen Dank und viel Vergnügen.
P.S. Wir möchten uns bei allen Schnabeltier-Fans förmlich entschuldigen, falls sie sich wegen dieser gedankenlosen Bemerkung über die Schnabeltiere auf den Schlips getreten fühlen. Wir von View Askew respektieren das edle Schnabeltier, und nichts läge uns ferner, als diese blöden Viecher in irgendeiner Form zu kränken.
Nochmals herzlichen Dank und viel Vergnügen.”
Das war eine auf vier Textseiten verteilte, einminütige Exposition, die in das eigentliche Werk einleitet. Kevin Smith macht von Beginn an seinen Standpunkt klar. Dieser Film ist nicht ernstzunehmen - ebensowenig dieses Verstricken in immer weitere Widersprüche ausgehend von dem Umstand, einen Sachverhalt rechtfertigen zu wollen. Man hat da einen Film, weiß um seinen kontroversen Charakter, will vorabschicken, dass man niemandem auf den Schlips treten will, untermauert das mit einem Argument, dem die Adressaten - hier Gottgläubige, die hinter dem Film Blasphemie veermuten könnten - nur zustimmen können. Dann führt man als Beispiel das Schnabeltier an, beleidigt es unwissentlich, bemerkt das, versucht, das Missverständnis durch ein P.S. aufzulösen... und am Ende ist da ein riesiges, unnötiges Gewirr aus Widersprüchen, die dem Umstand entwuchsen, dass eine vielleicht nicht ganz so perfekte Sache - hier der Film “Dogma” - unter allen Umständen verteidigt wird.
Diese vier Texttafeln, meine lieben Gläubigen, sind ein Mini-Modell des Glaubens, insbesondere des christlichen Glaubens.
Ich weiß, ich gehe nun dieselben Pfade wie der Regisseur, wenn ich behaupte, vier Texttafeln, in denen zu allem Überfluss Wörter wie “Schnabeltier”, “blöde Viecher”, “View Askew” oder “Schlips” vorkommen, seien ein umfassendes Modell des hochkomplizierten und mit einer langjährigen Tradition versehenen Glaubens, vor allem des christlichen Glaubens. Auch ich könnte nun versuchen, meine Worte zu rechtfertigen, aber heraus käme dabei nur ein weiterer dieser Rechtfertigungs-Knödel, oder, wie View Askew es nennt, Widerrufe.
Tja, und dann geht’s los. Kevin Smith holt zum alles niederschmetternden Rundumschlag aus, bedient sich in seinem View Askew-Universum, greift auf langjährige Freundschaften zurück, die während der Drehs von sinnentfremdeten Spaßfilmen wie “Mall Rats” entstanden sind, setzt altbekannte Schauspieler wie Matt Damon, Ben Affleck, Jason Lee, Jason Mewes und nicht zuletzt sich selbst als Silent Bob wie Playmobilmännchen auf sein teuflisches Spielgelände. Er haut ganz einfach gedankenlos Tatsachen in seine Handlung; Tatsachen, die bibelfeste Christen aufs Höchste erschüttern würden, wenn sie den Film ernstnehmen würden. Ein schwarzer Apostel; zwei bekiffte Propheten; eine Frau als Gott! Aaargh!
Ganz betont gibt es keinerlei Geheimniskrämerei, alles wird als so offensichtlich und zweifellos dargestellt, dass es überhaupt keinen Zweifel geben kann an diesem unumstößlichen Weltbild. Smith macht nicht viel mehr als das, was auch die meisten Religionen tun: Er setzt Dogmen. Er klärt über die einzige Wahrheit auf. Er baut sich sein eigenes, kleines Königreich - und macht sich am Ende selbst drüber lustig.
Sein Ziel ist es nicht, über den Sinn oder Unsinn dieser oder jener Religion zu lamentieren, er will keine der anderen vorziehen, auch sein eigener Standpunkt bleibt unklar oder zumindest unbedeutend. Könnte man ihn wegen der auch nur angedeuteten Möglichkeit, Gott zu widerlegen, als Atheisten entlarven, so verschleiert er dies doch dadurch, dass die Figuren, die er in das Abenteuer schickt, selbst auch keinesfalls unfehlbar sind und sich das ganze Smith-Universum in Wohlgefallen auflösen könnte. Was all diese Dinge anbelangt, bleibt Smith so unklar, wie es nur geht; worauf es ankommt, das ist die universelle Glaubensstruktur, deren schmaler Grat zwischen Dogmatismus und Widersprüchlichkeit aufgezeigt werden soll.
Die mehr oder minder als verqueres Road-Movie aufgezogene Handlung beziehungsweise die offensichtlichen Drehbuchvorgaben per se sind dabei vollkommen unbedeutend. Worauf es ankommt, ist der Hintergrund der Geschichte, der Sinn des Auftrags des letzten Nachkommens Jesu Christi, zwei gefallene Engel daran zu hindern, dass sie in ihrer Selbstsucht das Universum zerstören. Im Film treffen also verschiedene Personengruppen mit verschiedenen Zielen aufeinander, die nicht miteinander vereinbar sind. Auch hier wieder entsteht ein Parallelismus zu Religionen und dem widersprüchlichen globalen Netzwerk, in dem sie in kontroverser Position zueinander stehen. Kann überhaupt jeder Glauben gleichzeitig die Wahrheit für sich beanspruchen, ist das aus logischer Sicht möglich? Und was treibt die Menschen dazu, trotzdem so fest an die Sache zu glauben, die größer ist als sie selbst, dass Religionen in der Weltgeschichte zu den größten Kriegsverursachern überhaupt gehören?
Nur zu einfach hätte man sich vorstellen können, einen solch kontroversen Inhalt in einen Okkult-Thriller zu verfrachten, in dem unser vom Glauben abgefallener Anti-Held sich durch eine Geschichte voller Geheimnisse, Nebelschwaden und Halbwahrheiten schlängelt, bevor er in einem alles überstrahlenden Finale von einer schemenhaften Lichtgestalt aufgesucht wird, die von Filmanalysten gegebenenfalls als Gott hätte interpretiert werden können.
Warum also das View Askew-Universum bemühen?
Es ging nicht darum, Dinge zu verschleiern, Dinge im Unklaren zu lassen, Dinge vieldeutig zu gestalten. Dogmatismus ist eine deutlich reglementierte Vorgabe, die dem Wesen der Religion als Institution - nicht deren Inhalte, das ist ein Unterschied! - viel näher kommt als jede Zwielichtigkeit. Und mal ehrlich: Was wäre da sinnvoller gewesen, als Kevin Smith an die Sache heranzulassen? Ein Regisseur, der dafür bekannt ist, respektlose Frontalangriffe zu starten und konsequent sein Ding durchzuziehen. Ein Regisseur, der sich einen Scheiß um Kompromisse kümmert, der dem Publikum knallhart in die Fresse schlägt, und das muss es halt schlucken oder sich abwenden.
Genau dieser rotzfrechen Art bedurfte es, um die ganze Idee überhaupt ohne wenn und aber durchziehen zu können, und verdammt, wenn etwas dazu geeignet ist, dann sein Mikrokosmos.
Leichter wurde es dadurch, dass die Figuren zum Teil bereits existierten. Jay und Silent Bob waren stets die Leerhüllen, vorinstalliert mit ihren eigentümlich-dämlichen Verhaltensweisen und ansonsten einfach in die Handlung geworfen, wo sie ihren Beitrag schon irgendwie leisten würden. Jay, frei nach Schnauze, Bob mit der bedachten Zurückhaltung, der eine weniger, der andere mehr bewusst seinen Beitrag zum Gelingen des Auftrags ausfüllend.
Noch weit besser funktionieren diesmal jedoch andere Figuren. Die Dialoge zwischen den gefallenen Engeln Loki (Matt Damon) und Bartleby (Ben Affleck) sind beispielsweise in ihrer trockenen Selbstverständlichkeit ein absoluter Hochgenuss. In ihrem Streifzug durch die Welt unterhalten sie sich in einer derartigen Distanz über die Menschen, dass man die naheliegende Vermutung, es handele sich hier um zwei Psychos, irgendwie nicht so recht akzeptieren kann. Selbst nach dem Massaker im “Haus des goldenen Götzen”, wo gerade Loki alle Verhaltensweisen eines Psychos an den Tag legt, geht die Inszenierung mit einer solchen Trockenheit ans Werke, dass man nicht anders kann, als die beiden als Engel zu betrachten. Das ist auch den Darstellerleistungen sowie den gut geschriebenen Dialogen zu verdanken, denn Damon und Affleck spielen sich nach Jahren der Zusammenarbeit so gekonnt die Bälle zu, dass man ihnen das eher beiläufige Morden sofort abkauft. Verstärkt wird der Eindruck durch Momente wie die im Fahrstuhl, als Loki sagt: “Wenn ich einen Schwanz hätte, würde ich eine flachlegen. Aber machen wir das, was wir am besten können: Leute umnieten”, die Frau im Fahrstuhl prustet und Loki sofort lächelnd entgegnet: “Aber doch nicht Sie!”
Fast noch besser ist Alan Rickman als die Stimme Gottes; besonders bei seinem ersten Auftreten, wo er in einem denkwürdigen Auftritt Linda Fiorentino über ihre wahre Bestimmung aufklärt. In einem Moment, in dem jeder andere Film versucht hätte, die Stimme Gottes als mystische Erscheinung von höchster Unnahbarkeit darzustellen, spielt Rickman sie als lakonisch-genervten Laufburschen, der seinen Job eher genervt ausfüllt als geisterhaft.
Selbst Entertainer Chris Rock hat seine Momente, in denen er den Ungläubigen seine Position mit einer solchen Ernsthaftigkeit und Natürlichkeit erklärt, dass man schon fast Angst bekommt.
Im Finale muss Kevin Smith dann doch ein paar Zugeständnisse an die Filmmechanismen machen, wenn er zum Beispiel Jay auf Bartleby schießen lässt. Das ist zwar zunächst einmal witzig und zeugt von der Verpeiltheit des Propheten, passt aber nicht ganz ins Konzept und ist nur Mittel zum Zwecke der Storyfortführung, weil Jay zwar oberflächlicht total verpeilt ist, unbewusst aber immer das Richtige machen sollte - wie in der Szene, als er Bethany (Fiorentino) in seinem Sexdrang einen entscheidenden Hinweis gibt. Auch sonst gibt es noch ein paar Elemente, die dann wohl eher dem zufriedenstellenden Beenden der Story anzuschreiben ist als einer filmformalen Aussage über Glauben und Religion.
Das positive Highlight, das dann doch noch auszumachen ist, muss ganz einfach der Auftritt von Alanis Morissette als Gott sein, welcher nicht etwa die Sängerin mystifizieren, sondern ganz umgekehrt Gott entmystifizieren soll. Gott als eine Art lustiges Teletubbie-Geschöpf von weiblicher Form darzustellen, ist natürlich die absolute Krönung und der endgültige K.O.
Da kann man es am Ende nur mit “Kumpel-Christus” halten: Rechtes Auge zukneifen, ein breites Grinsen aufsetzen und Daumen hoch. Was Kevin Smith da im Rahmen dieses thematischen Minenfeldes geschaffen hat, ist respektlos, satirisch, ironisierend, schwarz wie die Nacht und fern des guten Geschmacks - und doch bleibt “Dogma” ganz einfach unangreifbar. Das Amalgam von Filmstruktur, Filminhalt, Filmgenre, Modellcharakter und metaphorischer Substanz ist dermaßen durchdacht, dass man gegen Smith’ Universalattacke auf den Glauben nur dann wettern kann, wenn man den Film nur oberflächlich gesehen hat. Denn ansonsten ist Smith klug genug gewesen, sich auch selbst nicht zu ernst zu nehmen und das Ganze einfach um zwölf Ecken abzusichern, ohne dabei an Konsequenz zu verlieren. Vom Filmaufbau her ist “Dogma” sicherlich nicht immer perfekt; die ein oder andere Szene wirkt dann doch zu unausgereift, manchmal sogar zu experimentell. Das tut dem Spaß aber in Anbetracht dessen, was Kevin Smith da sonst auf die Beine gestellt hat, überhaupt keinen Abbruch.
8,5/10