Daniel Auteuil und Juliette Binoche spielen das Ehepaar Georges und Anna. Er ist Moderator einer Literatursendung im öffentlich rechtlichen Fernsehen, sie arbeitet in einem Pariser Verlagshaus. Ihrer ganzen Art nach zu urteilen gehören diese Leute wohl zu dem, was man als „liberales Bildungsbürgertum“ bezeichnen würden. Im Großen und Ganzen führen sie mit ihrem 12 jährigen Sohn ein unbeschwertes Familienleben frei von Sorgen und Nöten. Diese Familienidylle wird im Filmverlauf systematisch zerstört werden. Immer häufiger finden die Eheleute in ihrem Briefkasten Videobänder, welche einfach nur die Außenansicht ihres Hauses zeigen - stundenlang. Es ist zu sehen, wer das Haus wann verlässt oder betritt, wie Lichter in den Fenstern ein- oder ausgeschaltet werden, wie Passanten den Gehweg vor dem Haus überqueren, wie Autos die Straße entlangfahren. Ein anderes Videoband zeigt das alte Landhaus, in dem Georges aufgewachsen ist. Wieder ein anderes Band weist den Weg zu einer heruntergekommenen Wohnung in einem Pariser Ghetto. Den Videobändern beigelegt sind Kinderzeichnungen mit blutrünstigen Motiven, die entweder Geschehnisse aus der Vergangenheit des Georges widerspiegeln oder aber zukünftige Ereignisse prophezeien. Die Aufnahmen auf den Videobändern an sich sind völlig harmlos. Es sind Bilder, die das Umfeld des Georges dokumentieren/beobachten, dabei aber nicht in die Privats- oder Intimsphäre eindringen. Die von den Eheleuten eingeschaltete Polizei sieht daher auch keinen Handlungsbedarf - schließlich sind alle Bilder augenscheinlich von öffentlichen Plätzen aus gedreht worden und verstoßen gegen kein Gesetz. Anna und Georges aber drohen an der unterschwelligen Gewalt dieser Bilder zu zerbrechen. Dies trifft insbesondere auf Georges zu, denn er realisiert, dass die Videobänder an sein Gewissen appellieren: sie zeigen seine Vergangenheit (elterliches Landhaus), seine rosige Gegenwart (Pariser Stadthaus) sowie die Behausung des Menschen, dessen Leben er vor langer Zeit zerstört hat (auf Details will ich an dieser Stelle nicht näher eingehen). Dieser Mensch ist das Kind algerischer Einwanderer, die auf dem Hof von Georges Eltern gelebt und gearbeitet haben, als Georges noch ein kleines Kind war. Seine Schuld kann Georges gegenüber seiner Frau Anna nicht einräumen; über seine Vergangenheit kann und will er mit ihr nicht sprechen. Georges fährt allein zur Wohnung seines ehemaligen Jugendfreundes. Er beschuldigt ihn, die Videobänder angefertigt zu haben. Der Algerier leugnet dies, woraufhin Georges ihn massiv bedroht und ihn warnt, seine Familie in Ruhe zu lassen und mit den Ereignissen in ihrer beider Kindheit endlich abzuschließen. Seiner Frau verheimlicht er dieses Gespräch, aber das nützt nichts, denn am nächsten Tag findet sie ein Videoband im Briefkasten, das eben dieses brisante Gespräch dokumentiert. Die Ehe der Beiden droht daraufhin zu zerbrechen. Er kann sich ihr nicht öffnen, während sie sein mangelndes Vertrauen ihr gegenüber bemängelt und sich belogen und hintergangen fühlt. Ein psychologisches Drama findet zwischen den Eheleuten statt. Aber die *wirklich* schlimmen Dinge stehen noch bevor...
---Die folgenden drei Absätze enthalten Spoiler---
Recht früh im Film wird klar, dass die Frage nach dem Urheber der mysteriösen Videobänder unbeantwortet bleiben wird. Zuschauer, die hier einen simplen Psychothriller mit eindeutiger Auflösung am Ende erwarten, werden nicht auf ihre Kosten kommen. CACHE ist nämlich ein Werk, das sehr stark an David Lynch erinnert - dies betrifft sowohl die unreelle Atmosphäre als auch die Tatsache, dass der Film seine Mysterien nicht auflöst und den Zuschauer rätselnd zurück lässt. Interpretationsmöglichkeiten gibt es viele. Allerdings ist es egal, ob und wer die Videos gefilmt hat, denn sie sind eh nur symbolisch zu sehen. Sie symbolisieren das menschliche Gewissen, welches längst verdrängte Schuld ins Bewusstsein zurückruft. Oder anders ausgedrückt: die Videokamera stellt in Hanekes Werk eine alles beobachtende Entität dar, die den Menschen nach Belieben mit ihren Beobachtungen konfrontiert. Haneke selbst ist dieser Interpretation laut Interview nicht abgeneigt und er räumt indirekt ein, dass die Frage, wer oder was die Videos gemacht ist, irrelevant für das Verstehen dieses Films ist. Es geht nur um den Fakt, *dass* jemand/etwas beobachtet und konfrontiert.
Was in dem Zusammenhang sehr faszinierend ist:
Erst im Nachhinein stellt man fest, dass gut die Hälfte des Films der beobachtenden Kamera entspringt (und nicht nur die Szenen, die sofort als Videoaufnahme auszumachen sind!).
Wenn man aus dem Kino kommt, überlegt man sich, dass eigentlich *jede* statisch gefilmte Szene (also ohne Schnitte und Schwenks) mit diesem voyeuristischen Auge eingefangen wurde - Selbstmord des Albaners, Annes weinerlicher Zusammenbruch im Cafe, etc. pp..
Man wird als Zuschauer also selbst ein Teil dieser beobachtenden und indirekt moralisierenden Macht, ohne es sofort zu merken. Recht faszinierend, das.
Was CACHE stark thematisiert, ist das Verhältnis von Armen und Reichen, die nur deshalb reich sind, weil die Armen arm sind. Dies wird nicht nur am Verhältnis des Georges zu seinem algerischen Jugendfreund deutlich, sondern auch an den Nachrichtenbildern, die in Anne und Georges Wohnzimmer immer wieder mal im Hintergrund auf dem Fernseher laufen. Auch lässt sich konstatieren, dass das Verhältnis des reichen Franzosen und des armen Algeriers gezielt das Verhältnis Frankreichs und Algeriens widerspiegeln könnte. Und Georgess Schuld seinem Jugendfreund gegenüber könnte Frankreichs Schuld widerspiegeln. Oder allgemein azsgedrückt: der Film behandelt das Verhältnis von Industrienationen zu den von ihnen ausgebeuteteten Dritte Welt Ländern. CACHE könnte somit neben seiner Funktion als Psychothriller auch und vor allem als politische Metapher zu verstehen sein.
---Spoiler Ende---
Der Film trägt seinen Titel „Cache“ zurecht, denn viele relevante Informationen versteckt er irgendwo in seinen detaillierten Bildern. Genau hinsehen ist also angesagt, wenn man sich Michael Hanekes psychologisches Drama anschaut. Zum Beispiel muss man die ausgedehnte letzte Einstellung vor dem Abspann schon genau studieren, um in der Menschenmenge das Aufeinandertreffen zweier wichtiger Charaktere auszumachen und so einen wichtigen Hinweis auf das Anliegen des Films (Versöhnung in zweiter Generation) zu erhalten.
CACHE ist ein atmosphärisch dichter Film, der eine enorme Intensität besitzt. Man wird völlig absorbiert von den beklemmenden Bildern und der verstörenden Handlung. Die Wahrnehmung des Zuschauers wird mehrfach gezielt manipuliert. Mit subtilen Mitteln baut Haneke große Spannung auf, und trotz (oder gerade wegen?) seines langsamen Tempos ist es ein durch und durch fesselndes Werk. Erwähnt sei noch, dass Daniel Auteuil und ganz besonders Juliette Binoche hervorragende Leistungen abliefern und als zerrüttete Eheleute brillant gegeneinander anspielen.
Völlig zurecht wurde CACHE in Cannes von den Kritikern abgefeiert, denn es ist ein herausragender Film. Man kann ja von Haneke halten was man will, aber hier ist es ihm gelungen, mal was wirklich Bemerkenswertes auf die Leinwand zu bringen.