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„Im Dunkel der Nacht“ (1956) ist Maxwell Shanes Remake seines Regiedebüts „Angst in der Nacht“ (1947). Basierend auf einer Vorlage des Kriminalautors Cornell Woolrich („It Had to Be Murder, Kurzgeschichte zu Hitchcocks „Rear Window“) schuf Shane mit „Im Dunkel der Nacht“ ein Musterexemplar aus den Reihen des amerikanischen Film Noirs. Passend dazu gelang es Shane, für die Rolle des Ermittlers Rene Bressard Edward G. Robinson zu gewinnen- eine Ikone der frühen Gangsterfilme bzw. des Noir Genres.

Nach einem nächtlichen Alptraum glaubt der Musiker Stan Grayson einen unbekannten Mann ermordet zu haben. Als sich schließlich im Laufe des Tages immer weitere Indizien zur Untermauerung seiner These anhäufen, droht Stan Stück für Stück in den Wahnsinn abzugleiten. Hilfe suchend wendet er sich an seinen Schwager, den Polizisten Rene Bressard. Dieser hält zunächst nicht viel von Graysons Horrorgeschichten, doch als sie durch Zufall an den Tatort, ein leerstehendes Haus, gelangen, ändern sich Bressards Ansichten schlagartig.

Maxwell Shanes Film, dessen Originaltitel „Nightmare“ kaum treffender sein könnte, behandelt die Vermischung von realen und imaginären Alpträumen. Im Zentrum, sozusagen im Auge des Sturms, steht der Musiker Stan Grayson, vor dessen Augen Realität und Fantasie immer weiter zu verschwimmen drohen. Der Auslöser hierfür ist eine gleich zu Beginn des Films einsetzende, atmosphärisch dicht inszenierte Traumsequenz, in welcher Stan in Anwesenheit einer Frau einen unbekannten Mann umbringt und diesen anschließend in einem Spiegelschrank verstaut. Oftmals schreibt man Träumen die Funktion zu, Erlebtes zu verarbeiten bzw. beim Umgang mit der Realität behilflich zu sein. Dass man sie dabei nicht wie Bücher lesen kann, sondern abstrahieren und die codierte Sprache der Träume deuten muss, scheint so etwas wie einen geträumten Mord für Träumer automatisch fernab eines entsprechenden realen Ereignisses anzusiedeln. Aber was, wenn sich wie im Fall von Stan Grayson Indizien derart verdichten, dass das Geträumte doch vielleicht realer ist als normalerweise für einen Traum üblich? Merkwürdige Würgemahle am Hals, blutige Kratzer an den Armen, ein Knopf sowie Schlüssel, die vom Tatort zu stammen scheinen, nähren jedenfalls einen unheilvollen Verdacht. Ein Verdacht, der sowohl Protagonist als auch Zuschauer in eine abgründige Welt aus Wahnsinn und Irreleitung, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung hinabführt und beinahe bis zuletzt über Wahrheit und Lüge düstere Verschwiegenheit bewahrt.

Neben seiner Funktion als Psychothriller ist „Im Dunkel der Nacht“ vor allem dem Film Noir verschrieben. Einem Element der Schwarzen Serie entsprechend liegt hier das Hauptaugenmerk auf dem aus den Fugen geratenen Seelenleben einzelner Individuen. In diesem Fall fokussiert auf Stan Grayson, welcher besonders im ersten Drittel anhand eines markigen Voice/Over- Kommentars durch sein zerrüttetes Seelenleben führt. Was muss es für ein Gefühl sein, seinem eigenen Gedächtnis nicht trauen zu können? Vielleicht ein Mörder wider Willen bzw. gar ohne Willen zu sein? Um letztere Frage beantworten zu können, sieht sich Stan gezwungen, seinen Schwager Rene Bressard um Hilfe zu bitten Licht in das verwirrende Dunkel seiner Erinnerungen zu bringen. Jener weigert sich zwar zunächst, Stan seine Geschichte abzukaufen, nimmt aber schlussendlich- nachdem man durch Zufall auf den Tatort gestoßen ist- doch die ihm anvertraute, genretypische investigative Funktion ein. Fürs erste jedoch ganz zum Nachteil von Stan, welcher in Renes Augen nun Tatverdächtiger Nr. 1 ist.
Natürlich darf auch die Figur der allseits berühmt-berüchtigten Femme fatale in Shanes kleinem Kabinettstückchen nicht unter den Tisch fallen. Wenn ihr auch nie ein großer Auftritt als Männer manipulierende und Intrigen spinnende Amazone vergönnt sein soll, so lässt sich ihr (indirektes) Wirken nicht verhehlen. Die Rede ist von Mrs. Belnaps., welche durch ihre Affäre mit einem anderen Mann (bzw. dem späteren Opfer aus Stans „Traum“) die Initialzündung für eine Geschichte um Willensbeeinflussung und Mord liefert.

„Im Dunkel der Nacht“ überzeugt sowohl inhaltlich als auch inszenatorisch. Während Stans erfolgloser Suche nach Hinweisen, die ihn quer durch New Orleans führt, greift Shane zu einer interessanten visuellen Inszenierungsweise, die sich dem aus der Bahn geworfenen Inneren des Protagonisten Stan kurzzeitig anpasst. Die Kamera fängt dabei das Geschehen bevorzugt aus schrägen Perspektiven- mit betont schiefen Ebenen- ein. Dieses gewählte Stilmittel reflektiert Stans Gefühlswelt wunderbar und schafft das schöne Kunststück gefühlte Emotionen vor den Augen der Zuschauer sichtbar werden zu lassen.

„Im Dunkel der Nacht“ ist ein kleines, im Gegensatz zu anderen Genrevertretern sicherlich zu Unrecht in Vergessenheit geratenes Juwel. Mit dem Produktionsdatum 1956 zählt Shanes Regiearbeit zu den letzten Atemzügen der klassischen Film Noir- Ära, was ihn aber keinesfalls daran hindert, noch mal ein- für Anhänger sowieso bedingungslos empfehlenswertes- Highlight hervorzubringen. Pessimistisch, rätselhaft und scheinbar undurchdringlich. (8,5/10 Punkten)

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