Je ungewöhnlicher die Frage, desto ungewöhnlicher – und unter Umständen spannender – ist die Antwort. Auf die zweifellos ungewöhnliche Frage, was für einen Film ein deutscher Regisseur 1976 über die terroristischen Anschläge der südafrikanischen Befreiungsarmee wohl hätte machen können, gibt es tatsächlich eine sehr erhellende und nachhaltig im Gedächtnis haften bleibende Antwort: „Der flüsternde Tod“. Der Oldenburger Filmemacher Jürgen Goslar der nach einigen eher wenig bekannten Kriminaldramen und TV-Arbeiten mit diesem großformatig produzierten Rachethriller von sich reden machte als ein Regisseur, der bereit war, die Ketten des spießbürgerlichen und dümmlichen deutschen Unterhaltungskinos der 70ziger zu sprengen - zeichnet sich in seiner möglichen Eigenschaft als Kino-Rebell für dieses wagemutige und überraschende Werk verantwortlich das er – man sieht es dem Film in jeder Einstellung deutlich an – mit Herzblut an südafrikanischen Original-Schauplätzen und mit internationalem Cast drehte.
„Der flüsternde Tod“ – ein etwas irreführender Titel – mit dem Blick eines Cineasten oder Filmkritikers zu rezipieren gestaltet sich schwierig denn auch wenn Goslar konzentriert und ehrgeizig gearbeitet hat, gleitet sein Film gelegentlich in unfreiwillige Komik und reißerische Zurschaustellung ab was ihm zumindest phasenweise nicht gerade zuträglich ist. Zwischen schnörkellosem Spannungskino und kantigem Drama bleibt Raum für einige polarisierende Momente die dem Film seinen generell wirklich unpassenden Ruf als B-Trasher eintrugen und somit weitgehend den seriösen und vertrauensvollen Blicken aufgeschlossener Cineasten und Filmkritiker entzogen. Unter Kennern des Films bekannt ist folgender, kurioser Auszug aus einem Dialog zwischen Terricks Diener und einem der Rebellen:
„Was soll das für ein Land sein das ihr erobern wollt, in dem ihr unschuldige Menschen tötet, sogar Kinder!“
„Ich bin Soldat der Befreiungsarmee, du musst mich nach der Genfer Konvention behandeln!“
Sieht man von diesem unfreiwillig komischen und einigen vergleichbaren Momenten ab, hält sich Goslar überraschenderweise weitgehend mit exploitativen Mätzchen zurück. Weder die Vergewaltigung von Saly noch die zahlreichen kleinen Sadismen im Kampf mit den Rebellen werden sensationslüstern ausgewalzt. Tatsächlich steht zwischen der actionreich und treibend inszenierten Verfolgung durch die Savanne und den Generationenübergreifenden, bissig-augenzwinkernden Dialogen zwischen Terrick und Salys Vater Johannes (Trevor Howard) die spezielle, beinahe familiär-brüderliche Beziehung zwischen Terrick und Katchemu im Zentrum der Erzählung, die sich vom geradlinigen Actionthriller zu einer trockenen und szenenweise auch beinahe differenzierten Auseinandersetzung mit Wesen und Macht von Rachegelüsten wandelt. Als Terrick am Ende seiner aufreibenden Odyssee als Verfolger und Verfolgter geschunden und am Rand des Wahnsinns seinem Todfeind gegenüber steht, fällt ein für Goslars Haltung gegenüber seinem Sujet und seinen Figuren bezeichnender Satz:
„Töte mich, du änderst doch nichts!“.
Jener diabolische, bedächtig sprechende farbige Albino (sprich: Ein Farbiger mit weißer Haut und roten Augen – um Missverständnissen vorzubeugen) auf den sich der Titel bezieht wird übrigens dargestellt von Horst Frank der damit wohl den bizarrsten Auftritt seiner Karriere absolvierte, maskentechnisch bis zur Unkenntlichkeit von einer weißen Afro-Perücke und künstlichen Riesenzähnen verunstaltet. Gemessen dem Umstand das „Der flüsternde Tod“ eine beinahe ausschließlich deutsche Produktion ist, liest sich die Besetzung ohnehin mehr als erstaunlich: Terricks Vorgesetztem Bill verleiht ein sehr verhalten agierender Christopher Lee Profil, seinem Freund Peter der berüchtigte Sascha Hehn und Saly wird von Europloitation-Ikone Sybil Danning (der jüngst Rob Zombie mit einem Gastauftritt in seinem „Halloween“-Remake huldigte) gespielt. Den absurden Clou der Besetzungsliste stellt aber das deutlich in die Jahre gekommene Urgestein von „Opa’s Kino“ Erik Schumann („Melissa“, „Old Surehand“, "Natürlich die Autofahrer") als eisenharter Major Turner dar. Unglaublich.
Hauptdarsteller James Faulkner leiht in der deutschen Fassung tatsächlich kein Geringerer als Christian Brückner seine Stimme.
Im Vorfeld der Sichtung war ich mir beinahe vollkommen sicher das Goslar dem exotischen Reiz seiner Schauplätze erliegen würde – erfreulicherweise bleibt die in der Hitze flirrende und nur gelegentlich von einigen Baumflecken und Felsen durchzogene südafrikanischen Savanne für ihn nur ein Schauplatz, wird nur in wenigen Sequenzen – der brillanten Fotografie sei dank – zum Darsteller wie etwa im ganz in Italowestern-Manier montierten Finale. Wer sich eine allumfassende Reflektion der realen Hintergründe um den Kleinkrieg zwischen Guerilla-Armee und den Besatzern in Rhodesien erhofft wird hier nicht fündig werden. Goslar ist sich seiner Verantwortung gegenüber dem Ausgangspunkt seiner unterhaltenden Geschichte zwar bewusst und arbeitet die Thematik gelegentlich dezent ein, insbesondere in die Dialoge auf der Militärbasis, verschließt sich ihr aber auch mit höflicher Bestimmtheit. Einen politischen Film wollte er ganz offensichtlich nicht drehen und das ist in diesem Fall ein unbezahlbarer Gewinn.
Denn wäre sein Film politisch, er hätte sich wohl notgedrungen auf eine Seite stellen müssen – so tendiert er zwar eher zum Lager der Besatzer und zeichnet die Rebellen als meist gesichtslose Fahnenflüchtige, fest legt er sich aber nie. Jener Major Turner, dem von oberster Stelle das Kommando über die Militärbasis übertragen wird, nachdem der aus freundschaftlichen Gefühlen gegenüber Terrick unbewusst parteiische Bill keine Erfolge verzeichnen konnte, tritt als seelenlose, Befehlsgesteuerte und kaltherzige Militärmaschine auf, während im anderen Lager zumindest kurz angedeutet wird, welche Frustration über die Abhängigkeit und Unterdrückung der Besatzer diese gesetzlosen Männer zu ihren Greueltaten antreibt. Um es nochmals zu betonen: Goslar konzentriert sich auf das Dilemma seines Antihelden und schert sich bewusst kaum um die politischen Möglichkeiten seines Drehbuchs die er im Handlungsverlauf zunehmend links liegen lässt. Trotzdem soll an dieser Stelle üblen Verdächtigungen – wie sie von Seiten einiger paranoider, bildungsbürgerlicher Kritiker geäußert wurden – vorgebeugt werden, Goslar zeige rassistische Tendenzen. Alleine die Figur des Katchemu führt diesen losen Vorwurf ad absurdum. Und das auch, obwohl er einem Weißen unterstellt ist – denn Terrick läuft mit seiner Hilfe (ohne die er als Europäer verloren wäre) schlussendlich eben gegen die Gesetze des europäischen Systems auf, die sich in dieser Umgebung und in diesem Kontext nicht länger aufrechterhalten lassen. Er nimmt das Gesetz selbst in die Hand, ebenso wie es bei den Einheimischen seit Jahrtausenden Sitte ist. Somit ist sein Rachefeldzug am Rande auch ein willkommener Vorwand um aus dem tristen Militäralltag auszusteigen.
Schließlich muss man auch berücksichtigen, das es sicherlich auch ein ökonomischer und für die Bewertung seitens des westlichen Publikums notwendiger Kompromiss war, die dramaturgischen Fäden des Drehbuchs nicht von einem der Rebellen aus zu ziehen sondern von einem der britischen Offiziere.
Das sich hier ein farbiger Albino indirekt an den europäischen Besatzern rächt, mag eine dekorative, bzw. etwas plakative Ausschmückung der sonst eher unspektakulären Schurkenfigur sein, kann dann aber möglicherweise doch in eine andere, politischere Richtung weisen. Als der Albino glaubt, Terrick in seiner Gewalt zu haben, lässt er kurz seine Geschichte und Herkunft anklingen – eine Geschichte, in der Selbstbestimmung keine Rolle spielt und die ohne Rücksicht auf die einheimischen Sitten und Kultur von den Besatzern diktiert worden ist. Überhaupt: Die sture, zynische Diktatur von oben, egal ob von Vorgesetzten oder der überheblichen „neuen, weißen Rasse“ fungiert als Kitt des moralischen Teufelskreises, in dem die Protagonisten gefangen sind. Im Epilog nach dem wahrlich niederschmetternden Ende trägt Johannes seinem Diener auf, das Schild über dem Tor seiner Farm zu entfernen: „Johannes’ Dream“.
„Häng’ es ab, der Traum ist ausgeträumt!“
All das soll und kann die eigentlichen Intentionen des Films nicht verleugnen: „Der flüsternde Tod“ ist auch als unterhaltender, spannender Film gedacht und erfüllt diesen Sold tadellos. Mit beachtlichem Aufwand und ohne weiteres internationalen Standards entsprechend in Szene gesetzt, resultiert das elektrisierende Knistern der Erzählung nicht allein aus dem dramaturgischen, in seiner Quintessenz bitteren Konstrukt des Drehbuchs sondern auch aus den bedachtsam eingesetzten Oberflächenreizen. Auch wenn größenwahnsinnige Stunts, gigantische Materialschlachten und ähnliche Spielarten, die dieser Tage gerne mit guter Unterhaltung gleichgesetzt werden, weitgehend fehlen: Was wären diese funkelnden Dialoge, dieses energetisch aufgeladene Spiel der Darsteller und insbesondere der für sich betrachtet etwas biedere Plot ohne den angemessenen handwerklichen Lack? Die monumentale Schönheit der Landschaft kommt zwar nur selten so zum Einsatz, wie man es unbedarft vermuten würde – nämlich um die so oft besungene, phrasierte „Verlorenheit der Menschen“ zu allegorisieren – wird aber von der Kamera dennoch wirkungsvoll und pittoresk abgelichtet. Und von einem Soundtrack untermalt der - ebenso genial wie einfach – als Meisterstück zu honorieren ist: Mehr oder weniger ein einziges Melancholieschwangeres Motiv mit Ohrwurmqualitäten aus der Feder von Erich Ferstl, immer wieder in verschiedenen Ausschnitten sparsam und äußerst effizient eingesetzt - nahezu ideal, um den im Kern wehmütig-elegischen Charakter der rasant inszenierten Rachestory ins Gedächtnis des aufgewühlten Zuschauers zurückzurufen.
All das und noch einiges mehr trägt dazu bei, das es Jürgen Goslar mit seinem Film ebenso wie seinem Kollegen Roland Klick einige Jahre zuvor mit seinen Filmen „Deadlock“ und „Supermarkt“ gelingt, eine Vorstellung davon zu geben, wie modernes, anspruchsvolleres Kommerz-Kino aus Deutschland – mit Einschränkungen aufgrund der exotischen Locations, versteht sich – auch heute noch aussehen könnte.
Ein ehrlicher, mitreißender und konsequenter Film der zwar bei weitem nicht all seine diskursiven Optionen voll ausreizt, sich ihrer aber zumindest bewusst und auf dieser Grundlage etwas mehr geworden ist als nur ein Rache-Thriller nach bekanntem Strickmuster. Bedauerlich, das es auch die letzte große Kinoproduktion war, die Jürgen Goslar realisierte bevor er sich – wie so viele andere deutsche Regisseure zu jener Zeit – gezwungen sah, sein Tätigkeitsfeld aufs Fernsehen zu verlagern. Ein deutscher Traum von großem Kino zum staunen und mitfiebern, geträumt von einem talentierten Geschichtenerzähler.