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Der Maler Basil Hallward (Richard Todd) ist fasziniert von der Schönheit seines Freundes und Models Dorian Gray (Helmut Berger)- allerdings auf rein ästhetischer Ebene. Der zwielichtige Kunsthändler Henry (Herbert Lom) allerdings bewundert Dorian verhalten auf homoerotische Weise und rät dem jungen Mann, seine Jugend und vergängliche Schönheit so umfassend wie möglich auszukosten. Unter seinem unauffälligen Einfluss wird aus dem unauffälligen Dorian ein narzisstischer und selbstsüchtiger Lebemann der zuerst die junge Sybil (Marie Liljedahl) durch seine Egozentrik in den Tod treibt und zunehmend sich und seine Umwelt rücksichtslos sexuell und emotional ausbeutet ohne moralische Bedenken. Während die Jahre ins Land gehen bleibt Dorians Jugend unverändert erhalten- doch sein von Basil gemaltes Portrait altert rapide…

Bevor der von mir sehr geschätzte und leider früh verstorbene Massimo Dallamano 1972 mit seinem Giallo-Meisterstück „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“ den Zeichen der Zeit folgte und einige seriöse Genre-Filme drehte die im Rückblick zum vielleicht besten und vor allem interessantesten gehören was der italienische Unterhaltungsfilm in diesen überaus fruchtbaren Jahren hervorbrachte versuchte er sich an einer zeitgenössischen Neuinterpretation eines berühmt-berüchtigten literarischen Stoffes der wohl bis heute immer noch einer kongenialen Umsetzung harrt: Oscar Wildes skandalumwitterter Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ in dem der Autor seinerzeit die Dekadenz und Oberflächlichkeit der viktorianischen Gesellschaft sowie die eigene Homosexualität reflektierte.

Dass sich Dallamanos im Jahr 1969 angesiedelter und gedrehter Film erstaunlich nahe- stellenweise sogar im Dialog- an die Vorlage hält lässt ihn in Verbindung mit der Motivation Oscar Wildes deutlich interessanter erscheinen als andere Verfilmungen. Denn der gesellschaftliche Hintergrund war hier ein ganz anderer, der Narzissmus der Figur Dorian Gray wirkt wie ein eigentümliches, antikes Relikt aus einer vergangenen Ära während der unbewusst selbstdestruktive Trieb der Figur, ihre selbst verschuldete sinnliche Übersättigung durchaus ins Bild jener Jahre, der oft besungenen 68ziger passen, fast schon eine Art bitteren Abgesang des lebenslustigen Rausches der gesellschaftlichen Außenseiter darstellt, der „Blumenkinder“- die zwar damals keine Mehrheit darstellten aber heute in nostalgischer Verklärung als idealistisches Synonym jener Zeit gelten.

Mit dem Ziehen von Parallelen zwischen Film, Romanvorlage und Gesellschaft möchte ich mich aber nicht weiter aufhalten denn es sollte nicht vergessen werden das es sich bei „Dorian Gray“ um keine Literaturverfilmung handelt, die sich vordergründig für eine originalgetreue Umsetzung ihrer Vorlage interessiert- auch wenn diese überraschend vollständig übertragen wurde. In erster Linie nimmt Dallamano die Geschichte zum reizvollen Anlass um ein der Mode des damaligen Genre-Kinos seltsam entrücktes, erotisches Gruseldrama zu inszenieren das allerdings- wie auch seine beiden großartigen Schulmädchen-Gialli „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“ und „Der Tod trägt schwarzes Leder“ ungewöhnlich komplex und handwerklich überdurchschnittlich ausgefallen ist.

Über weite Strecken lastet der gesamte Film auf den Schultern seines Hauptdarstellers Helmut Berger. Durch sein nuanciertes Spiel wird trotz der straffen Laufzeit die Veränderung und die zunehmende Abstumpfung die aber auch begleitet wird von wachsender innerer Zerrissenheit stufenweise offenbar. Berger ist Dorian Gray mit Haut und Haaren. Da der österreichische Schauspieler (und langjährige Lebensgefährte von Luchino Visconti) auch privat eine schillernde und wohl auch exzessive Persönlichkeit war und ist scheint seine Besetzung optimal, führt doch Dorian Gray nach seiner Begegnung mit dem als Mephisto gezeichneten Henry ein sehr ähnliches Leben.

Dramaturgisch besonders überraschend ist die Methode mit der Dallamano den Schrecken der Erzählung impliziert: Anstelle einer erwartungsgemäßen, düster-fatalistischen Abwärtsspirale steht eine helle, unbeschwerte und gelegentlich auch bewusst betuliche Erzählweise die anfänglich nicht selten versucht, den Zuschauer ebenso zu verführen wie Dorian- nur dass das Sinnliche, Verführerische und die vermeintliche Unbeschwertheit mehr und mehr zu einem alles verzehrenden, bedrohlichen und widerwärtigen Monstrum erwächst. Als Horrorfilm- der „Dorian Gray“ aber eigentlich nicht ist- wäre der Film ein überaus gelungenes Beispiel für raffinierte und wirkungsvoll angewandte Publikumsmanipulation die natürlich aber nicht zuletzt dank Helmut Bergers eindrücklicher Performance und der stilsicheren Inszenierung so hervorragend funktioniert. Wie Kenner des italienischen Kinos jener Zeit am besten wissen ist es beinahe obligatorisch von der formästhetisch bestechenden Kameraführung, exzellent gewählte Locations und einem bezaubernden Soundtrack zu sprechen- drei Stärken mit denen selbst die minderwertigsten Schnellschüsse oft noch glänzen konnten und die in „Dorian Gray“ perfekt zum Tragen kommen, einem Film der von einer ästhetischen Besessenheit erzählt, von einem krankhaft herbei gezwungenen Übermaß an Schönheit, Sinnlichkeit und Jugend.

„Das Bildnis des Dorian Gray“ ist als Literaturverfilmung sicherlich eher minderwertig: Die gesellschaftlichen Bezüge sind hier zumindest oberflächlich kaum noch auszumachen, die eklatante Homoerotik der Vorlage ist auf ein Minimum reduziert worden und viele Passagen wurden gestrafft und vereinfacht. Doch auch ohne dem großen Autor nachzueifern bleibt die schaurige Parabel faszinierend genug um als bizarres Jugend-Gruseldrama ein ästhetisches und dramaturgisches Eigenleben zu entwickeln das aber dennoch- trotz beschwingter Easy-Listening-Musik und entsprechender Mode- nur in vereinzelten Momenten den Zeitgeist seines Entstehungsjahres 1969 atmet und sich insgeheim doch ein wenig den künstlerischen Gesetzmäßigkeiten des auslaufenden 19. Jahrhunderts verpflichtet fühlt. Ein ähnliches Experiment wagte 29 Jahre später auch Massimo Dallamanos berühmterer Mitstreiter Dario Argento mit einer Adaption von Gaston Leroux „Das Phantom der Oper“- und scheiterte an ungünstigen, demotivierenden Produktionsbedingungen. Diese waren bei „Dorian Gray“ offenbar nicht gegeben denn wenn man bedenkt das hinter dieser Produktion Harry Alan Towers saß- bekannt als einer durchtriebensten britischen Trivialfilm-Produzenten- muss Dallamano wohl freie Hand gehabt haben. Ein glücklicher Umstand- auch wenn „Dorian Gray“ weit entfernt von echter filmischer Genialität ist bleibt er doch ein ebenso fesselnder wie beachtlicher Versuch, einen „klassischen“ Stoff mit den narrativen Regeln des damaligen Unterhaltungsfilms zu verbinden. Das Ergebnis ist ein seltsames Kuriosum das aber durchaus Spaß macht und vor allem einen Zacken zu ernsthaft bleibt um zur von mir gerne so bezeichneten „Trashkunst“ zu verkommen.

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