Die Welt des italienischen Giallos ist vielseitig und bietet dem geneigten Zuschauer reichlich zu entdecken. Den Beweis dafür erbringt nebst Dario Argento, welcher mit seinen Beiträgen die filmische Landschaft unwiderruflich mitentwickelt und nachhaltig geprägt hat, auch der nur zwei Jahre ältere und ebenfalls in Rom geborene Sergio Martino. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Die Weiße Göttin der Kannibalen“(1977), ein Abenteuer-Ausflug in die Welt der Menschenfresser, und „Der Killer von Wien“ (1970). Zwei Jahre nach zu letzt genanntem entstand ein nicht minder interessantes Werk mit dem wunderschön-einprägsamen Originaltitel „ Il Tuo vizio è una stanza chiusa e solo io ne ho la chiave“ (1972).
Der abgebrannte Schriftsteller Oliviero Ruvigny lebt mit seiner Frau Irene in dem alten Landsitz seiner toten Mutter. Unverarbeitete Erinnerungen an die verschiedene Frau bündeln sich in psychischen und physischen Ausbrüchen gegen seine Gattin, die all dem wehrlos entgegenzustehen scheint. Eine einsetzende Mordserie im Bekanntenkreis des Schriftstellers stellt die Beziehung der Eheleute unter zusätzliche Spannung, die auch durch den plötzlichen Besuch von Olivieros verführerischer Cousine Floriana nicht gerade abgeschwächt wird. Eine Katastrophe bahnt sich an…
Martinos „Your Vice Is a Locked…“ ist alles andere als ein archetypischer Vertreter seiner Zunft, so wie ihn Argento beispielsweise mit seinem Meisterwerk „Tenebre“ auf Zelluloid gezaubert hat. Das erste Drittel gestaltet sich diesbezüglich als geschickt gelegte Irreführung. Typische Giallo- Muster werden von Martino zunächst eingeführt, nur um alsbald wieder fallen gelassen zu werden. So inszeniert der Film anfangs eine (vermeintliche) Serienkillergeschichte, die reinrassig gallioesk daherkommt, verlagert den Fokus der Story schlussendlich aber doch meilenweit davon und etabliert die Morde rückblickend als übergeordneten Rahmen. Mit dieser Vorgehensweise schlägt „Your Vice Is a Locked…“ gegenüber Genrekollegen deutlich weniger ausgetrampelte Pfade auf dem Weg zum Ziel ein, die sich für den geneigten Zuschauer als zweifelsohne erkundenswert erweisen sollen.
Die bereits erwähnte Verlagerung des Fokus’ vollzieht sich in Richtung des Ehelebens der beiden Protagonisten Oliviero und Irene. Dabei wagt sich Martino so weit in unbekanntes, genrefremdes Terrain, dass man zeitweilen die Vermutung hegt, sich in einem anderen Werk zu befinden. Es ist ungewöhnlich, dass in dieser Art Film so starkes Augenmerk auf die Charaktere bzw. ihre Bindungen untereinander gelegt wird, sodass man fast den Eindruck erhält, einem (Familien-) Drama, welches Olivieros psychische und physische Übergriffe durchaus eindringlich nachzeichnet, beizuwohnen. Daraus baut sich ganz selbstverständlich eine anscheinend unverrückbare Täter/ Opfer- Konstellation auf. Oliviero, seines Zeichens vermeintlicher Aggressor, erhält gleich zu Beginn des Werks alle Möglichkeiten, zum „Publikumsliebling“ zu avancieren. Sein Charakter ist ungehalten, vulgär, respektlos, gewalttätig und hurt durch die Gegend. Der perfekte Schwiegersohn also, dessen Status als Exzentriker wohl noch zu seinen sympathischsten Eigenschaften gezählt werden muss. Es gelingt auf diese Weise ohne viel Mühe, Irene die Opferrolle zuzuschanzen und die Sympathien des Publikums zu verteilen. Mit den einsetzenden Morden möchte man als Zuschauer auch schon fast die ersten Wetten auf die Identität des Killers abschließen, wenn da nicht diese leise, äußerst zaghafte Stimme flüstern würde, dass das alles ein bisschen einfach, ein bisschen zu uninspiriert wäre. Und in der Tat erweist sich Martinos Streifen als raffinierter und doppelbödiger als auf den ersten Blick ersichtlich.
Als Dreh- und Angelpunkt von „Your Vice Is a Locked…“ fungiert das ältliche Landhaus der Familie Ruvigny. Es versprüht eine Art morbiden, auf den ersten Blick gar nicht so unfreundlichen Charme, der sich gepflegt in die Geschichte einpasst. Erst beim zweiten Hinschauen lässt sich erkennen, was wirklich dahinter steckt. Man spürt die dort hausende, unterschwellige Aura des menschlichen Zerfalls- sowohl psychischer als auch physischer Natur-, erkennt das Haus als Brutstätte des Hasses und Zorns. Es bilden sich dabei fortwährend Brücken zu Kubricks „Shining“, welcher diese Thematik „Haus als organischer Körper“ acht Jahre später noch weiter untersucht. Kubrick jedenfalls hat in seinem „Shining“ eine kleine, aber umso feinere Reminiszenz versteckt, dessen Quelle es in „Your Vice Is a Locked…“ zu entdecken gibt (Hinweis: „All work and no play makes Jack a dull boy.“).
Inhaltlich bedient sich Martino eines insgesamt sehr düsteren Themenkomplexes, um sein Werk ausreichend zu unterfüttern. Realitätsverlust, Wahnsinn, Paranoia und Inzest stellen nur eine kleinere Auswahl dar, mit deren Hilfe er den pessimistischen Grundton seines Werks zu erschaffen vermag. Ebenso verwendet Martino Sex und Gewalt als essentielle Komponenten. Sex hat hier nichts mit Liebe gemein. Er dient bestenfalls zur Triebbefriedigung, schlimmstenfalls der Demonstration von Macht und Gewalt. Für das italienische Genrekino hält sich der Film jedoch ungewohnt in seiner Inszenierung zurück. Die Intention des Gezeigten wird klar vermittelt, ohne zu irgendeinem Zeitpunkt ins Exploitative abzudriften. Genau das gleiche gilt im Fall der gezeigten Gewalt. Kurz, prägnant und insgesamt eher dürftig gesät, ohne auf der anderen Seite die Wirkung zu verfehlen.
Sergio Martinos „Your Vice Is a Locked Room and Only I Have the Key“ ist ein sehenswerter Streifen, der seinem Publikum eine kleine Lektion erteilt: Unterschätze nie die Macht von Drehbuchschreiber und Regisseur, welche den Schlüssel zur Manipulation des Publikums in ihren Händen halten. Den passenden Beweis dafür liefert das Filmende, welches den Zuschauer noch einmal stark über die Verteilung von Sympathien bzw. die Verteilung der Täter-/ Opferrolle (falls solcherlei Schwarz-/ Weißdenken überhaupt angebracht ist und nicht alles eher in abgestuften Grautönen gesehen werden sollte) nachdenken lässt. Martinos Werk erreicht zwar nicht die geschichtliche Tiefe großer Dramen, liefert aber einen reifen und ernsten Genrebeitrag ab.