Review

Aldo Lado legt mit seinem Regieerstling „Malastrana“ (1971)- oder auch „Short Night of Glass Dolls“- einen wirklich beeindruckenden, in sich stimmigen Einstand hin, der für jeden Freund des europäischen Horror-/Thrillerkinos der 60/ 70er ein willkommenes Präsent auf dem Gabentisch des Genres und eine spezielle Bereicherung der Giallobewegung sein dürfte. Schon allein der Cast bestehend aus der hübsch anzuschauenden Barbara Bach, Mario Adorf und Jürgen Drews- in einer Minirolle als Straßenmusikant- ist einen Blick wert.

Der Reporter Gregory Moore (Jean Sorel) wird scheinbar leblos in ein Prager Krankenhaus gebracht, wo er nach kurzer Zeit für tot erklärt wird. Doch was keiner der Ärzte ahnt: Moore lebt. Er befindet sich in einem Scheintotzustand und versucht, während er von seiner Umwelt aufgegeben wird, verzweifelt mit seiner Außenwelt Kontakt aufzunehmen. Aber was ist passiert? Das Letzte woran Moore sich erinnern kann, steht in Zusammenhang mit seiner Freundin Mira Svoboda (Barbara Bach).

Regisseur Lado bedient sich im Fall von „Malastrana“ einer interessanten Variante eine Geschichte zu etablieren: Er präsentiert dem Zuschauer erstmal den (schein-) toten Protagonisten. Reglos und handlungsunfähig liegt Gregory Moore in der Kühlkammer eines Prager Krankenhauses und stellt sich nur eine Frage: „Was ist mit mir geschehen?“ Diese Frage begleitet ihn und ebenso uns fortan über die gesamte Spielzeit des Films, welcher in Form von Rückblenden aus Moores Sicht gleich einem Puzzle Aufbereitung erfährt. Das bewundernswerte diesbezüglich ist, dass Lados narrative Strategie über die Jahre scheinbar nichts an Funktionalität eingebüßt hat. Eher im Gegenteil. Was damals innovativ war, wirkt auch heute noch frisch und verleiht dem Film ungeheure Anziehungskraft, hebt ihn aufgrund seiner wohldurchdachten, verwobenen Struktur deutlich von schlichter gestalteten Genrekollegen ab.

Nicht nur auf inhaltlicher Ebene eröffnet sich dem Zuschauer „Malastrana“ als ein filmisches Erlebnis, auch der technischen Umsetzung des Stoffes lässt sich ein hohes Niveau einhergehend mit besonderer Fingerfertigkeit attestieren. Im Fokus steht Guiseppe Ruzzolinis agile Kameraarbeit, welche dem Werk durch Fahrten und Schwenks eine vitale, eine dynamische Aura verleiht. Lado beweist ein tiefes Verständnis für die Erkundung des filmischen Raums, welchen er genauso sorgfältig erforscht wie der Protagonist Gregory die hintersten Winkel seines Gedächtnisses, um des Rätsels Lösung auf die Schliche zu kommen. Exemplarisch: die POV- Kamerafahrt an Bord des Krankenwagens durch Prag zu Beginn, welche neben ihrer ästhetischen Funktion gleichzeitig die geheimnisvoll- morbide Atmosphäre der Stadt einfängt und den Grundtenor bereits frühzeitig festlegt.

„Malastrana“, wie eingangs geschehen, dem Giallo zuzurechnen, wird dem Werk nicht vollkommen gerecht. Beinahe standardisierte Elemente wie Privatpersonen, die übermäßiges detektivisches Engagement in einem Mordfall o.ä. entwickeln, werden aufgegriffen, jedoch zudem durch die Rahmenhandlung des paralysierten Gregory Moores- welcher innerhalb seines Hirns „ermitteln“ muss- erweitert und zugleich reflektiert. Anstelle auf die Fährte eines genretypischen Serienkillers führen ihn seine Nachforschungen schließlich auf okkulte Pfade, welche an Moores Zustand nicht ganz unschuldig zu sein scheinen. Aus dieser Prämisse bezieht „Malastrana“ einen Großteil seiner Anziehungskraft. Das klaustrophobische Gefühl im eigenen Körper gefangen zu sein, während man seiner Umwelt dabei zu schauen muss, wie sie einen für tot erklärt, bei vollem Bewusstsein abschreibt- einfach Gänsehaut pur., die durch das vielfache Einstreuen von POV- Einstellung Moores, wie er innerlich um Hilfe ringend aber nach außen tot auf den Krankenhaustischen liegt, noch verstärkt wird.

„Malastrana“ ist sowohl aus inhaltlicher als auch technischer Sicht eine sehenswerte Perle des Genres, die weit mehr als 08/15- Standardkost zum Besten gibt. Lado kombiniert eine gemächliche, innovative Erzählweise und okkulte Einsprengsel zu einer überaus sehenswerten Einheit, welche neben einer interessanten Verbeugung vor Hitchcocks elf Jahre älterem „Psycho“ ein herrlich verstörendes Ende für seine Zuschauer in Petto hat. (8,5/10 Punkten)

Details
Ähnliche Filme