Die unzähligen Tarantino-Epigone in Gänze zu verfolgen, ist ja inzwischen ein nahezu sinnloses Unterfangen geworden. Filmplakate und DVD-Cover, die mit großkotzigen Vergleichen prahlen gibt es zuhauf und langsam kann man es wirklich nicht mehr hören - zumal die meisten Beiträge ihre Versprechen nicht mal ansatzweise halten können. Aber mit Blick auf die Verkaufszahlen scheint sich der magische Satz immer noch auszuzahlen. *Nation Ihrer Wahl bitte an dieser Stelle einfügen*’s Antwort auf Quentin Tarantino und Guy Ritchie - das steht unter jedem Versuch, Profit aus dem kultigen Trend zu schlagen. Denn sämtliche Teile dieser Welt wollen anscheinend beweisen, dass sie mindestens genauso cool sind wie der abgedrehte Amerikaner und der trittbrettfahrende Brite. Ich vermute dahinter sogar einen patriotischen Antrieb - nicht umsonst sind es die heißblütigen Länder, die am meisten auf der Welle mitsurfen.
Die Mexikaner sind zweifelsohne ein stolzes Völkchen mit viel Sinn für die eigene Nationalität und so schiebt man dort seit einiger Zeit immer mal wieder kleine Wettbewerbsbeiträge ins Rennen. Aber ebenso wie die Konkurrenz erfasst man von Tarantino meist nur die oberflächlichen Details und ist nicht in der Lage, das Ganze zu erkennen, oder wenigstens es zu reproduzieren. Und nimmt man den später folgenden “Matando Cabos” hinzu, der noch ein wenig unterhaltsamer war, aber von Ablauf und Anordnung her absolut identisch, muss man konstatieren, dass die Gangsterkomödie der kurzfristigen Unterhaltung wegen auf einem Level stagniert. Über Weiterentwicklungen des Subgenres machten sich dann wieder die Originäre (Guy Ritchies “Revolver”) Gedanken.
“Nicotina” befolgt mit seiner Prämisse eine Grundzutat aller Tarantino-Filme, nämlich die Schundphilosophie im Alltag des Durchschnitts-Milieumitglieds (dass das Milieu die Gangsterszene ist, bleibt bei aller Zentralität eigentlich relativ egal). Und diese Grundzutat wird dann in einen Verwechslungsplot à la Ritchie eingebettet, bis es zum auf Zufall errichteten total schrägen Finale kommt. So ähnlich hat das in Deutschland “Lammbock” auch gehandhabt, hier aber eine ganze Spur origineller, da dem mexikanischen Pendant Martín Salinas (Drehbuchautor) nichts weiter einfällt, als eine Beiläufigkeit aus den Vorbild-Produktionen (die “Red Apple”-Zigarettenmarke als kontinuierliche Verbindungsstelle zwischen “Pulp Fiction”, “From Dusk Till Dawn” etc.) zum zentrifugalen Aufhänger seiner eigenen Geschichte zu machen. Zum einen charakterisiert die Zigarette das Milieu zwischen nervöser Hektik und cooler Gelassenheit, zum anderen wird sie zum Symbol für ein Zufallsprodukt gemacht. Ein Raucher listet hier unbeirrt diverse Statistiken auf, um zu belegen, dass Raucher gar nicht früher sterben als Nichtraucher - und in diesem Metier mag das sogar stimmen, denn der Zigarette könnte immer eine Kugel zuvorkommen.
Also füllt Hugo Rodríguez (Regisseur) die vom Drehbuch vorgegebene Schale mit allerhand Charaktermüsli, und zwar so rasant wie möglich: ein Computerhacker wird eingeführt, seine Nachbarin, ein Gangsterboss, ein Barbier und seine geldgierige Frau, ein Apothekerpärchen, zwei Laufburschen und und und. Verdichtet mit einem fetten Soundtrack mit Big-Beat-Einschlag - der nie auf Stil, sondern stets auf Effekt bedacht ist - wird die Handlung schnell vorangetrieben, so schnell, dass sie als Echtzeit zu verstehen ist. Damit fällt auch die Möglichkeit der Rückblende oder der verdrehten Filmkapitel weg, lediglich einen rasenden Schnittstil und gelegentliche Zeitlupen und Scanner, die ein bestimmtes Element der Szene per “Suchkasten” hervorheben, erlaubt man sich, um formell aus der Masse zu ragen.
Doch genau dieses Aus-der-Masse-ragen will “Nicotina” nicht gelingen, weil er trotz seiner Schnelligkeit doch recht unspektakulär gefilmt ist und vor allem, weil die Figuren eigentlich durch die Bank alle nicht richtig funktionieren. Dazu fehlt es ihnen zu sehr an Macken. Sie sind zu glatt und ihre Eigenschaften kennt man in viel überspitzterem Maße noch alle aus anderen Filmen. Alejandro Lozanos “Matando Cabos” wirkt daher fast wie ein das Original übertrumpfendes Sequel, denn der Stil ist zwar fast identisch, doch die Charaktere und einige Ideen in der Inszenierung wurden aufgepeppt.
Auch im Plot fehlen die Überraschungen. Da misslingt ein Coup wegen individueller Fehler, die Beute gerät in die Hände normaler Bürger, Gesten werden mit fatalen Folgen missverstanden und so weiter. Zwischendrin sollen kleine Einlagen für Amusement sorgen wie die, als es sich eine fette Spinne ausgerechnet genau auf der Linse einer Überwachungskamera gemütlich macht.
Das ist ja alles ganz nett, kommt aber zehn Jahre zu spät und taugt daher heute nur noch für gepflegte Unterhaltung in der Runde, die man im Normalfall aber schon beim zweiten Film des Abends wieder vergessen hat. Es sei denn, Raucher und Nichtraucher teilen sich den Abend, dann könnte er Grundlage für eine hübsche (Nicht-)Quarzerdebatte sein. In dem Fall empfehle ich mit “Thank You For Smoking” und “Quitters, Inc.” aus Stephen Kings “Katzenauge” abzuschließen.