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"Ein Schaf ist von der Wolle" ist ein Film für Bud Luckey. Wer ist nun Bud Luckey? Es handelt sich hier zum einen um den Macher dieses Kurzfilms - er führte Regie, sprach die Charaktere, kümmerte sich um die musikalische Begleitung etc. Zum anderen ist er der fünfte Zeichner, der von Pixar eingestellt wurde. Zuvor hatte er Jahrzehnte Erfahrung gesammelt im Zeichnen von traditionellen Trickfilmen.

In diesem Kurzfilm, der im Kino auf den Pixar-Film "Die Unglaublichen" einstimmte, geht es um ein Schaf, das mit seiner prachtvollen Wolle im Mittelpunkt des Interesses steht. Als jedoch der Frühling anbricht, wird es geschoren - die Pracht ist dahin, das Schaf ist todtraurig. Doch dann trifft es auf einen guten Freund, der ihm beibringt, dass das gar nicht so schlimm ist; wenn man unbeirrt und voller Freude weiter durchs Leben hüpft wie zuvor, ist das verlorene Wollkleid schnell vergessen.

Die Botschaft ist nicht schwer zu begreifen: man soll das Leben nehmen, wie es kommt. Genau dieser Aspekt ist einer der Punkte, weshalb Bud Luckey von seinen Kollegen so geschätzt wird. Nach jahrelanger Arbeit in der Zeichentrickabteilung ist er einfach so ins CGI-Animations-Abteil gesprungen, ohne großartig der Vergangenheit nachzuweinen. Jetzt, wo der traditionelle Zeichentrick stirbt, hat er sich schnell den neuen Bedingungen angepasst und sich eben an den Computer gesetzt anstatt ans Zeichenbrett. Die Gabe, das Leben so zu nehmen, wie es kommt, war Pixar diesen Kurzfilm wert, der schlußendlich eine Hommage an den verehrungswürdigen Bud Luckey wurde.

Wenn das Schaf zu Beginn also mit seiner prachtvollen Wolle dasteht, wird damit zunächst die Blütezeit des Zeichentricks dargestellt - von "Bambi" bis zum "König der Löwen", wo die Disney-Filme noch wahre Events waren und zahlreiche andere Produktionsstätten im Disney-Fahrwasser schwammen.
Die heutige Zeit sieht anders aus: Fox hat nach dem gefloppten "Titan A.E." die Zeichentrickabteilung eingestellt und feierte anschließend einen großen Erfolg mit der krassen Herde aus "Ice Age". Zuletzt musste auch der Gigant Disney kapitulieren: "Die Kühe sind los" war das sehr halbherzige und bislang letzte traditionelle Zeichentrickprojekt aus der Geburtsstätte von Donald und Micky, von Arielle, Bambi und Dumbo, von Tarzan, Mogli, Simba und wie sie alle heißen.
Wenn das Schaf also nun geschoren wird, ist das ein Bild für den wirtschaftlichen Wandel, für die Ablösung des Zeichentricks durch den computergenerierten Animationsfilm. An sich eine traurige Sache, gehören handgezeichnete Filme doch zu den Kindheitserinnerungen von Millionen von Menschen. Doch es wächst eine neue Generation an, die den Gefallen an Computerbildern gefunden hat. Für die ältere Generation (obwohl die CGI-Spektakel ja auch für diese etwas bieten kann) mag das ein Grund zur Trauer sein - wie für das Schaf, das nackt im Regen steht und von den Tieren aus der Nachbarschaft (Kritiker? Publikum?) ausgelacht wird.

Es bessert sich erst, als ein guter Freund (eine Fabelfigur) dem Schaf rät, die fehlende Wolle zu ignorieren und einfach weiterzumachen. Und prompt stellt sich die Lebensfreude wieder ein. Im übertragenen Sinne: man soll es wie Bud Luckey machen und sich der neuen Herausforderungen annehmen. Denn irgendwann wächst die Wolle (der Erfolg) wieder nach. Life goes on.

Der Höhepunkt, nämlich der Moment, in dem das Schaf aus freien Stücken wieder voller Lebensfreude durch die Gegend hüpft, wurde dann in einer 360°-Spirale eingefangen. Dies ist ein Anzeichen auf die neuen Möglichkeiten, die der Animationsfilm gegenüber dem Trickfilm bietet, die positiven Aspekte des Neuen: die Dreidimensionalität als Charaktermerkmal der neuen Generation des animierten Films. Ein wundervoll dargestellter Höhepunkt des Kurzfilms.

Natürlich darf die dargebotene Message auch auf alle anderen Lebensfelder übertragen werden, nicht nur auf den Übergang vom Trickfilm zum CGI-Film. Egal, in welcher Hinsicht: die Kraft, trotz aller Schicksalsschläge einfach weiterzumachen, gilt als oberste Prämisse.

Eingebettet wurde dieser recht moderne Inhalt in eine überraschend traditionelle Erzählstruktur, die bisweilen an "Der kluge kleine Gockel" erinnert, in dem erstmals Donald auftauchte. Banjos und klassische Gitarren untermalen den großväterlichen Sprechgesang, der in rhythmischen Schüben die Geschichte erzählt und die Moral verbreitet, und der zum Ende hin in tatsächlichen Gesang überleitet. Vielleicht wählte man dieses narrative Muster, um bei all den Neuerungen den altmodischen Zeichentrick zu ehren und ihm Respekt zu zollen.

Alles in allem ein wundervoller und tiefsinniger Kurzfilm, der Bezug nimmt auf die eigenen Hintergründe und Kindern, vor allem aber Erwachsenen (die sich ja vielmehr kulturellen Zwängen zur Veränderung ausgesetzt sehen) eine wertvolle Botschaft mit auf den Weg gibt. Ich persönlich mag allerdings Gesang in Trickfilmen nicht, weshalb es von mir persönlich einen Punkt Abzug von der eigentlichen 9-Punkte-Note gibt - obwohl der Gesang hier keineswegs unangebracht ist, sondern seinen Zweck erfüllt. Wer mit Gesang leben kann, der möge noch einen Punkt hinzuzählen.

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