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Hat man sich, wie ich, über Jahre hinweg von Hollywood entfremdet und ist über diesem Zeitraum jedem „Drama“, also jedem Film in dem menschliche Konflikte oder Menschen selbst samt ihrer Psyche, ihrer Umwelt und ihrer eigenen, subjektiven Sicht darauf im Mittelpunkt stehen ferngeblieben aus Angst, in tölpelhafter, banaler und unehrlicher Weise von komplexen, kaum abzubildenden Sachverhalten und Entwicklungen im Leben der Filmprotagonisten erzählt zu bekommen, kann einen ein Film wie Douglas Sirks „Written on the wind“ ehrlich überraschen. Sicherlich, damals bot Hollywood Filmemachern noch mehr Möglichkeiten als heute. Und doch ist man in dieser Lage, im Zustand stetigen Misstrauens und den unangenehmen Erinnerungen an großes Pathos, ausgewalzte Sentimentalitäten und kaltschnäuzige Triumphe von Drehbuchautoren über die gegeneinander ausgespielten „Objekte“ ihrer Werke, befremdet und erstaunt zugleich. Dieser Film, dieses klassische Musterbeispiel eines Melodrams, diese Taschentuch-Tragödie ist ein Meisterwerk und lässt jede Simplifizierung, jede Unaufrichtigkeit und selbst die kommerzielle Kalkulation, die hinter ihm steht, weit hinter sich, basierend einzig auf einem einfachen Grundsatz: Nicht das „Wie unterhalte, fessle und rühre ich das Publikum, was will es sehen?“ sondern ein „Was beschäftigt das Publikum und wie erreiche ich es auf diesem Weg?“ ist hier von Bedeutung. Der Weg, den Sirk einschlägt ist der des Kitsch. Wer nüchtern in die Historie des Kinos blickt muss eingestehen das Kitsch und Sentiment schon immer zwei besonders publikumsträchtige Elemente waren und beide werden von Sirk mit seinen bunten, bonbonfarbenen Bildern - denen jedoch eine schlüssiges dramaturgisches Farbkonzept zugrunde liegt - , den makellos schönen Darstellern und grotesk überspitzten Verzweiflungsschluchzern, sprich: Sentimentalitäten ohne Ende glorreich bedient. Rainer Werner Fassbinder, prominentester Sirk-Fan und indirekt -Schüler hat diese wichtigste Eigenschaft von Sirks Filmen übernommen: Den hohen, pädagogischen Werk überzeichneter Kontraste und plakativer Erzählweisen.

Getriebene Menschen, stets auf der Suche nach Glück ohne eine Spur oder einen Anhaltspunkt, immer auf ihren Instinkt angewiesen der sie so oft fehlleitet und die Liebe, diesen fragilen und nie definierbaren Schwebezustand immer dort entkeimen lassen wo er zu erwarten, nicht aber zu erhoffen war. Menschen, hin- und hergerissen zwischen Freundschaft und Liebe, zwischen Verantwortung und Impuls, zwischen Vernunft und Seele. Diese unerlässlichen Ingredienzen für ein echtes Melodram sind in Sirks Film himmelhoch aufgetürmt so das es ein Wunder ist, das der sentimentale Kitsch-Kollaps nie als ernsthafte Gefahr bei der Rezeption am Horizont erscheint. Denn diese getriebenen, rastlosen und suchenden Kreaturen bewegen sich in greifbaren, vertrauten und offenen Räumen die man selbst tapezieren darf. Es sind nicht die Figuren selbst, stilisiert zu ebenso kunstvollen wie grobschlächtigen psychischen Skulpturen die zwar keinen Archetypen entsprechen, jedoch als Drehbuchkonstrukte überdeutlich zu erkennen sind. Es ist ihr Weg und ihre Entwicklung die als Zement die Bausteine, sprich: die Figuren und die Leinen zur Wirklichkeit, dieses maßlosen und exzessiv im Wald menschlicher Emotionen wildernden Werks eisern zusammenhält.

Sirk versteht diese Figuren und dieses Verständnis befähigt ihn, sie zum Leben zu erwecken. Auch wenn wir als Zuschauer so weit von ihren unwirklich und übertrieben zu emotionalen Eruptionen überstilisierten Problemen und ihrem dekadenten Umfeld entfernt fühlen, die eigentlichen Schwierigkeiten die sie antreiben und sie stetig ernüchtern, auch zur Verzweiflung und im Finale des Films regelrecht in den Wahnsinn treiben, sind – hier wie dort – die gleichen, egal in welche Gesellschaftsschicht, egal in welche Nationen oder Generation man blickt, ob man seine eigene Biographie oder die anderer Menschen analysiert. Das, was unter Menschen wirklich etwas bedeutet und unbedingt beachtet und akzeptiert werden muss, das ist universell. Mancher mag nun einwenden, dass das schließlich eine Binsenweisheit wäre. Es wäre wirklich erfreulich, wenn es eine wäre. Letzlich ist es beruhigender, sich mit allen Menschen durch das gleiche Konfliktpotential denn durch gleiche Emotionen geeint zu wissen.
Nur durch diese Wahrhaftigkeit und nicht durch seine platt konstruierte Handlung mit ihren aus der Konservendose des Subgenres entsprungenen Konflikten gelingt es „Written on the wind“, eine solch ungeheure emotionale Intensität zu entwickeln – denn sie entspringt aus der Reflektion des Gezeigten die von uns Zuschauern beinahe ebenso instinktiv betrieben wird wie die Handlungen und Entschlüsse der Figuren im Film.

Eine rein sachliche, nach intellektuellen Maßstäben vollzogene Analyse dieses Werkes kann eigentlich nur scheitern - denn wer sich selbst von den Umtrieben der Figuren die es jenen nach sympathischen Identifikationspolen suchenden Zuschauern keineswegs ermöglichen, in sie einzudringen, von dem seelisch-gewissenhaften Labyrinth, in dem sie sich, blind vor Tränen, verlaufen haben, absetzt und persönliche Nähe zu ihren Handlungen und den Reaktionen auf selbige bestreitet, wird sich an Sirks Werk die Zähne ausbeißen und im trüben Sumpf sentimentaler Plattitüden stochern ohne die brutale und aufrichtige Wahrhaftigkeit eines Films zu erkennen, der sich inmitten einer schon damals von Herzlosigkeit und Berechnung gefährdeten Filmindustrie seine humanitäre Seele bewahrt hat, ebenso wie den Wunsch, seinem Publikum mit einer aufdringlichen Geschichte unaufdringlich und ohne Selbstgerechtigkeit etwas von seinem Leben zu erzählen mit dem Ziel, es erleichtert zu entlassen. Erleichtert nicht über den glücklichen Ausgang der im Film erzählten Geschichte sondern darüber, dass hier jemand versucht hat, es zu verstehen und ernst zu nehmen. Nicht seine Sehnsüchte, Fantasien oder Ängste – das tun im Regelfall schlechte Melodramen - sondern jene Schwierigkeiten die man selbst nur selten mit Worten benennt weil man sie ungern in seinen Kopf lassen möchte. Ein Film darf und schafft das anscheinend.

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