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Richard Lester sticht unter zahlreichen Kollegen die zur gleichen Zeit wie er ähnliche Filme drehten vor allem durch seine große Affinität zum Surrealismus hervor mit der er sich erstaunlich lange gegen die Vorstellungen der Produzenten behauptete. Das relativ unbekannte Liebesdrama „Petulia“ ist hierbei eine konsequente Fortführung jener versponnenen, irrationalen Dramaturgie, die der amerikanische Regisseur bereits zuvor in den beiden Beatles-Filmen „A hard day’s night“ und „Help“ sowie der Antikriegs-Groteske „How I won the war“ entwickelt hatte.

In „Petulia“ zeichnet er das Bild einer Gesellschaft, die mit aller Macht fast schon gewaltsam versucht, der eigenen, banalen Existenz einen definierbaren Sinn zu geben und gleichzeitig von ihren Generationsbedingten Vorurteilen untergraben wird. Als Repräsentantin dieser ermatteten Gesellschaft fungiert hier die junge, etwas naive Petulia (hervorragend zum Leben erweckt von einer ungewohnt sinnlichen Julie Harris). Trotz ihrer frischen und oberflächlich harmonischen Ehe mit dem Hydraulik-Forscher David (Richard Chamberlain, blutjung) sehnt sie sich schon nach einem Verhältnis- da dies offenbar ihrer Meinung nach in das Leben jeder Frau gehört, die etwas auf sich hält- und hat als Opfer Dr. Archie Bollen (George C. Scott) auserkoren der sich selbst kurz vor der Scheidung befindet. Nach anfänglicher Ablehnung kapituliert er schließlich gegenüber Petulias aufdringlichen, teilweise regelrecht bizarren Annäherungsversuchen. Auch aus Trotz und Eifersucht gegenüber seiner starrsinnigen Frau Polo (Shirley Knight) die offenbar mit ihrem neuen Freund den großen Treffer gelandet hat. Doch das Glück währt nicht lange, bald wird Archie der fahrigen Beziehung überdrüssig und Petulia von dem Wunsch erfüllt, die nächste mögliche Attraktion des Lebens zu entdecken…

„Petulia“ war sicherlich von den Produzenten als seichtes Melodram geplant, mit den beiden Zugpferden Harris und George C. Scott in den Hauptrollen ein schneller, kostengünstiger Publikumsfänger. Was jedoch Richard Lester unter diesen suboptimalen Bedingungen geschaffen hat spottet jeder Beschreibung. Nicht selten fühlt man sich angesichts der stellenweise schon fast willkürlich anmutenden Erzählweise und den sprunghaften Szenen- und Stimmungswechseln an Seijun Suzukis großartigen, surrealen Noir-Gangsterfilm „Branded to kill“ erinnert (der zufällig zeitgleich entstand). Gelegentlich scheint sich Lester hier auch im Experiment zu verlieren doch aller vermeintlichen Absurdität zum Trotz lässt „Petulia“ einen runden Gesamteindruck zurück.

Im Wesentlichen resümiert Lester die Quersumme jener jungen Menschen, die nicht in die Maske des bereits damals gerne pauschalisierten Zeitgeistes mit Flowerpower und freier Liebe passen und dennoch eine individuelle Konstante in der zerrütteten US-Gesellschaft suchen. Petulia und David verkörpern diese Bevölkerungsschicht während Archie eindeutig der „alten Schule“ angehört und sich mit der Flatterhaftigkeit Petulias überfordert fühlt und versucht, sich ihr Verhalten anhand der bestehenden, ihm bekannten Klischees über die „Jugend von heute“ zu erklären. Sich voll über die Unvereinbarkeit beider Welten im Klaren, verquirlt Lester sie voller Freude am menschlichen und filmischen Verwirrspiel und legt dem Zuschauer und seinem Bestreben, die verschiedenen Erzählebenen zu ordnen, so manchen Stein in den Weg. Als Orientierungshilfe kann hier oft nur die atemberaubende schicke, visuelle Gestaltung dienen die zwischen einem pragmatisch-kühlen Blick und einer verspielten, psychedelisch verzerrten Optik variiert. Alleine schon durch seine Ausleuchtung, die zahlreichen Experimente mit Tiefenschärfe und Weitwinkel sowie den sprunghaften Schnitt transportiert „Petulia“ oft den Zeitkolorit der späten 60ziger der sich insbesondere auch durch einen Auftritt der unvergessenen Janis Joplin auf einem Empfang zu Beginn des Films in die eher spießigen Existenzen seiner Protagonisten drängt.

Auch als Petulia ein mexikanisches Waisenkind von der Straße weg „adoptiert“ besteht kein Zweifel über den Auslöser dieser spontanen Aktion. Die Beziehungen zu Archie und David verlaufen zu diesem Zeitpunkt bereits reichlich „öde“, in den Medien wird hitzig über Straßenkinder in Süd- und Mittelamerika diskutiert- warum also nicht etwas neues, sinnvolles ausprobieren? Als der Junge später lästig wird, stößt man ihn wieder ab. So hinterfragt nicht nur der Zuschauer den Sinn von Petulias skurrilen Handlungen und plötzlichen Schwenks, auch der bodenständige Archie und der mental eher statische, linear denkende David sind erstaunt- und auch zunehmend enerviert. In der letzten Einstellung liegt Petulia nach einer Ohnmacht- in Folge eines gewalttätigen Übergriffs, den die Polizei zunächst Archie zuordnet- im Hospital und ruft nach Archie der jedoch nicht erscheint. Die Ärzte setzen ihr eine Sauerstoffmaske auf, ersticken quasi ihren späten Hilferuf.
Den nach Romantik und großen Emotionen gierenden Zuschauer wird „Petulia“ nicht sättigen. Mit beachtlicher Konsequenz abstrahiert Richard Lester handelsübliche Versatzstücke des klassischen Melodrams bis zur Unkenntlichkeit und verarbeitet sie zu einer komplexen Reflektion über den Generationenwechsel im „normalen“ Bürgertums unter dem Stern der 68ziger. Mangelndes Verständnis im Miteinander dieser zwei Generationen, innere Leere und eine entartete Vorstellung von Liebe veranlassen Lester aber auch dazu, einige säuerliche Kommentare zu jener amerikanischen Mittelstandsgesellschaft dieser Dekade abzugeben die in seinem Film wie ein goldener Käfig erscheint.

Ein bemerkenswerter Versuch, die Möglichkeiten des Genres auszureizen und ihm neue Perspektiven abzugewinnen; durch seinen leisen Humor auch durchaus beschwingt und unterhaltsam. Das „Petulia“ zudem ein bestechend fotografiertes, eigenwillig festgehaltenes Dokument seiner Zeit ist macht ihn zu einem Pflichtfilm für alle Interessenten. Hinter der Kamera stand übrigens Nicholas Roeg, der sich später mit Filmen wie „Walkabout“, „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ und „Der Mann, der vom Himmel fiel“ ebenfalls als überaus talentierter Regisseur profilieren sollte, der hervorragende Soundtrack stammt von James Bond-Hauskomponist John Barry.

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