Der Tod ist wie in so ziemlich jedem Werk von Dario Argento ein zentrales Sujet. In „Suspiria“ (1977) jedoch erfährt dieses obligatorisch erscheinende Thema erstmals eine Verquickung mit einer übernatürlichen Komponente, die man bis dato nicht aus Argentos Filmographie kannte. Anstelle eines wahnsinnigen Serienkillers bekommt es die junge Protagonistin Suzy Bannion mit einer Hexen verseuchten Freiburger Tanzschule zu tun. Infolgedessen entfaltet sich eine ausgefeilte Choreographie, nahezu ein Ballett des Todes, welches (kaum, dass der Film begonnen hat) mit einem der wohl spektakulärsten Morde einen fulminanten Auftakt hinlegt. Argento weiß die Aufmerksamkeit des Publikums für sich zu gewinnen.
Man kann von „Suspiria“ halten was man möchte, aber er ist ohne Frage ein cineastisches Erlebnis. Dario Argentos surrealstes Horrorwerk gleicht einem audiovisuellen Gedicht, einer (im durchweg positiven Kontext) Tour-de-Force für die Sinne. Argento ist sicherlich dafür bekannt, dass die Geschichten seiner Filme so gut wie nie die erste Geige spielen, in keinem anderen Werk räumt er jedoch der audiovisuellen Komponente so offensichtlich oberste Priorität ein. Durch eine permanente (Über-)Stimulation der Sinnesorgane Auge und Ohr ebnet er sich schnurstracks den Weg in unsere Gehirne. Seine Eintrittskarte, um Grauen als Selbsterfahrung für Zuschauer zu vermitteln. Diese besondere Aura erzeugt Argento nicht etwa durch einzelne Komponenten wie blutige Schockeffekte, sondern mehr aus einer Atmosphäre heraus, die das Ergebnis eines ausgeklügelten Gesamtkonzepts darstellt.
Von unschätzbarem Wert für dieses Gesamtkonzept ist sicherlich die hervorragende musikalische Untermalung, für die sich wieder einmal die Gruppe „Goblin“ in Zusammenarbeit mit Herrn Argento verantwortlich zeichnet. Herausgekommen sind dabei Klangwelten, die das Potential haben, sich tief in die Gehörgänge des Zuschauers einzugraben. Durch eine kontinuierlich-beharrliche Einstreuung lässt der Film dem Zuschauer eigentlich auch gar keine andere Wahl, als diese abstrakte Mischung aus Spieluhrmelodie und purem Wahnsinn zu verinnerlichen- Argentos erster Schachzug, um die Bastille „Zuschauergehirn“ zu erobern und zu unterwerfen.
Die zweite Angriffswelle reitet Argento, wie bereits erwähnt, über die optische Schiene. Hierbei beschert uns der Regisseur eine unglaublich intensive Farbsinfonie in rot und blau. Jede Einstellung präsentiert sich bis ins Detail farblich durchkomponiert und ausbalanciert. Märchenhaft (genau das richtige Stichwort, wenn man bedenkt, dass Argentos Einflüsse aus „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ entstammen) und unwirklich erscheint die dargebotene Szenerie. Bestmöglich in Szene gesetzt durch den Kameramann Luciano Tivoli („Tenebre“, „Beruf: Reporter“), welcher Bildwelten von ungeheurer Ausstrahlung und Kraft einfängt. Das reicht vom Close-Up einer Türhydraulik bis hin zu opulenten Totalen riesiger Örtlichkeiten. Alles hat seinen Platz in Argentos Kosmos und er weiß auch haargenau, wo es visuell anzuordnen ist. Mit „Suspiria“ beweist Argento erneut sein unbeschreibliches Gefühl für filmische Räumlichkeit- perfektioniert sein Können geradezu, obwohl es ihm 1987 mit „Opera“ beinahe noch mal gelang, diesbezüglich eins draufzusetzen. Die Kameraführung baut eine Welt auf, die zum Greifen nahe wirkt, durch die man sich beinahe selbst spazieren sieht. Eine Welt, welche mit ihren knallbunten Texturen, der imposanten Architektur und dem innovativen Farbspiel jegliche Realität auszulachen scheint und nur noch stärker den unwirklich-befremdlichen Grundtenor des Films in den Vordergrund zu stellen vermag. Argentos Zweitschlag gegen die Bastille „Zuschauergehirn“- ebenfalls ein voller Erfolg.
„Magic is everywhere“ lautet eine zentrale Aussage des Werks „Suspiria“ und man muss eingestehen: treffender könnte es nicht formuliert sein. Der Film ist magisch, zieht den Zuschauer mit all seiner Schönheit in einen bizarren Bann und droht das vermeintliche „Opfer“ nicht mehr frei zu geben. Gefangen in einem filmischen Unikum läuft man Gefahr, sich selbst zu verlieren- sogar weit über den Abspann des Werks hinaus. Aber wen könnte das ernstlich stören?
„Suspiria“ jedenfalls verdient eine ganz besondere Stellung, sowohl im Horrorgenre als auch speziell in Argentos Gesamtwerk. Am ehesten wäre „Suspiria“ wohl mit einem Kunstwerk, einem cineastischen Gemälde in 2.35:1 Bildformat zu vergleichen. Aber egal wie man es nun auch schlussendlich dreht und wendet, eins ist sicher: Man muss die kreative Energie des Films am eigenen Leib erfahren! (9,5/10 Punkten)