Review

Auf die übliche Frage nach meinen persönlichen Lieblingsregisseuren antworte ich stets ohne lange zu überlegen- und nenne in der Regel zuerst Alfred Hitchcock. Legitim und unzweifelhaft. Immer ein guter Einstieg in cineastische Gesprächsrunden. Meiner üblichen Antwort auf die Frage nach meinem liebsten Hitchcock-Film - „Marnie“ - folgen allerdings oft ungläubige Reaktionen. Es ist mir ein Rätsel. Tatsächlich ist Hitchcocks an großartigen Werken ohnehin unermesslich reiche Filmographie bevölkert von Werken, die zwar in Cineasten-Kreisen und bei Filmwissenschaftlern einen ausgezeichneten Ruf besitzen, beim durchschnittlichen Filmliebhaber – also dem, der für sich noch nicht den Status eines Cineasten beansprucht- kaum bekannt sind, und wenn, dann nicht sonderlich hoch geschätzt.

„Ich beichte“ zählt unbegreiflicherweise ebenfalls zu diesen schändlich verdrängten Werken. Ein Drama, kein Psychothriller- und damit schon beinahe disqualifiziert. Von all jenen, die vermutlich noch nicht begriffen haben das jeder, ich wiederhole: jeder Hitchcock-Film im Kern ein Drama ist.

„Ich beichte“ ist ein Film der Schauspieler und der Kamera. Und er ist vielleicht eines von Hitchcocks komplexesten Werken neben „Spellbound“ und „Vertigo“. Schon zu Beginn wird der Zuschauer auf die konsequente Ambivalenz, mit der Hitchcock seine Geschichte erzählt, eingestimmt. Kurz nach dem der deutsche Diener eines Gemeindehauses in Québec, Otto Keller (Overacting am Rande der Genialität: Otto E. Hasse) direkt nach seiner Tat in der Kirche vor Pater Michael Logan (Montgomery Clift) scheinbar gebrochenen Herzens den Mord an dem Anwalt Vilette gebeichtet hat, wiederholt er dieses Geständnis stammelnd vor seiner Frau (Dolly Haas). Erschöpft legt er seinen Kopf an die Brust seiner erregten Frau:

„Father Logan will go to them. He will tell them!”
“He will tell them?”

Das langsame Drehen des Gesichts zu Seite und ein verschlagener Augenaufschlag sprechen schon hier Bände. Die Illusion, die Hitchcock für den Zuschauer errichtet hat- der Mord sei die Verzweiflungstat eines ratlosen Unglücklichen gewesen–, das anfängliche Mitleid mit Keller- wird hier durch eine minimalistischen Geste zerstört- die noch einmal brutalen Nachdruck erhält als Keller sich in bedrohlicher Manier erhebt, Alma am Kragen packt und sie an sich zieht:

„Alma! NO one knows!“

Keine Versicherung sondern eine unmissverständliche Warnung.

Der Gewissenskonflikt Logans und die feige Angst Kellers stehen ab diesem Moment omnipräsent im Raum. Mit der ihm üblichen, stichelnden Penetranz lässt Hitchcock seinem Protagonisten keine Ruhe. Immer wieder fährt die Kamera auf sein Gesicht, rückt Keller und seinen fragend-aufdringlichen Blick ins Bild. Alleine durch die brillante Montage und das ungeheure Charisma der drei Schauspieler- auch Dolly Haas, deutscher Star aus UFA-Zeiten trägt ihren Teil dazu bei- fühlt man sich ebenso wie Logan bald auf glühenden Kohlen- und das schon lange vor der eigentlichen Tragödie, die erst am Horizont aufglimmt.

Eher atypisch, andererseits aber keinesfalls überraschend für diese Schaffensperiode Hitchcocks ist die Einleitung dieser Tragödie- ein Gespräch auf dem Polizeirevier vor Inspektor Larrue (Karl Malden) und Staatsanwalt Willy Robertson (Brian Aherne), in dem Logans ehemalige Geliebte Ruth (Anne Baxter)- die während seiner Abwesenheit im Krieg den Politiker Pierre heiratete, Logan aber immer noch liebt- versucht, ihn zu entlasten- durch die Schilderung ihrer gemeinsamen Vergangenheit, die bis zum Abend des Mordes reichte, den die beiden im Gespräch miteinander verbrachten. Eine Enthüllung, wie sie bei Hitchcock sonst zwar nur selten im Finale, meist jedoch aus dramaturgischen Gründen bedeutend später im Film stattfand. Die direkte Sprache und die romantische Verklärung der Rückblenden- die die Vergangenheit aus Ruths Sicht schildern- lenken die Aufmerksamkeit des Zuschauers von dem kriminalistischen Plot weg auf die Figuren. Gerade in dieser langen Sequenz ist der Kontrast, den Hitchcock zwischen der gereiften und der jugendlichen Ruth (in den Rückblenden) schafft, bravourös. Die alte Ruth war ein naives Mädchen, voller schwelgerischer jugendlicher Fantasie. Die neue Ruth, die nun mit größter Überwindung und Selbstbeherrschung das kompromittierende Geheimnis preis gibt, ist eine starke Frau die erkannt hat, dass Liebe auch Hinnahme bedeutet. Für Hitchcock, dessen Frauenbild trotz seinem Interesse an der weiblichen Psyche doch oft ein wenig großväterlich wirkte, eine außergewöhnliche Sequenz.

Trotzdem gehört der Film aber voll und ganz Montgomery Clift und seinem ungeheuer ausdrucksstarken Minenspiel. Die großen, unschuldig blickenden Augen, in die langsam eine bittere Färbung Einkehr hält- das eint ihn mit James Stewart und Farley Granger, die allerdings beide mehr als einmal für Hitchcock vor der Kamera standen. Eine Schande und ein Rätsel, das der Regisseur diesen kongenialen Darsteller nie wieder einsetzte. Die kleinen Differenzen zwischen den beiden dürften der Grund gewesen sein. Im übrigen war es auch sicherlich nicht nur im Interesse der Produzenten sondern auch in Hitchcocks Sinn das der attraktive junge Mann neben seinen schauspielerischen Fähigkeiten auch Mädchenschwarm-Qualitäten mitbrachte und damit die von ihm ebenfalls so geliebte Konfrontation von Tugend und Sexualität im Film präsent war. Wie die meisten Filme des britischen Filmemachers droht auch „Ich beichte“ Szenenweise an hinterlistiger erotischer Spannung zu bersten.

Die großen Momente des Films gehören sämtlich Clift- ohne dabei die übrigen Darsteller-Leistungen schmälern zu wollen. Die Besetzung von „Ich beichte“ ist überragend- das reicht von der überraschend differenzierten und facettenreichen Anne Baxter bis hin zu den Deutschen O. E. Hasse („Lulu“, „08/15“) und Dolly Haas (jeder von ihnen spricht in der Originalfassung übrigens auch einen Satz deutsch). Ergänzend sind die Dialoge selbst für Hitchcocks Verhältnisse ungewöhnlich pointiert. Besonders hervorheben möchte ich hier – und der Film ist als Gesamtes im Grunde zu komplex strukturiert um einen einzelnen Dialog als exemplarisch auszustellen – ein Gespräch zwischen Logan und Larrue auf der Polizeistation.

„The difficulty, perhaps, is that, well- we aren’t thinking from the same point of view. Could it be that, Father?”
- “That could be. I don’t really know what your point of view is.”

Das ist nicht mehr doppel- sondern schon dreibödig. „Ich beichte“ ist auch ein Film über Kommunikation und die Kunst reiner Kommunikation. Diese Zeilen bergen das Problem Logans. Er teilt die Perspektive des Inspektors- sieht sich also als potentiellen Tatverdächtigen. Gleichzeitig handelt er aber aus dem Blickwinkel eines Mitwissers- der zum Schweigen verdammt ist. Und zu guter letzt auch als Pfarrer- der an der ordnungsgemäßen und in diesem Fall von größter psychischer Tortur begleiteten Erfüllung seiner Pflicht seelisch zu kollabieren droht. Drei Perspektiven- und doch keine von ihnen eine Perspektive für ihn. Sein Gegenüber hingegen sieht seine Person nur aus einem Blickwinkel- dem einfachsten und zugleich gefährlichsten.
Der Inspektor Larrue von Karl Malden wirkt auch deswegen ungleich sympathischer und doch beunruhigender, weil ihm die Eindimensionalität und Debilität, von der die Polizeibeamten bei Hitchcock so oft gezeichnet waren, vermissen lässt. Jene beschränkten Polizisten schürten in seinen anderen Filmen oft schon sehr früh die Hoffnung auf ein „Happy End“- war man sich doch sicher das die Auflösung des Falles niemals der Verdienst solch inkompetenter und bösartiger Marionetten sein würde. Hier verhält es sich ganz anders- vielleicht auch, weil Hitchcock ursprünglich ein tragisches Ende geplant hatte das ihm von Produzenten und Zensur aber verweigert wurde und in der endgültigen Fassung nur noch als Torso erkennbar ist. Karl Maldens großartige Performance in diesem Film dürfte übrigens auch den italienischen Meisterregisseur Dario Argento- einen großen Verehrer Hitchcocks- dazu bewogen haben, ihm die Hauptrolle in seinem Film „Die neunschwänzige Katze“ zu übertragen, ähnlich wie er mit der Besetzung von David Hemmings in „Profondo Rosso“ Michelangelo Antonioni eine indirekte Referenz erwies zu dessen desillusionierendem Kino auch „Ich beichte“ zahlreiche Parallelen aufweist, insbesondere in der grandiosen kinematografischen Gestaltung. Kühle und fahle Bilder sowie harte Kontraste dominieren „Ich beichte“- und ähnlich wie in „Der falsche Mann“, einer im Grunde weiterentwickelten, pessimistischeren Variation von „Ich beichte“ nutzt Hitchcock auch hier die Umgebung des Protagonisten und das Spiel mit verschiedenen Bildebenen und ihrer Montage, um das Innenleben Logans zu allegorisieren. Erfrischend fallen die zahlreichen Außenaufnahmen auf. Bei Hitchcock, dessen Werke doch überwiegend Atelier-Filme waren, auch eher eine Ausnahme.

Eine ganz besonders aufregende Konstellation, die sich leider nur am Rande entfaltet, ist die Entwicklung des Ehepaars Keller. Für ihn (Otto) hegt der Zuschauer schon bald kaum noch Sympathien. Ein feiges, verlogenes Schwein das sich nicht zu schade ist, den eigenen Wohltäter- Pater Logan- vor Gericht zu verleumden und ihn noch tiefer in den Sumpf zu drücken, dessen Urheber er selbst ist. Der böse Deutsche, die Rückstände der amerikanischen Nazi-Hysterie? Dieser unerquickliche Verdacht beschleicht einen phasenweise- und wird von ihr (Alma) im Finale effektvoll beseitigt. Im Verlauf des Films wachsen ihre Zweifel, die Solidarität ihrem Mann gegenüber schwindet. Die innere Zerrissenheit dieser zerbrechlichen Frau- UFA-Star Dolly Haas’ letzter Kinoauftritt- wird während der Gerichtsverhandlung vom Zuschauer intensiv nachempfunden- ihr unfreiwilliges Selbstopfer wird kurze Zeit später Logan retten. Der deutsche Ehemann ist demnach zwar ein selbstsüchtiger Widerling- seine Frau aber in ihrem tiefsten Inneren herzensgut und äußerst gerechtigkeitsliebend. Dank dieser zahlreichen verzwickten, psychologischen Schachzüge, den geschliffenen Dialogen und der dynamischen und modernen Bildsprache ist „Ich beichte“ ein ungemein spannender Film. Nur scheinen für diese innere, weniger aus kriminellen als zwischenmenschlichen Konflikten resultierende Spannung selbst manche Fans des großen Regisseurs nicht empfänglich zu sein. Schade, denn mit „Ich beichte“ hat er einen seiner vielleicht reifsten und ernstesten Filme geschaffen, zeitlos, intelligent und reich an subtilen Spielen mit der psychologischen Erwartungshaltung des Zuschauers.

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