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Die Vergangenheit holt dich stets auf die ein oder andere Art und Weise ein- ganz gleich wie sehr du auch versuchst, sie im Nebel der Erinnerungen hinter dir zu lassen. Unsere Aufgabe ist es, sich ihr zu stellen, mit ihr zu leben. So oder so ähnlich könnte man die zentrale Aussage, die uns der italienische Meister des Giallos, Dario Argento, mit „Sleepless“ (2001) zu vermitteln versucht, formulieren. Im Zentrum des Geschehens stehen der pensionierte Inspektor Moretti und der junge Giacomo, welche es mit einer alten Nemesis in Form des tot geglaubten „Zwergenmörders“ zu tun bekommen. An ihnen wird obige Aussage auf den Prüfstand gestellt.

Nachdem Argentos „Goldene Ära“ 1987 mit „Opera“ vorerst ihr Ende gefunden hatte und die qualitativ schwankenden Produktionen der 90er Jahre eher von einem faden Beigeschmack begleitet waren, gibt „Sleepless“ wieder Grund zur Freude. Rein objektiv- und so sehr man es sich auch wünscht- kommt der Film natürlich nicht an Glanzlichter vergangener Tage heran, aber er beweist, dass Argento sein einmaliges Gespür für cineastische Schreckensvisionen durchaus nicht verloren hat.

Vergangenheit ist das übergeordnete Thema von „Sleepless“. Alte Heimsuchungen, Dämonen vergessener oder auch nur verdrängter Tage- sie sind Treibstoff und Essenz zugleich. Aufgrund der oftmals engen Bindung zwischen Argento und seinen Werken gestaltet sich hier die Frage nach einer autobiographischen Komponente wieder einmal als durchweg sinnvoll. „Sleepless“ wirkt wie ein Befreiungsschlag, mit dem der Regisseur seinen Kritikern entgegentritt und beweisen will, dass er noch immer der Alte ist. Dafür besinnt sich Argento auf das, was er am besten kann und schlägt den Weg „back to the roots“ ein. „Sleepless“ will nicht neumodisch sein, er ist kein Kind unserer Zeit. Diese Einstellung erreicht besondere Augenscheinlichkeit, wenn man den drei Jahre später entstandenen „The Card Player“ betrachtet, welcher genau das Gegenteil ist und schon deutliche Züge der Selbstaufgabe und des Selbstverrats in sich vereint.
„Sleepless“ hingegen macht seinen Standpunkt- insbesondere über die Figur des pensionierten Ulisse Moretti (Max von Sydow)- klar. Seine Einstellung zu neumodischen Errungenschaften wie Handys sprechen genauso wie die Dialoge mit seinem „Nachfolger“, Chief Inspektor Manni, Bände. Moretti und Argento also nur Relikte aus der Vergangenheit? Keineswegs, sie fungieren als treibende Kraft, als Motor, sowohl vor als auch hinter der Kamera.

Argento, seines Zeichens für den Bereich hinter der Kamera verantwortlich, scheint jedenfalls seinen Motor an eine Alptraummaschine angeschlossen zu haben, die er auf Hochtouren arbeiten lässt. Heraus gekommen sind dabei allgemeingültige Horrorvisionen, die sich leicht nachvollziehbar und somit umso publikumswirksamer präsentieren. Scheinbar nicht greifbare Bedrohungen, Einsamkeit und Dunkelheit, das sind Ingredienzien, die beispielsweise beim Mord an der Prostituierten im Zug wunderbar zum tragen kommen und eine Atmosphäre der Bedrohlichkeit aufbauen.
„Sleepless“ bietet dem Zuschauer dabei einen gut ausgearbeiteten Spannungsbogen, der den Film mit mannigfaltigen Höhepunkten, die den Puls zu beschleunigen wissen, durchzieht. Die Jagd auf die Prostituierte zu Beginn hat in diesem Kontext prophetischen Charakter, denn man weiß sofort, Argento ist zurück. Dieses wohlige Gefühl wird beinahe über die gesamte Spielfilmlänge aufrechterhalten. Nur zu Anfang des zweiten Drittels sackt „Sleepless“ für kurze Zeit ein wenig ab, fängt sich dann allerdings für ein packendes Finale schnell wieder.

Bei all den positiven Worten muss man jedoch objektiv eingestehen, dass sich Argento mit „Sleepless“ wohl kaum einen neuen Anhängerkreis erschließen kann. Zu zielstrebig- durch Story und Inszenierung- richtet sich das Werk an eingefleischte Fans. Dementsprechend oldschool fallen auch die Effekte aus. Handarbeit wird hier groß geschrieben, sodass sich schnell ein angenehmes 80er- Jahre- Retrofeeling- inklusive trashiger Enthauptungsszene- einstellt. Die Gewaltspitzen sind im Allgemeinen angenehm heftig ausgefallen und reichen bis hin zu einem exzentrischen Englisch- Horn- Mord.

„Sleepless“ ist eine gelungene Wiederbelebung des italienischen Giallos, welchen Argento erfolgreich ins 21. Jahrhundert transportiert. Zwar kommt das Gezeigte nicht mehr so innovativ wie damals in den 80ern daher, jedoch gelingt es Argento, das Genre-Herz noch einmal höher schlagen und einige filmische Fehlschläge- von denen der Größte erst drei Jahre später mit „The Card Player“ folgen sollte- vergessen zu lassen. Für Anhänger des Meisters ist „Sleepless“ definitiv eine sichtenswerte Empfehlung.

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