Review

Die politischen Ereignisse im Deutschland der 30er Jahre hatten einen nicht zu verleugnenden Einfluss auf die Entwicklung der damaligen lokalen Kinolandschaft. Gründe dafür finden sich zum einen in der NS- Förderung bzw. Steuerung von Kunst und Kultur zu Propagandazwecken (siehe Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ & den „Olympia“- Zweiteiler), zum anderen in strengen Restriktionen (Stichwort: Berufsverbot für Juden, Unterdrückung von Kritikerstimmen) für die Kunstschaffenden des 3. Reichs. Einhergehend mit der gesamtdeutschen Entwicklung im Allgemeinen und der schlechter werdenden Künstlersituation im Speziellen zeichnete sich verstärkt eine fatale Abwanderung von kreativem Potential ins Ausland (am stärksten Richtung Großbritannien/ USA) ab- das so genannte Brain Drain. Einer der prominentesten dieser Exilanten ist sicherlich der Österreicher Fritz Lang, welcher nach seiner Auswanderung zwar nie mehr an frühere Stummfilmerfolge anknüpfen konnte, aber nichtsdestotrotz auch weiterhin für angenehme Überraschungen gut war. So zum Beispiel sein US- amerikanisches Spielfilmdebüt „Fury“ (1936), welches hierzulande unter dem Titel „Blinde Wut“ veröffentlicht wurde.

Der Tankwart Joe Wilson (Spencer Tracy) ist auf dem Weg zu seiner Verlobten. Jedoch soll er dort nie ankommen, denn unterwegs wird er von einer Polizeistreife angehalten, die ihn bezichtigt, in einen Kidnapping- Fall verwickelt zu sein. Auf die Schnelle nicht fähig seine Unschuld zu beweisen, führt ihn sein weiterer Weg erst einmal ins örtliche Gefängnis. Was er nicht ahnt: In der Stadt schaukelt sich unterdessen die Stimmung über die vermeintliche Festnahme des Entführers derart hoch, dass sich ein Lynchmob bildet, der kurzer Hand das Gefängnis in Brand steckt. Doch Joe überlebt durch einen glücklichen Zufall und startet einen grausamen Rachefeldzug gegen seine Peiniger…

Mit „Blinde Wut“ widmet sich Fritz Lang einem Thema, dessen Wurzeln schon in seinem Stummfilmklassiker „M- Eine Stadt sucht einen Mörder“ tief verankert waren: Selbstjustiz. In „M“ befindet sich eine ganze Stadt auf den Beinen, um dem Kinderschänder Hans Beckert (Peter Lorre) das Handwerk zu legen. Selbst die gefürchtete Berliner Unterwelt macht Jagd auf den Flüchtigen und wird schließlich des Verbrechers habhaft. Sein Finale findet der Film dann schlussendlich in einem Selbstjustiz- Tribunal, in welchem Hans Beckert von den Gangstern zum Tode verurteilt wird. In „Blinde Wut“ finden sich Parallelen zu jenem Werk, wird doch auch hier das Recht von den Bürgern in die eigenen Hände genommen (sozusagen Henker und Richter in Personalunion), um die Gemeinschaft- wie sie in ihrem Irrglauben meinen- zu schützen. Doch Lang bietet mit „Blinde Wut“ keine thematische Neuauflage von „M“, sondern spinnt das Netz weiter und flechtet Motive ein, die in späteren Jahren auch Alfred Hitchcock nicht losließen. So etwa das Motiv der unschuldig verdächtigten/ verhafteten/ verurteilten Person- hier Joe Wilson-, welches Hitchcock oftmals beschäftigte und ihn dazu bewog, es zu zentralen Aspekten diverser Filme zu machen („I Confess“, „Der unsichtbare Dritte“).

Ein Problem, mit dem „Blinde Wut“ zu kämpfen hat, ist zwar ein prinzipiell gutes, aber dennoch punktuell schwaches Script, was einige Logiklöcher- oder milder ausgedrückt arg konstruierte Zufälle, die hier ineinander greifen- zu bieten vermag. So wirkt aus heutiger Sicht der Aufhänger für die Geschichte voller Irrtümer und Missverständnisse nicht im vollen Umfang nachvollziehbar bzw. plausibel. Aber was will man machen, irgendwie muss die Geschichte nun mal in Gang gebracht werden, obwohl ein wenig mehr Fingerspitzengefühl sicherlich nicht von Nachteil gewesen wäre.
Nichtsdestotrotz kann der Film mit einer besonders gelungenen ersten Hälfte punkten, welche voll und ganz auf die Empathie der Zuschauer mit der Identifikationsfigur Wilson setzt. Dies ist natürlich nur aufgrund von Joes Charakterzeichnung möglich, die ihn als rechtschaffenen und sympathischen Gutmenschen (jaja, vielleicht ein bisschen stereotyp) darstellt. So bleibt dem Publikum fast gar nichts weiter übrig, als um das Leben des Unschuldigen zu bangen, wenn dieser von einer Ungerechtigkeit- so plastisch und greifbar dargestellt- dahingerafft werden soll.

Der zweite Teil des Films macht einen kleinen Genresprung und begibt sich in die Gefilde des Gerichtsfilms. Der vermeintlich „erfolgreiche“ Lynchmob wird vor Gericht gestellt und des Mordes angeklagt. Im Hintergrund zieht der totgeglaubte Wilson mit Hilfe seiner beiden Brüder die Fäden, um sich an seinen Peinigern zu rächen. Es entwickelt sich die moralische Frage nach Joes Berechtigung, die im Endeffekt doch unschuldigen Mitglieder des Mobs für eine Tat an den Galgen zu bringen, auf die sie es zwar abgesehen, aber schlussendlich vor dem Gesetz nicht begangen haben. Joes Gewissenskonflikt diesbezüglich wird durch seine Freundin Katherine ausgelöst, die versucht, ihm vor Augen zu führen, wie seine Sucht nach Vergeltung und sein Hass ihn schließlich in den sicheren seelischen Ruin führen würden. Final ist es dann auch ihre Liebe, die eine Lösung für das Dilemma parat hält und Joe auf den rechten Weg zurückführt.

Obwohl Joe nach seinem „Tod“ zunächst fast gar nichts mehr von seinem ehemaligen Ich durchblicken lässt und zum auf Rache sinnenden Monstrum mutiert, kann man seine Motive bzw. Handlungsweisen (bedingt) nachvollziehen. In diesem Zusammenhang wäre auch ein konsequenteres Ende sicherlich ganz interessant gewesen, was aber aufgrund der zu übermittelnden Botschaft und dem obligatorischen Hollywood- Happy- End kaum denkbar wäre. So bleibt „Blinde Wut“ eine Anklage gegen Selbstjustiz und zugleich ein Plädoyer für Demokratie und Gesetze, wobei beides etwas moralinsauer in eine spannende Geschichte eingewoben wurde.

„Blinde Wut“ ist das würdige US- Debüt einer deutschen Regie- Ikone. Fritz Lang hat den Sprung über den großen Teich erfolgreich absolviert ohne jedoch an den Perfektionismus seiner Frühwerke wie „M“, „Dr. Mabuse“ oder die „Nibelungen“ Teil 1 und 2 heranzureichen. Nichtsdestotrotz ist „Blinde Wut“ für alle Lang und Thriller- Anhänger eine absolute Empfehlung.

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