Auf den ersten Blick scheint es eine comichafte Überzeichnung zu sein, die sich in dem kleinen Convenience Store abspielt, eingefangen mit einer 16mm auf Kodak-Material (good ol’ Kodak). Allerlei seltsames Gesindel mit Spleens und Macken der besonders abartigen Sorte, kulminierend an einem einzigen Arbeitstag, zu dem Shop-Runner Dante, ganz in Tradition seines historischen Namensvetters und Dichters Dante Alighieri, nur eines zu sagen hat:
I’m not even supposed to be here today!
Kevin Smith konnte ja gar nicht ahnen, welchen Mikrokosmos er mit “Clerks” in Gang setzte. Dieses Jahr, zwölf später an der Zahl, wurde der sechste Planet in Form der ersten direkten Fortsetzung namens “Clerks II” hinzugefügt und das spartanische Debüt ist in Indie-Kreisen längst Legende, sein Erschaffer, zum Erschaffungszeitpunkt selbst noch von chronischer Pleite geplagter Angestellter eines Ladens, eine umfassend verehrte Gottheit. Die kleinstadtphilosophische Direktheit folgt dem Konzept der, ich möchte es mal so ausdrücken, mikroperspektivischen Vertikalität: Ganz oben ist das ordinäre Leben, aber wenn man sich traut, in der Scheiße zu wühlen, entfalten sich die Wahrheiten des Lebens. Gott segne Jay und Silent Bob, die das Leben stichwortgeberartig verkörpern, ohne selbst davon etwas zu wissen, und gesegnet sei dann auch noch der Videothekar Randal, dessen nichtsnutziger Lifestyle nur ein Spiegelbild seiner Fähigkeit ist, das Leben zu durchschauen. Er kann die Tumbheit Jays und die Verschwiegenheit Bobs durchschauen und analysieren. Randal ist der Lehrer, sein Geschäftsnachbar Dante der Schüler, und an diesem Tag, an dem er eigentlich gar nicht hätte im Laden sein sollen, bekommt Dante die Lehrstunde seines Lebens.
Fast collagenhaft wird Dantes Arbeitstag zusammengerafft und in einem Best Of der kuriosesten Momente - und davon gibt es einige - wieder ausgespuckt. Jay, der nichts besseres zu tun hat, als mit seinem Kumpel den ganzen Tag vor dem Ladenfenster abzuhängen und Drogen zu verticken, hängt in seiner Infantilität eine Sprechblase aus Papier vor die Eingangstür aus Glas, auf der geschrieben steht: “I eat cocks”, und ruft den Kassierer zu sich, so dass er sich unwissend vor die Sprechblase positioniert. Natürlich, das Regiedebüt des erklärten Comic- und Filmfanatikers wird zur autobiographischen Comicepisode. Wie in Tusche gemalte Charakterköpfe, die sich über das Leben unterhalten. “Clerks” könnte auf seinen wesentlichen Zynismus reduziert glatt aus Harvey Pekars Feder stammen, doch Kevin Smith ist hier der Autor. Der Faktor Zeit bei der Erbauung des Todessterns wird unter Smith zur tiefgehenden philosophischen Auseinandersetzung darüber, ob “The Empire Strikes Back” oder “Return of the Jedi” nun der bessere Star Wars-Film ist, und ein Chip in einer Dipsauce wird automatisch zur Rückenflosse des weißen Hais. Elemente des Phantastischen, die Smith jedoch nicht als solche verstanden wissen will. Vielmehr räumt er mit dem Klischee auf, dass Comics weltfremde Fiktion sein müssen. Sicher, ein Mann, der sich auf den Boden setzt und alle Eier auf der Suche nach dem “perfect dozen” kontrolliert, oder ein Toter, der nach seinem Exitus noch auf der Ladentoilette sexuell bedient wird, das hört sich alles verdammt schräg an, ist aber in der Theorie nicht unmöglich. Das Leben ist voller Exzentrik und gerade in einem kleinen Laden begegnet man wohl allerlei unvorstellbaren Wahnsinns, wie ich mit meiner langjährigen Erfahrung als Tankstellenmitarbeiter feststellen möchte. Rekapitulierend sehe ich einen Mann vor mir, der fünf mal an einem einzigen Tag sein Portemonnaie vergisst, eine Frau, die mir bildhaft einen Drogentrip beschreibt, einen jungen Kerl, der mir in den Laden kotzt und dann abhaut und sogar eine vorgehaltene Waffe. Kevin Smith wird ähnliche Erfahrungen gemacht haben, in ihrem Absurditätsgrad je nach Lage des Stores wohl variierend. Und wenn so viele verschiedene Menschen an einem Ort zusammenkommen und immer die gleichen Bitten vortragen (“Ein Päckchen Zigaretten, bitte!”), wird vor allem eines überdeutlich: Das lemminghafte Massenverhalten der Menschen in ihren normierten Abläufen. Tag ein, Tag aus dasselbe. Dante ist dieser Erfahrung noch hinterher und muss sie auch erstmal auf sein Privatleben übertragen mit seiner neuen Freundin, die nur mit zwei anderen Männern Sex hatte (wenn man es rein technisch betrachtet) und seiner alten Freundin, die zu ihm zurückgekehrt ist. Randal hingegen hat’s längst begriffen und deswegen spuckt er einem Kunden einen Mundvoll Wasser ins Gesicht - denn so etwas würde man von einem Kassierer ja nie erwarten.
Das ursprüngliche Rating mit NC-17 ist einzig und alleine auf die bildhaften Dialoge zurückzuführen. Grafische Fäkalien, Sex und Gewalt gibt es nicht (obwohl ein alternatives Ende den gewaltsamen Tod eines Protagonisten vorsah), verbal von allen Kategorien aber zuhauf. Sprechende Gesichter hinter der Ladentheke, auf dem Dach beim Hockeyspiel oder im Auto, stets jedoch in stark begrenzten Handlungsräumen, kammerspielartig ist alles auf Mimik und Gestik der Akteure ausgerichtet. Die Kamera fängt das Treiben wie Highlights ein, im fliegenden Wechsel zwischen Statik und verwackelter Dynamik. Der Soundtrack trifft nach Holzhammermethode mit Songs von Stabbing Westward, Bad Religion, Alice in Chains oder Soul Asylum immer voll ins Schwarze - die Ausgaben haben sich gelohnt. Jeder Abschnitt erfolgt unter einem weiß auf schwarz eingeblendeten Stichwort bis zur reinigenden Katharsis, in der Dante endlich wachgeschüttelt wird. Manche Ereignisse werden noch Konsequenzen für die Zukunft haben, in die jeweils späteren Abschnitte einwirken. Kleine Pointen in einem ansonsten wilden, vom Zufallsprinzip des Alltags geleiteten Storyverlauf.
Der Humor folgt nicht einem einheitlichen Prinzip, sondern bedient aufbauend auf den unterschiedlichen Charakteren unterschiedliche Richtungen, ohne dabei jemals improvisiert zu wirken. Im Gegenteil, jede Phrase ein Volltreffer. Und wenn sich Dante mit seiner Freundin unterhält, kommt man kaum mehr mit, die kleinen, feinen Hiebe zu erkennen, ein Netz aus Zynismus und Sarkasmus zwischen dem triefenden Chauvinismus des Mannes und der emanzipatorischen Großkotzigkeit der Frau - schlussendlich aber doch mit gegenseitiger Wertschätzung füreinander. Der alte Mann, der die Toilette benutzen möchte, spielt durch den ständigen Eintritt in und Austritt aus dem Kamera-Off mit dem zu Erwartenden. Die begeisterte Euphorie des Anti-Raucher-Propagandisten (als Kevin Smith das Skript schrieb, noch eine persönliche Einstellung) wird in einer peinlichen Situation aufgelöst, als der Mann enttarnt wird - als Kaugummi-Vertreter (Hört auf zu rauchen - nehmt euch lieber einen Kaugummi). Ein Prinzip, das man sich besser hinter die Ohren schreiben sollte: Der Kommerz obsiegt immer über die Überzeugung.
Ein im Ganzen faszinierendes Kaleidoskop der alltäglichen Kleinigkeiten, die nur unter dem Mikroskop zu erkennen sind - das ist es, was sich Kevin Smith in den Anfangstagen seiner Karriere als Regisseur mühsam zusammengekratzt hat, um den durch und durch sehenswerten, teilweise ausgezeichneten Jersey-Zyklus realisieren zu können. Das Indie-Debüt des Kultregisseurs schreckt nicht davor zurück, authentisch zu sein. Ohne Rücksicht auf Verluste schlägt der Videothekenangestellte einer Mutter und ihrem Kind Pornotitel entgegen, als er mit seinem Lieferanten telefoniert, und ebenso wird man hier mit Sexual- und Fäkalsprache zugekleistert, als gäbe es kein Morgen. Ein Ausdruck des ordinären Lebens. Dantes bekanntestes Werk ist “Die Göttliche Komödie” - eine solche hat Kevin Smith mit seinem ersten Werk ebenfalls hingelegt.