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Yves Steichens luxemburgische Independentproduktion "31 Min." macht eine fiktive Reality-TV-Sendung zum Thema, die dem Protagonisten Tom (Frank Hansen) eine lebensbedrohliche Aufgabe stellt: Innerhalb von dreißig Minuten hat Tom einen Mord an einem ihm fremden, jungen Mann zu begehen, ansonsten wird ihm von einer zwielichtig ausschauenden Gangsterbande eine Medizin vorenthalten, die alleinig seinen zuvor vergifteten Körper retten kann. Sterben oder morden, also. Doch "31 Min." übt sich keineswegs darin, die repräsentative Wirklichkeit eines Dokumentarbildes im Kontext einer "Reality-TV"-Sendung zu simulieren, sondern schneidet die ästhetische Reproduktion jener non-fiktionalen Fernsehübertragungen lediglich durch kurze Einstellungen eines gewissen Dr. Hagens an, der, durch eine Bildunterschrift identifiziert, das Konzept der Sendung erklärt.

Nein, "31 Min." macht keinen Hehl daraus, eben nicht die gesamte Handlungsachse aus der simplifizierten Sichtbarkeit der unmittelbaren Fernsehkamera heraus zu kommunizieren, wie etwa "The Blair Witch Project". Obwohl letzterer eher dem Low-Budget-Bereich zuzuordnen ist und "31 Min." ganz klar mit einem "No-Budget" auskommen musste, entscheidet sich Steichens Film für eine aufwändigere, filmische Ästhetik. Dass dadurch manchmal Ambition mit Realisierbarkeit kollidieren, dürfte klar sein. Dennoch werden durch ein paar ungewöhnliche Einstellungen und einer unchronologischen Erzählweise durchaus filmische Geschicke bewiesen. Lediglich die erste Auseinandersetzung zwischen Tom und einem mit einer Atemmaske unkenntlich gemachten Bösewicht wirkt etwas holprig.

Aber durch die bewusste Entscheidung für eine artifizielle Dramatisierung der dynamischen Handlung wird Steichens "31 Min." erst, insbesondere in Hinblick auf seinen finalen Plot-twist, funktionabel. Denn obwohl gerade der Titel "31 Min." auf eine gewisse Echtzeitdarstellung hindeutet, geht es hier nicht um eine nüchterne Realitätssimulation. Wie das Ende offenbart, sind alle Filmbilder ab zirka Halbzeitmarke intrinsisch. Somit fällt der Anspruch der Wirklichkeitsreproduktion weg und wird durch verfilmtes Unter- und Unbewusstsein substituiert. Und in dieser Vorgehensweise liegt der Clou des Films:

"31 Min." ist kein Film, aus der Sicht einer kalten TV-Sendung, die seine Protagonisten und unsere Emotionen moralisch ausbeutet, sondern versinnbildlicht besonders im Finale eben jene subjektive Emotion der Hauptfigur Tom. Der Todeskampf Toms wird abseits der herkömmlichen Narrative illustriert, während dieser in der letzten Minute, in der bedeutungsschwangeren, überzähligen 31. Minute, schließlich vollends in einem symbolträchtigen Finale visualisiert wird. Somit wird die mit Zitaten an John-Woo-Filme oder dem blutigen Showdown in "Taxi Driver" angereicherten Actionsequenz und ihre verharmlosende, typisch mediale Gewalt zum Wunschtraum des Sterbenden. Jene Intertextualität ist besonders wichtig, da sie nicht nur von uns als Zuschauer als Postmodernität verstanden wird, sondern auch gleichzeitig vom sterbenden Hauptdarsteller als erstrebenswerte Auflösung für seine schwierige Situation sehnsüchtig herbeigewünscht wird. Tom sehnt sich danach, dass alles in einem Publicitygag gipfelt und dass die ausgeführte Gewalt entsprechend ästhetisch und schön anzusehen bleibt – und eben nicht realitätsgetreu hässlich und widerwärtig. Die größte Medienkritik in "31 Min." liegt in jenem Konnex zwischen verzerrter, medialer Realitätsabbildung und dem Wunsch nach eigener Realitätsgestaltung (und so ist es vielleicht auch sehr wichtig, dass ausgerechnet der Initiator dieser Verbindung, Regisseur Yves Steichen in seinem Cameo als Handlanger köstlich unecht stirbt und als Leiche weiteratmet). Da beide gleich aussehen, wirken das Ende und sein Paukenschlag wunderbar.

Gerade als Mischmasch aus Independent- und Amateurprodukt funktioniert "31 Min." bestens. Unsere Erwartungen werden übertroffen und unsere Sehgewohnheit gebogen. Als Diskurs in alternativen Gestaltungsformen von inneren Todeskämpfen mehr als nur interessant.

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