Um die weit verbreitete, berüchtigt-berühmte und anerkannte Wahrheit zwecks größtmöglicher Konfusion ganz unverblümt, schmerz- und schnörkellos vorwegzunehmen: „Demonia“ ist einer der schlechtesten Horrorfilme der mir je unter meine entjungferten Augen gekommen ist. „Sieben Punkte!“ schreien die perplexen Leser und die Kenner des Films mit dem Verdacht – oder dem Bewusstsein – das eine solche Wertung für diesen Film nüchtern betrachtet an Größenwahnsinn grenzt. Um plausibler diese ungeheuerliche Wertschätzung zu erörtern und sie euch einigermaßen glaubhaft unter die Nägel zu jubeln möchte ich einleitend kurz die verschiedenen Stadien filmischen Scheiterns und deren mögliche Auswirkungen auf die psychische Befindlichkeit des Zuschauers beschreiben und anhand dieser Blaupause detaillierter auf meine abartige Zuneigung für Lucio Fulcis Spätwerk „Demonia“ eingehen.
Von einigen aufgeschlossenen Filmwissenschaftlern und Psychoanalytikern seit kurzem anerkannt ist die umstrittene Theorie, das sich Publikumsreaktionen auf Filme minderer Qualität, bzw. geringer Popularität in drei Stadien von unterschiedlicher Intensität und pathologischer Gesundheitsschädlichkeit aufgliedern lassen und wie folgend zusammengefasst werden können:
1. Der so genannte „Trash“. In diesem frühen, keineswegs zur Sorge Anlass gebenden Stadium ist der Zuschauer in der Regel bereit, dem filmischen „Produkt“ seine offensichtlich desaströsen handwerklichen und dramaturgischen Defizite zugute zu halten und sie mit vergnügtem, dezent schadenfrohen Gelächter zu quittieren. Das nennt sich dann „unfreiwilliger Humor“. Man amüsiert sich eben über jenes Unvermögen und spricht danach in Kenner-Kreisen oft liebevoll von einem Film „so schlecht, dass er schon wieder gut ist“. Die erstaunlich konsequente Verleugnung oder Verzerrung von tatsächlichen filmischen Defiziten in diesem Zustand konnte wissenschaftlich bislang noch nicht verortet werden und hat bis heute den Status inne, eines der letzten ungelösten Rätsel der Menschheit und ein kurioser Auswuchs von Kunstverständnis zu sein.
2. Bleibende Schäden und therapeutisch kaum zu behebende Traumata kann jedoch die zweite Stufe hervorrufen die im Gegensatz zum „Trash“ bei den betroffenen Zuschauern zu Missgunst, Realitätsverlust, Wut bis hin zu schweren Aggressionen führen kann. Vergnügen oder gar Zufriedenheit werden hier kaum noch wahrgenommen, das Opfer ist vollkommen eingenommen vom Ärger über den lautstark mit vulgären Adjektiven wie „mies“, „grottig“, „scheiße“ oder „zum kotzen“ beschimpften Film. In besonders schweren Fällen sollen die Betroffenen noch tagelang lauthals über ihr einschneidendes Erlebnis lamentiert haben. Eine effiziente und langfristig erfolgreiche Behandlungsmethode wurde bislang leider noch nicht entwickelt, einige Workshops in so genannten „Arthouse“-Kinos bemühen sich allerdings mit sehr zweifelhaften Ergebnissen und nicht minder ominösen, esoterischen Methoden um die Genesung armer Geschädigter.
3. Das dritte und gefährlichste Stadium stellt glücklicherweise eine medizinische Rarität dar und tritt – wenn überhaupt – nur vereinzelt als Folgeerscheinung von jahrelangen, exzessiven „Trash“-Praktiken auf als eine Art „Delirium tremens“ Trash-süchtiger Cineasten. Nur außerordentlich geringe filmische Qualität, die sich nicht mehr nach den Maßstäben der 1. und 2. Stufe messen lässt, kann solche Reaktionen hervorrufen. Der Delinquent verharrt in einem Zustand morbider Faszination willenlos und bereit, all jene Nachteile, die man einem im herkömmlichen Sinn als „schlecht“ kreditierten Film zuschreiben kann, als unbezahlbare Vorzüge anzuerkennen und somit das Innere aller bestehenden Prinzipien zur sachlichen Filmrezeption nach außen zu kehren. Vorübergehender, völliger Realitätsverlust ist nicht auszuschließen. Die Gefahr dieses Stadiums besteht weniger in Langzeitschäden als vielmehr in einer Art komatösem Zustand geistiger Umnachtung und einem Verlust rationaler Vernunft von dem sich das Opfer erst nach mehreren Stunden erholt ohne allerdings die schwer zu verarbeitenden Erinnerungen über einen längeren Zeitraum hinweg zu kompensieren.
Ein mustergültiges Beispiel für ein Filmerlebnis dieses dritten, komatösen und besorgniserregenden Grades ist „Demonia“, einer der letzten Kinofilme des einst gefeierten italienischen Vielfilmers Lucio Fulci, der nach einer langen Karriere in unterschiedlichsten Metiers in den späten 70zigern und frühen 80zigern späten Ruhm für seine überaus blutrünstigen und suggestiven Horrorfilme erntete. „Demonia“ sollte ganz offensichtlich in deren Kerbe schlagen und an die Glorie vergangener Tage anknüpfen, versagt aber durchgehend mit einer unvergleichlichen Konsequenz.
Um unmissverständlich und im direkten Bezug auf die obige Erläuterung das Risiko zu beschreiben, das von „Demonia“ für den Zuschauer ausgeht sollte eine komprimierte Aufzählung der Defizite dieser Low-Budget-Produktion – die wohlgemerkt allerdings nichts amateurhaftes an sich hat wie oft behauptet wird – von nutzen sein:
Drehbuch, Dialoge, Darsteller, Schnitt, Handlung, Kamera, Beleuchtung, Originalität, Charakterzeichnung, Beleuchtung, Kurzweil und Dramaturgie – all diese essentiellen Schlüsselbegriffe die ein umsichtiger Filmemacher mit unterschiedlicher, individuell gelagerter Gewichtung berücksichtigen sollte um sich eines gewissen populären und künstlerischen Erfolges zu versichern, werden in „Demonia“ mit nahezu bewunderungswürdiger Standhaftigkeit verleugnet oder ungeduldig abgefertigt.
Er ist deswegen zwar noch kein Meilenstein des schlechten Films da er, um diesen stolzen Status für sich beanspruchen zu können, schon auch auf eine kreativere Art und Weise schlecht sein müsste, seine Konsequenz ist jedoch zweifellos denkwürdig. Den eitrigen Windungen eines vom Trash gegerbten Hirns könnte eine wüste Assoziation zu Jean-Luc Godard und seinem ewigen, manieriert-infantilen Kriegszug gegen sämtliche Konventionen des „bourgeoisen“, konsumierbaren Kinos in den Sinn kommen. Wenn Godard der subversiv-intellektuelle Müllmann des europäischen Autorenfilms ist, so darf Lucio Fulci nicht nur aber selbstverständlich auch wegen „Demonia“ für sich in Anspruch nehmen, feister Opiumlieferant fürs Horrorvolk zu sein. Denn so unwirklich konsequent wie hier alle Grundsätze filmischer Qualität außer Acht gelassen werden und Fulci uninspiriert Versatzstücke aus seinen früheren Kassenerfolgen (u. a. „L’Aldila“, „Paura nella città dei morti viventi“ und „Manhattan Baby“) zum teilweise dritten Mal verbrät meint man hinter diesem unschuldigen Schrotthaufen von Film schon beinahe mutwillige Boshaftigkeit und sture Schadenfreude von Seiten des Regisseurs zu spüren. Verbittert und mit gerunzelter Stirn signalisiert er uns unmissverständlich: „Rutscht mir alle den Buckel runter!“
Dabei geht der als Mensch bis heute rätselhafte Filmemacher das Ganze im Grunde sogar verlockend und appetitlich an: Irgendwann im finsteren Mittelalter – macht uns zumindest eine Schrifttafel weis – werden in den düsteren Grüften (neben mysteriösen Verzerrungs- und Blaufiltern sowie kräftigen Zooms, bevorzugt auf – nanu? - vor Schreck geweitete Augen, ein unverzichtbares Requisit in diesem Film) eines sizilianischen Klosters einige Novizinnen unter großem Geschrei ans Kreuz genagelt wobei ihre verkommenen Seelen – Nymphomaninnen, Satansanbeterinnen und Kindermörder waren sie alle fünf was wir selbstverständlich in Rückblenden erfahren – sich im Todeskampf zu dem obligatorischen Fluch vereinen. Der bleibt in jener Gruft für einige Jahrhunderte gefangen bis – wie das Leben natürlich so spielt – ein okkult vernebeltes blauäugig-doofes amerikanisches Blondchen namens Liza die dämonischen Schwingungen und ihre damit mystisch verknüpfte Berufung spürt und ihr überraschenderweise nichts besseres einfällt, als die zugemauerte Gruft wieder zu öffnen. Unterbrochen wird sie dabei von einem jungen sizilianischen Macho-Bombenleger, der ihr erbost zu verstehen gibt das sie inmitten dieser kulturell signifikanten historischen Güter nichts zu suchen hat:
„Sie werden für ihr Tun bezahlen, das schwöre ich ihnen! Das ist das Wort von Turi de Simone, dem Metzger von Santa Rosalia!“
Furchteinflößend. Dem hier suggerierten, natürlich irrealen Eindruck folgend, das dem Metzger in diesem italienischen Kaff auch die Funktion des Bürgermeisters obliegt, vereint sich das archaische Volk von Santa Rosalia im Finale dann schließlich auch zu einer aufgebrachten Meute, die im Showdown in bester Hexenhatz-Tradition mit Sensen und Fackeln dem spukigen Treiben in dem Kloster ein Ende bereiten will. Überhaupt kommt die bäuerliche Bevölkerung hier, ebenso wie in zahlreichen anderen Werken Fulcis und im besonderen seinem herausragenden Giallo „Don’t torture a duckling“ alles andere als glimpflich davon: Ungebildete, religiös verblendete und dummdreiste Proleten, das sind sie alle miteinander. Auch wenn Fulcis künstlerischer Wille in „Demonia“ kaum noch zu verspüren ist: Zwei seinem Oeuvre durchgehend immanente Thesen, das Verhängnis von kirchlicher Religiosität und die zahlreichen Möglichkeiten gesellschaftlichen Scheiterns in entlegenen Landstrichen, finden sich auch hier in banaler, aber omnipräsenter Ausführung wieder.
„Was passiert dann?“ hecheln die Kinder, begierig auf den Ausgang ihrer Gutenachtgeschichte. Nun, was weiterhin passiert muss eigentlich nicht weiter erläutert werden sondern kann von jedem, der auch nur eine gewisse „Grundausbildung“ in den Regeln des Genres genossen hat, zwischen den Zeilen gelesen werden. Die ruchlosen Geister der geilen Hexen entfleuchen dem gruftigen Gefängnis alsbald um sich mit erfinderischen Methoden am Blut der armen Dorfbewohner zu laben die durch Katzenkrallen ihre Augen verlieren, tiefgefroren und mit der Zunge an Hackstöcken festgenagelt sowie von Pferden entzwei gerissen werden. Die Entscheidung darüber, ob diese lustige Episoden-Schubserei als eine kleine Reminiszenz an das von Fulci dereinst ebenfalls – und das mit beachtlichem Erfolg - beackerte Giallo-Genre oder nur eine kleine, unauffällige Drehbuchschwäche ist, bleibt natürlich dem Zuschauer überlassen. Diese Frage, man verzeihe mir diese resignierende Lakonie, stellt sich im Grunde natürlich gar nicht erst - was aber andererseits einem erfreulich kumpelhaften und vertrauten Verhältnis von Regisseur und Zuschauer den Weg bereitet. Wo bleibt die Cervisia?
Oh ja, Cervisia, Vino oder Grappa wären so mancher Pappnase sicherlich genehmer um genannten Zustand Nr. 3 zu erreichen. Als furchtlose Cineasten lehnen wir solch bequeme Ausweichmanöver auf einfache Genussmittel und Drogen selbstverständlich ab. Nur die Harten kommen durch, das lehrt uns „Demonia“ gönnerhaft und differenziert. Professor (Brett) Halsey jedenfalls gehört eindeutig nicht zu den Zarten und bleibt im Angesicht all dieser Magenwendenden Scheußlichkeiten amerikanisch-lässig und verzieht keine Miene. Klar, was wäre er auch für ein Archäologieprofessor wenn er das nicht überstehen würde? Ein begnadeter Mime, dieser Brett Halsey.
Den „Darstellern“, ganz besonders der anführenden Über-Knallchargin Meg Register (eine amerikanischen TV-„Schauspielerin“), glückt das seltene Kunststück, Blicke in gefrorenen Gesichtern sprechen zu lassen und mit sich stetig wiederholenden schreckensstarren Augen oder suspekt-verdrießlichen „Was ist denn das?“-Blicken dem Zuschauer zu signalisieren, dass ihnen die ganzen Vorgänge um sie herum sonst wo vorbei gehen. Die Register scheint gegen die massive Ratlosigkeit die die unheilvolle Frucht nicht nur mangelhafter Regieanweisungen zu sein scheint, mit einem geradezu trotzigen Starrsinn und völliger Versteinerung zu reagieren. Selten war ein ausdrucksloses Gesicht aussagekräftiger.
Doch aus einer solchen Sackgasse der Talentlosigkeit wussten sich im Laufe der Filmgeschichte bislang schon zahlreiche Produktionen durch einen verzweifelten Aufschrei zu retten: „SENSATION!“. Fulci-Kenner wissen um die sensationellen Fähigkeiten des griesgrämigen Regisseurs und da er in diesem Fall um ein Höchstmaß an Konventionalität bemüht gewesen zu sein scheint – Dogma -426? – sollte man mit den seit Klassikern wie „Lizard in a woman’s skin“ oder „Geisterstadt der Zombies“ lieb gewonnenen surrealen Einlagen nicht rechnen. Plan B der heute gemeinhin in wenig romantischer und gerechter Fan-Nostalgie als Fulcis herausragendstes Markenzeichen gilt, ließ sich allerdings auch unter dem Joch dieser erdrückenden Konzeption durchführen und so erhält der geneigte Zuschauer in nicht einmal allzu geizig bemessener Menge genau das, was er sich resigniert als letzten Hoffnungsschimmer vom Film erwartet: Gore. Hämoglobin. Gedärme. Fleisch. Das die Umsetzung dieser gemeinen kleinen Sauereien technisch nicht gerade erste Sahne ist wird im Rahmen dieses alle Rahmen sprengenden Films wohl niemanden besonders traurig stimmen. In einem Film wie diesem, der sein Publikum wie ein Faustschlag trifft erscheint die Zerstörung und Verstümmelung menschlicher Körper schließlich und endlich nur logisch und konsequent, nicht zuletzt auch den misanthropischen Tendenzen in der Geisteshaltung seines Regisseurs entsprechend.
Als unverzichtbare, garantiert glutamat- und vitaminfreie Gewürzmischung sei an dieser Stelle auch die sagenhaft versaubeutelte deutsche Videosynchro empfohlen, die Oliver Krekel seinerzeit sicherlich aus der Hosentasche zahlte und die dem qualitativ etwas hochwertigeren englischen Dub unbedingt vorzuziehen ist – erst diese unartikulierten Plastik-Stimmchen die den Verdacht wecken das man hier einige Büroangestellte aus dem Kantinenschlaf heraus engagiert hat, versetzen dem Film den endgültigen Gnadenstoß, lassen ihn kaputt und einer Diabeteskranken Rentnerin gleich kraftlos zu Boden sinken. Niemand würde einem solchen Verscheiden schadenfroh beiwohnen. Oder?
„Demonia“ ist wahrlich ein aasiger Urinstein aus dem Pissbecken der (Horror-)Filmgeschichte. Ein Film der sich weder als Trash kurzweilig über seine 90 Minuten Laufzeit hinwegrettet noch als Horrorfilm verstört oder als Autorenfilm von einem tieferen Sinn (Himmel, nein!) aufgewertet wird. Ein Film, dessen Darsteller wie verstrahlte Junkies von einem anderen Planeten agieren. Ein Film, den ich reinen Gewissens niemandem weiterempfehlen kann und nichtsdestotrotz nach persönlichem Ermessen als sehenswert einstufen würde. Denn ganz unabhängig von der ernüchternden und ungemein voreinnehmenden Aufzählung, was „Demonia“ alles nicht ist, wird das, was er letztendlich ist nur in wenigen Wagschaalen schwer wiegen: Er ist ganz, ganz großer Schlock, so drastisch aufgrund seines Verstoßes gegen qualitätsverwöhnte Sehgewohnheiten und die Erwartungshaltung, die man an einen begabten Regisseur wie Lucio Fulci eigentlich stellen kann, kurz: Er ist so derart missraten, das ihm schon beinahe eine exotische, ja surreale Aura anlastet die nichts mehr mit Trash zu tun hat sondern eine ganz andere, in schweigend-ungläubiger Andacht wahrgenommene Faszination im hilflos ausgelieferten Zuschauer evoziert. Wie auch immer dieses Desaster zustande kommen konnte – ein gewisser, verlorener Charme geht aus von der „Ach, ist mir doch scheißegal“-Ehrlichkeit mit der die Mentalität hinter dieser filmischen Katastrophe offen vor den Augen des Zuschauers ausgebreitet wird. Pardon. Ich habe mich vielleicht missverständlich ausgedrückt, Verzeihung. Ich möchte schließlich niemandem dieses Ungetüm in fahrlässiger Absicht aufhalsen, daher fasse ich noch einmal zusammen: „Demonia“ ist schlecht. Sehr, sehr, sehr schlecht. Er ist kein Trash, er ist nicht kurzweilig, amüsant oder subtil. Er ist so schlecht, das er völlig unfreiwillig eine Suggestivität erzielt von der viele, tiefer im Misthaufen des Schlock-Kinos begrabene Werke nur träumen können. Als Homo sapiens vergebe ich die einzige angemessene Wertung: 1/10. Als für kinematographische Manipulationen aller Art offener Freigeist honoriere ich dieses abscheuliche Werk entzückt mit 7/10 und erwarte die nächste Sichtung mit jener Spannung, die im Film nicht einmal periodisch aufkommt.
Ich hoffe, ihnen die filmische Wertigkeit dieses Werks nachvollziehbar geschildert zu haben.