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Der 1984 gestorbene Sam Peckinpah war ein kleines Mysterium innerhalb der amerikanischen Filmindustrie. Nahezu keinem anderen Vertreter der Regiezunft gelang es, derart gekonnt im Hollywoodsystem umherzuwandeln und gleichzeitig so zu arbeiten, als wäre es gar nicht existent. So waren seine Filme z.B. stets von einer unübersehbaren Kompromisslosigkeit geprägt, die dem einstigen Outlaw Hollywoods unterschiedlichste Kontroversen bescherte. Von Kritikern (u.a. Pauline Kael) als misogyn und Gewalt verherrlichend abgestempelt, von Anhängern seiner Werke („The Wild Bunch“, „Pat Garett jagt Billy the Kid“) verehrt- dergleichen gestaltete sich im Großen und Ganzen die Rezeption Peckinpahs. Ein Film, der diesbezüglich nicht minder die Gemüter spaltet(e), ist sicherlich sein ’71 entstandener „Straw Dogs“, mit welchem der bis dato fast ausschließlich durch Western bekannte Peckinpah die angestammten Genrewege (wenn auch nur augenscheinlich) verließ. Dazu verlagerte er die Geschichte des Films aus den staubigen Wüsten des Westerns hin zu den karg- schönen Landschaftskulissen Südenglands.

Um genügend Zeit für seine Forschung aufzubringen, zieht der amerikanische Mathematiker David Sumner mit seiner Frau Amy in ein kleines englisches Nest. Aber das Leben gestaltet sich nicht so wie zuvor erhofft, sehen sich die beiden doch alsbald mit relativ offenen Anfeindungen seitens der Dorfbewohner konfrontiert. All jener Unmut und Zorn entlädt sich schließlich in einer unheilvollen Nacht, als sich David offen gegen den Mob stellt.

Es gibt Filme, deren Klasse und Qualität erschließt sich nicht wie von Zauberhand, sondern verlangt die (emotionale) Entschlüsselungsgabe und das Einfühlungsvermögen seiner Zuschauer. Ein Beispiel dafür ist zweifelsohne „Straw Dogs“. Sicher, man kann ihn konsumieren und anschließend mental ad acta legen, doch gerecht wird man dem Film auf diese Art in keinster Weise. Vielmehr muss man als Zuschauer anfangen, das Werk und seine Charaktere nachzuvollziehen, um so sein volles Potential zu erschöpfen.

Peckinpah, dessen „Straw Dogs“ auf Gordon Williams Buch „The Siege of Trenchers Farm“ basiert, versteht es wunderbar, über einer augenscheinlichen Idylle (die Landschaft Südenglands eignet sich hervorragend dafür) Stück für Stück das blutrünstige Chaos hereinbrechen zu lassen. Im Strudel dieser Apokalypse finden sich unversehens die jungen Eheleute David und Amy Sumner wieder, die mit ihrem Umzug nach England jeglichen Ärger hinter sich lassen wollten. Schon früh merkt man, dass Peckinpah ein besonderes Augenmerk auf die tief greifende Charakterisierung seiner beiden Protagonisten legt. Die erste Einstellung des Films zeigt sogleich Amys Brüste inklusive Nippel, die in einer Nahaufnahme deutlich unter ihrem Pullover hervorstechen und sie (ohne groß mit Worten zu jonglieren) als Sex- und Lustobjekt klassifizieren. Im Verlauf des Films wird sie durch kleinere Gesten mit weiteren Attributen wie kindlich, offen, selbstbewusst und freizügig bedacht, die alle im offensichtlichen Kontrast zu ihrem Mann David stehen. Jener, der sich verschlossen, zurückhaltend und distanziert präsentiert, bildet zusammen mit seiner Frau eine äußerst gespannte Konstellation mit nicht unwesentlichem Konfliktpotential. Auf diese Art und Weise entwickelt sich innerhalb des Gewaltpsychogramms, welches „Straw Dogs“ zu zeichnen pflegt, eine zweite, nicht minder interessante Handlungsebene um das (zerbrechende) Familienleben der Sumners.

Eine besonders ambivalente Rolle nimmt Amy in der von Kritikern oft angeprangerten Doppelvergewaltigungsszene ein. Während ihr vorherrschendes Gefühlsspektrum Angst und Ablehnung widerspiegelt, meint der Zuschauer in gewissen Augenblicken doch deutliche Anzeichen und Reaktionen der Lust zu vernehmen, was ein tief mulmiges und auch fragendes Gefühl beim Publikum hinterlässt. Diese Szene bedingte nicht unmaßgeblich Peckinpahs frauenfeindlichen Ruf, welcher aber unter genauerer Betrachtung keinerlei Anhaltspunkte in „Straw Dogs“ findet. Peckinpahs Vorgehen in dieser (damals sicher noch weitaus gewagter erscheinenden) Szene ist kühl und sachdienlich, nicht im geringsten Maße exploitativ oder simpel auf Schauwerte bedacht. Knisternde Spannung, die sich schließlich bis zur blutigen Entladung aufstaut, ist das ge- und erwünschte Resultat des Aktes.

Als „Eindringlinge“ in einen von den Dorfbewohnern selbst aufgebauten Mikrokosmos sehen sich David und Amy alsbald offener Feindseligkeit gegenüber. Als ersten Unheil verkündenden Akt unverblümter Aggression findet das Ehepaar die eigene Katze stranguliert und aufgeknüpft im Schlafzimmerschrank vor. David, ganz nach seinen Wesenszügen, unterzieht den Vorfall einer kühlen Analyse- scheut die offene Konfrontation. Der Film führt an dieser Stelle ein später erneut aufgegriffenes Motiv ein: Das Aufzeigen einer persönlichen Verletzlichkeit, die sogar vor dem eigenen Heim, welches normalerweise eine Schutz- und Sicherheitsfunktion für seine Bewohner einnimmt, nicht Halt macht. Final ist es jene erneut vorgeführte Verletzlichkeit (ein wütender Mob sucht gewaltsamen Einlass in das Sumner Haus, um sich eines dort verschanzten Mörders zu bemächtigen), die eines Katalysators gleich David zum Handeln zwingt. Zum pessimistischen Grundtenor passend finden sich in „Straw Dogs“ beinahe keinerlei Vertreter einer öffentlichen Ordnung, die das Unheil hätten abwenden können. Polizei existiert nur vom Hörensagen, wird aber niemals sichtbar aktiv. Einzig der örtliche Bürgermeister scheint diese Funktion auf verlorenem Posten auszufüllen. Dass jener in besagter Unglücksnacht die vom betrunkenen Mob ausgehende Gefahr unterschätzt und durch einen sich lösenden Schuss stirbt, passt zu dem bereits angesprochenen düsteren Grundtenor und dem omnipräsenten Pessimismus des Films.

Man könnte Peckinpahs Werk als mutigen Aufruf zur Zivilcourage interpretieren. Davids Verhalten ließe dahingehend sicher genügend Spielraum. Doch obwohl er den flüchtigen Mordverdächtigen Niles, welcher die Tochter des Mobanführers umgebracht haben soll, in seinem Haus versteckt, scheint dieses Motiv eher sekundär. Vielmehr geht es um die Wiederherstellung einer verletzten Ordnung, welche durch das gewaltsame Eindringen auf Davids Grund und Boden außer Kraft gesetzt wurde. Das Geborgenheit und Sicherheit spendende Heim sieht sich erneut in seiner Funktion gestört, nur diesmal ist David bereit den Preis für eine Wiederherstellung der alten Ordnung zu zahlen- ein Auslöser für diverse Gewaltverherrlichungskontroversen rund um Peckinpah, die genauso wenig haltbar wie die Frauenfeindlichkeitsvorwürfe sind. Die Gewalt ist kurz und präzise gesetzt, nie plakativ. Stattdessen dient sie als notwendiges Übel zur Ordnungswiederherstellung, welche mit Davids Katharsis- einer Art gewaltsamen Wiedergeburt- einhergeht. „Straw Dogs“ glorifiziert die gezeigte Gewalt nicht, sondern stellt eine simple These auf: Es gibt Ausnahmesituationen, in denen Menschen fähig sind, bis zum Äußersten zu gehen, auch wenn solche Verhaltensmuster sonst nicht in ihrer Natur liegen bzw. nur unterdrückt existieren. Die Frage nach richtig oder falsch stellt sich dabei nicht. Und genauso hält es auch Peckinpah. Er urteilt nicht, sondern begnügt sich mit dem Nachzeichnen von Aktion und Reaktion.

„Straw Dogs“ ist ein mutiger und schonungsloser Film, der in Peckinpahs Gesamtwerk sicher eine besondere Stellung einnimmt. Das damalige Skandalpotential ist für Zuschauer heutiger Generationen sicherlich nicht mehr ansatzweise zu verspüren, haben sich die Sehgewohnheiten doch drastisch gewandelt. Dies ist insofern gar nicht mal von Nachteil, weil der Film so die Chance erhält, mit den Aspekten zu glänzen, die ihn wirklich ausmachen. (8,5/ 10 Punkten)

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