Der Dokumentarfilm "Land ohne Brot" sollte für viele Jahre Luis Bunuels letzter Film bleiben, nachdem er zuvor mit seinen surrealistischen Werken "Der andalusische Hund" und "Das goldene Zeitalter" grosse Aufmerksamkeit, aber auch grossen Widerstand erfahren hatte. Erst im mexikanischen Exil nach dem zweiten Weltkrieg konnte er seine Arbeit als Regisseur wieder aufnehmen. Betrachtet man "Land ohne Brot" und den dazugehörigen Kommentar, dann kann man sich das kurz darauf folgende Verbot des Films in Spanien gut vorstellen, denn gegen Bunuèl ist ein Michael Moore ein Waisenknabe.
Der Grund für seine Rückkehr in sein Heimatland Spanien war rein politischer Natur. 1932 hatte es einen ersten Militärputsch gegeben, der aber kurzfristig vor allem durch die Arbeiter niedergeschlagen werden konnte. Trotzdem hatten sich die konservativen Kräfte, unterstützt vom aufkommenden Faschismus, immer mehr in Stellung gebracht und schon 1933 waren eine Vielzahl von Gesetzen, die die Position der Landbevölkerung und Arbeiter stärken sollte, wieder zurückgenommen worden. Auf diese Fakten geht Bunuel in seinem Schlusswort konkret ein und er fordert auf zur Solidarität und zum gemeinsamen Kampf gegen General Franco, in dessen Zusammenhang er auch Adolf Hitler erwähnt. Eine sehr weitsichtige Betrachtung, wenn man bedenkt, dass Hitler gerade erst an die Macht kam und auch der spanische Bürgerkrieg erst 1936 beginnen sollte...
Doch vor diesem Schlusswort, zeigt er uns eine Dokumentation über Hurdes, einer kleinen Region, die in der spanischen autonomen Gemeinschaft Extremadura nahe der portugiesischen Grenze liegt. Ausgehend von einer Provinzstadt, in der das Leben durchaus angemessen gezeigt wird, kommt er über die einzige erst 1922 erbaute Strasse nach Hurdes. Diese ersten Bilder wirken fast wie der folkloristischer Blick einer Tourismuswerbung. Hier zeigt sich schon seine Nähe zum Surrealismus, der auch immer etwas spöttisches, fast komisches an sich hat. Tatsächlich war die Verarmung der Landbevölkerung ein grosses Problem in Spanien, aber was Bunuel von Hurdes zeigt, spottet jeder Beschreibung.
Die Menschen dort leben in zerlumpter Kleidung in tief geduckten Häusern ohne Schornstein und Fenster, so dass der Qualm aus irgendwelchen Ritzen steigt. Nahrung gibt es nur sehr wenig und in den Monaten Mai und Juni fast garnicht. Bewusst inszeniert er beeindruckende Szenen, wenn er Kinder aus einem verdreckten Bach trinken lässt und sie dort eingeweichtes Brot essen lässt. Immer wieder streift er die Grenzen des Surrealismus, wenn er behauptet, dass die Menschen Brot erst seit kurzem kennen und das die Kinder, die das Brot von ihren Lehrern erhalten hätten, es vor ihren Eltern verstecken müssten, da diese es aus Unkenntnis wegschmeissen würden. Oder er zeigt ein kleines Mädchen, dass seit drei Tagen an der selben Stelle liegen soll, öffnet ihren Mund und zeigt ihr entzündetes Zahnfleisch, um kurz danach zu erzählen, dass sie zwei Tage später gestorben wäre.
Zwischen den erschreckenden Bildern von Hunger und Siechtum, wirft er immer wieder Szenen einer absurden Normalität ein, wenn er die Kinder in der Schule beim Lernen von geometrischen Gesetzen zeigt. Oder wenn er einen Blick in die Kirchen wirft, die einzigen komfortablen Gebäude eines jeweiligen Ortes. Oder er zeigt die Männer bei der Arbeit an Bienenstöcken, die komplett an andere Orte geliefert werden müssen, was nur unter Lebensgefahr geschieht, da ein Esel drei Bienenstöcke tragen muss. Bunuel verdeutlicht das mit einem angebundenen Esel, dem ein Bienenstock vom Rücken rutschte und der von Bienen übersäät tot am Boden liegt.
Trotz der sehr negativen Schilderung gelingt ihm ein freundlicher Blick auf die Bevölkerung ,die friedlich und geduldig in seine Kamera blicken. Sogar die Szenen mit den "Schwachsinnigen" und "Zwergen", die eine Folge der Mangelernährung und des Inzests sein sollen, wirken fast leicht, obwohl die Stimme des Kommentators erklärt, unter welchen Schwierigkeiten und Gefahren diese zustande gekommen wären. Bunuels Intention ist ganz klar - er prangert die miserablen Verhältnisse an, aber seiner Dokumentation fehlt jegliche bittere Ernsthaftigkeit. Ganz bewusst übertreibt er, macht eine regelrechte Show und ist nicht im Geringsten an einer neutralen, objektive Kriterien miteinbeziehenden Betrachtung interessiert.
Fazit : Man kann "Land ohne Brot" wegen seiner klaren Haltung als Dokumentation kritisieren, aber tatsächlich ist es als politisches Manifest zu verstehen, als Ausdruck einer Denkweise und eines Engagements, dass zurecht eine Vielzahl von Feinden auf sich zukommen sah. In diesem Zusammenhang ist die Inszenierung äußerst beeindruckend und in seinen filmischen Mitteln von genialer Modernität, so dass der Film auch heute noch seine Wirkung nicht verfehlt.
In einem Punkt irrte Bunuel allerdings, denn ausgerechnet General Franco erwies sich als Freund dieser Region und unterstützte diese mit erheblichen Geldsummen. Doch letztlich behielt er recht, denn auch heute ist diese Region noch eine der ärmsten in Europa (9/10).