Neben Mario Bava (Blutige Seide, Hatchet for the Honeymoon) und Sergio Martino (Der Killer von Wien, Your Vice Is a Locked Room and Only I Have The Key) zählt Dario Argento zu den stilbildensten Ikonen des Giallos. Diese sind bei ihm oftmals halbe Familienproduktionen, in denen sowohl der eigene Vater Salvatore als auch sein jüngerer Bruder Claudio ihre Hände mit im Spiel haben. So ebenfalls bei dem 1982 entstandenen „Tenebrae“, der im Italienischen den wunderschön klingenden Alternativtitel „Sotto gli occhi dell’assassino“ trägt. Dieses Werk, was unter Anhängern schon längst einen besonderen Status besitzt, darf ohne Zweifel als eine von Argentos besten Produktionen angesehen werden. Viel von seinem Ruf- im Positiven oder Negativen sei dahingestellt- kann man dabei sicherlich den Beschlagnahmungen diverser Fassungen im deutschen Raum zuschreiben, die „Tenebrae“ für einige –unerklärlicherweise- noch begehrter machen.
Mit „Tenebrae“ begegnet dem Zuschauer ein geradezu archetypischer, kühler Giallo voll von roher Energie und Gewalt. Giallos- um es wenigstens einmal anzureißen- lassen sich als eine Unterart des Thrillers definieren. Bei den Vertretern dieser Gattung dreht sich zumeist alles um die Jagd auf psychopathische Killer, wobei in vielen Fällen besonderes Augenmerk auf den sadistischen und blutigen Tötungsakten liegt. Genauso auch bei „Tenebrae“, nur dass der Film nicht auf solch simple Aspekte reduziert werden kann. Das Publikum bekommt eine spannungsgeladene sowie rhythmisch erzählte Mischung aus intelligentem Thriller und hartem Horror vorgesetzt, die eine starke Sogkraft auszuüben vermag. Die doppelbödige Geschichte dreht sich um einen Killer, dessen Taten von einem neu erschienenen Buch, dem Titel gebenden Werk „Tenebrae“, inspiriert werden. Autor des Buches ist Peter Neal, der auf seiner Promotiontour durch Rom ins Visier des Irren gerät. Besondere Markenzeichen des Killers sind dabei die für dieses Genre typischen schwarzen Handschuhe und seine bis zum Schluss geheim bleibende Identität, die förmlich zum fröhlichen Miträtseln einlädt.
Interessant ist ohne Zweifel, dass, obwohl die Prämisse des Films nicht gerade die einfallsreichste ist, das Publikum nicht alles sofort vorgekaut serviert bekommt. Im Gegenteil: Argento verfüttert Informationen zum Teil nur häppchenweise oder hält sie bisweilen ganz zurück. Bestes Beispiel: Was bedeuten die immer wieder eingestreuten, traumartig anmutenden Sequenzen mit der rot beschuhten Frau, die schlussendlich ermordet wird? Wer ist verantwortlich für Neals zerstörte Reisetasche? Und selbstverständlich: Wer ist der Täter? Auf diese Art und Weise, durch das stetige Aufwerfen von Fragen, gelingt es ihm, einen durchgängigen Spannungsbogen aufzubauen, der sich wunderbar mit den diversen Schockmomenten ergänzt.
Auch auf die Gefahr hin bei der Besprechung von Argentos Filmen redundant zu wirken, kommt man trotzdem nicht umhin, wieder einmal die Kameraführung, diesmal unter Luciano Tovoli, besonders hervorzuheben. Grund allein es zu erwähnen, stellt wohl eine der berühmtesten Kamerafahrten bzw. einer der wohl berühmtesten Kameraflüge (neben dem sich in „Opera“ befindlichen Rabenflug) aus Argentos Oeuvre dar. Man gleitet in einer bestimmt 2-minütigen Einstellung über das Haus zweier kurz vor dem Exitus stehender Lesben. Gepaart mit der musikalischen Untermalung stellt das Gezeigte ohne Zweifel einen Höhepunkt dar, welcher selbst über die Jahre nichts von seiner Fulminanz und Virtuosität verloren hat.
Immer ein präsentes Thema in Argentos Arbeiten sind die von Kritikern beanstandeten Gewaltexzesse, die natürlich auch in „Tenebrae“ ihren Weg ins Bild gefunden haben. Man könnte sogar so weit gehen, zu behaupten, dass es hier so explizit und drastisch wie in kaum einem anderen Werk des Meisters zugeht. Hält man sich zwar die meiste Zeit zumindest mit kurzen Gewaltausbrüchen auf, kulminiert das Ganze in einem finalen Blutbad, welches den Puls des Publikums noch einmal richtig beschleunigen kann. Unvergessen: eine Einstellung, in der der Killer passgenau in der Silhouette des nächsten Opfers auftaucht und einem sprichwörtlich das Herz in die Hose rutscht.
Tatwerkzeuge sind in „Tenebrae“ die „üblichen Verdächtigen“, auf die der Mörder als Repertoire zurückgreifen kann. Von der typischen Rasierklinge (offensichtlich die Lieblingswaffe des Regisseurs) bis zum Messer ist alles mit an Bord, wobei man natürlich nicht das Schmuckstück unter den Requisiten- die Axt- vergessen sollte.
Musikalisch greift Argento auf Altbewährtes zurück. Erneut zeichnet sich die Gruppe Goblin für den Soundtrack verantwortlich und es bewahrheitet sich der Spruch „Never change a winning team“. Bis auf kleine Ausnahmen, in denen das Gefühl von billiger 80er- Jahre- Musik aufkeimt, muss man der Soundkulisse eine hohe Qualität attestieren. Die Morde werden mit Nerven zerfetzenden Klängen untermalt, die sich wie ein Ohrwurm in die Gehörgänge einbrennen und dem Film eine angenehm kranke Atmosphäre verleihen. Musikalisch besonders im Gedächtnis geblieben, ist die Flucht eines Mädchens vor einem tollwütigen Kampfhund, während der sie unversehens ins Versteck des gesuchten Mörders stolpert.
Abschließend lässt sich konstatieren, dass „Tenebrae“ sicherlich einen Argento in Hochform präsentiert. Jeder, der etwas für Giallos übrig hat, bekommt hier die Chance ein Meisterwerk zu genießen, das zwar nicht frei von Logiklöchern ist, aber durch seine raue Härte und einen virtuosen finalen Plot-Twist bestechen kann.