Der Umgang mit Gewaltdarstellungen verlangt eine gewisse Sensibilität, will man sich als Filmemacher nicht dem Verdacht aussetzen, diese unkritisch und nur zu Showzwecken im Film zu verwenden. Wenn dann ein Film wie "Dobermann" ganz bewusst auf die Gewaltschiene setzt und jedes Filmplakat schon vor Brutalität strotzt, stellt sich die Frage von selbst, welche Intention Regisseur und Drehbuchautor damit verfolgen.
Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass "Dobermann" unterstellt wird, sich auf den "Tarantino"-Zug aufgeschwungen zu haben ,um in dessen Windschatten einen schnellen Kinoerfolg zu erreichen. Seitdem Tarantino in "Reservoir Dogs" und noch mehr in "Pulp Fiction" eine Ästhetisierung der Gewalt, verbunden mit einer verschachtelten Story, die geschickt Filmzitate benutzte, herausbrachte, entstanden Legionen von Filmen, die scheinbar cool und ironisch das Thema Gewalt behandelten und doch nur billige Kopien darstellten, die nichts anderes als schnell Kasse machen wollten - wie zuletzt das unsägliche "Smokin' Aces ".
Alles in "Dobermann" schreit geradezu nach diesem Schema, denn schon allein die Vorstellung der einzelnen Bandenmitglieder setzt ausschließlich auf deren abgedrehten Charakter. In dieser Ansammlung von kranken Gewaltfreaks, in der Monica Bellucci als stumme Nat den effektreichen Höhepunkt abgibt, wirkt Vincent Cassel als titelgebender Gangsterboss Dobermann geradezu normal. Er plant ein grosses Ding, ist sich darüber aber im Klaren, dass die Polizei jeden Schritt seiner Gang verfolgt, so dass er sich ein geschicktes Ablenkungsmanöver ausdenkt, um in Ruhe mehrere Banken auszurauben.
Dobermann ist nicht nur der Einzige, der sich einen solchen Plan ausdenken kann, sondern auch der soziale Mittelpunkt seiner Bande. Während die einzelnen Mitglieder mehr mit ihren Neurosen beschäftigt sind und sich auch untereinander nicht immer freundlich gesinnt sind, verhält sich Cassell hier wie der grosse Bruder, der Verständnis für seine Familienmitglieder hat und ihnen die eine oder andere Gewalttat mal durchgehen lässt - wie bei etwas schwer erziehbaren Kindern. Er selbst greift nur im Ausnahmefall zur Waffe, während seine Gesellen auch vor sadistischen Brutalitäten nicht zurückscheuen, die der Film in genauesten Bildern zeigt. Trotzdem - und das hat "Dobermann" den Vorwurf der Gewaltverherrlichung eingebracht - wirkt Dobermanns Bande in seiner sozialen Verbundenheit und gesellschaftlich unabhängigen Art, die den verschiedenen Typen Lebensraum gibt, auf eine seltsame Art sympathisch.
Solcherart Emotionen erzeugt man am geschicktesten mit den geeigneten Gegenspielern, die hier in Form der Polizei auftreten. Diese scheint nur aus zwei Parteien zu bestehen - aus naiv, ängstlichen Möchtegern-Cops, die Dobermanns Bande hilflos gegenüber stehen und Tchéky Karyo, der hier ein besonders perfides ,sadistisches Exemplar als Inspecteur Christini abgibt, dass in seiner konsequenten Abscheu vor jeder menschlichen Regung einen solch überzeichneten Bösewicht abgibt, dass dagegen Dobermanns "Jungs" regelrecht harmlos wirken. Zwar wird Christini auch von seinen Kollegen gemieden ,aber nur seine Methoden scheinen letztendlich erfolgreich zu sein.
Hier kommt das eigentliche Verbindungsglied zwischen diesen Parteien ins Spiel - der Transvestit Sonia (Stéphane Metzger) ,in diesem Film die einzige Person, über die der Zuschauer mehr als die oberflächliche Identität erfährt. Sonia ist ein eher folkloristisches Mitglied der Bande, da sie keine Waffe benutzt und deshalb zu Ablenkungs- oder Aufpasserdiensten genutzt wird. Zwar machen sich einzelne Bandenmitglieder auch genregerecht über den Homosexuellen lustig, aber es steht ausser Frage, das er als Mitglied akzeptiert wird und Dobermanns Freundschaft geniesst. Christini macht sich an dieses schwächste Mitglied der Bande heran, von dem er weiß, dass er als Olivier Brachet auch eine bürgerliche Existenz mit Frau und Kind führt.
Gerade in diesen Szenen, in denen Karyo dieses Doppelleben gnadenlos auffliegen lässt, wird die Haltung des Films deutlich. Regisseur Jan Kounens Sympathien gelten eindeutig den Freaks, den Nachtgestalten und unangepassten Lebensformen, während hier der Staat in Persona der Polizei ein denkbar schlechtes Bild abgibt. Betont wird das noch durch die geschickte Veränderung der Inszenierung ab Mitte des Films, denn ab diesem Zeitpunkt übt Dobermanns Bande nur noch Gewalt aus, um sich gegen die immer brutaler angreifende Polizei zu verteidigen.
Um so mehr sich diese Intention mit Fortschreiten des Films herauskristallisiert, so wenig erklärt das die expliziten Gewaltdarstellungen im Film. Vielmehr versucht die gesamte Story gar nicht erst, auch nur einen Hauch Realität anzudeuten. Die Handlung in "Dobermann" umfasst nur ca. 24 Stunden und bringt die Auseinandersetzung zwischen einer Gangsterbande (die nie gegen Zivilpersonen angeht und sogar die alte und etwas verwirrte Dame in der Bank in Ruhe lässt) und der staatlichen Ordnungsmacht auf einen kriegsartigen Höhepunkt, wie er nie real vorstellbar ist. Alles ist hier so überzeichnet und comicartig persifliert, dass die abstruse Gewalt dieses Bild nicht nur abrundet, sondern erst deutlich macht.
Jan Kounen gelingt mit "Dobermann" quasi eine Umkehrung, indem er die Handlung mit Gewalt und freakigem Verhalten so überhäuft, dass sich dadurch die wenigen humanen Momente, wie etwa die Freundschaft von Dobermann zu der von Karyo missbrauchten Sonia, oder die Liebesbeziehung zwischen ihm und Nat, die man den Beiden ernsthaft abnimmt, bleibend einprägen und der gesamte Film ein kritisches Bild einer sonst grösstenteils verrohten Gesellschaft zeigt.
Allerdings - und hier liegt meine Kritik an diesem Werk, dass trotz gewisser Ähnlichkeiten zu Tarantinos Werken seine Eigenständigkeit bewahrt hat - bedarf es einer erheblichen Abstrahierung der hier gezeigten Gewalttaten, um die Intention innerhalb dieses Dauerfeuerwerks erkennen zu können. Sensiblere Naturen werden sich verständlicherweise abwenden und Fans härterer Gangarten sehen darin meist nur eine "coole" Ballerei.
Sollte Jan Kounen tatsächlich versucht haben, seine Intentionen mit dieser Inszenierung allgemein verständlich werden zu lassen, so muss man seinen Film als misslungen bezeichnen und den Vorwurf der Gewaltverherrlichung als berechtigt ansehen. Doch gerecht wird man dem Film damit nicht, denn wenn man "Dobermann" in seiner Gesamtheit betrachtet - die inszenatorischen Veränderungen, das Spiel mit den Sympathien, der Wechsel der Bande vom Täter zum Opfer, das feinfühlige Verhalten innerhalb der monströsen Unmenschlichkeit - dann spürt man den konsequenten künstlerischen Willen innerhalb der brachialen Filmsprache (8/10).