Das Unbekannte und deshalb Nichteinschätzbare einer Situation führt das menschliche Verhalten immer auf seinen Ursprung zurück, weswegen die ehrlichsten Reaktionen gleich zu Beginn dieses Films zu erleben sind und damit zu einem Zeitpunkt, als nur ein diffuses Gefühl der Angst vorhanden ist.
Nach einem nächtlichen Orkan fährt David Drayton (Thomas Jane) mit seinem Sohn in die nahe gelegene Kleinstadt, um dort das Notwendigste einzukaufen. Er nimmt auch seinen Nachbarn Brent Norton (Andre Braugher) mit, dessen Auto durch einen umgeschmissenen Baum zerstört wurde. Die freundliche Geste kommt für den New Yorker Anwalt überraschend, da er mit Drayton zuvor eine gerichtliche Auseinandersetzung hatte, und sie sich normalerweise nicht sympathisch sind. Doch momentan ist die gesamte Bevölkerung in Aufruhr, da der Strom und die Telefonverbindungen ausgefallen sind, und es überrascht wenig, dass der örtliche Supermarkt überfüllt ist. Plötzlich erreicht der sich schon von dem See her anschleichende, undurchdringlich scheinende Nebel den Parkplatz vor dem Supermarkt, aus dem es ohne offensichtlichen Grund kein Entrinnen mehr zu geben scheint. Diese ersten Szenen sind atmosphärisch sehr dicht und vermitteln gut die aufkommende unbekannte Gefahr.
Entsprechend hastig schließen die Mitarbeiter des Supermarktes die Eingangstür und alle dort Verbliebenen starren in die undurchsichtigen, weißen Schwaden. Zu diesem Zeitpunkt ist die mögliche Gefährdung durch den Nebel nicht konkret zu erkennen, doch als eine Frau den Supermarkt verlassen will, weil sie ihre kleinen Kinder zu Hause alleine ließ, wird ihr dringend davon abgeraten. Sie fragt nach einer männlichen Begleitung, aber jeder der Angesprochenen weist ihr Ansinnen ab, auch David Drayton, der darauf verweist, dass er sich um seinen eigenen Sohn kümmern muss. Rational ist seine Reaktion verständlich, aber emotional höchst unbefriedigend. Reagiert so ein Held? – An dieser frühen Stelle des Films werden erste Anzeichen dafür gesetzt, dass in „Der Nebel“ nicht alles glatt laufen wird – weder für die Beteiligten, noch für die Erwartungshaltung der Zuseher - denn Drayton reagiert hier nicht anders, als die übrigen im Supermarkt Verbliebenen und schafft damit auch nicht die Grundlage dafür, sich als Führungsfigur zu empfehlen.
Thomas Jane’s Spiel ist in diesem Zusammenhang genauer zu betrachten. Zwar verfügt er über ein gewisses Selbstbewusstsein, aber gleichzeitig wirkt er auch verwundbar. Als ihn gleich zu Beginn der etwas einfach gestrickte Jim Grodin (William Sadler) als arroganten Schnösel angreift, kann er weder dessen Behauptungen Paroli bieten, noch die Situation, in der die Supermarkt-Handwerker versuchen eine Lüftungsanlage zu reparieren und die für Einen von ihnen zum Tod führt, entschärfen oder gar verhindern. Man ist geneigt Jane’s Darstellung zu kritisieren, die immer zwischen Aktionismus, dem Versuch die anderen Supermarkt-Insassen zu überzeugen und der Zuwendung zu seinem Sohn hin und her pendelt. Auch im Ausdruck von Schrecken und Trauer wirkt er fast unbeholfen, aber gleichzeitig gibt er damit einer Person überzeugenden Ausdruck, die nicht wirklich Herr der Situation ist.
Üblicherweise finden sich in solchen Situationen immer bestimmende Figuren, die verlässlich und überlegt auf die Situation reagieren, und denen es gelingt die Übrigen um sich zu scharren, die in der Gefahr eine sonst nicht mögliche Solidarität in der Gruppe entwickeln. Zu Beginn gaukelt der Film für einen kurzen Moment auch eine solche Entwicklung vor, aber Drayton, der für diese Funktion vorgesehen scheint, erweist sich zu schwach als Führungsfigur. Im gesamten Film bleibt Drayton in seinem Verhalten und seinen Empfindungen wenig authentisch, ganz im Gegensatz zu dem zuerst unbeholfen scheinenden, sich später als überraschend tough erweisenden Supermarkt-Mitarbeiter Ollie Weeks (Toby Jones), der hier zum heimlichen Helden wird.
Auch sein Nachbar Norton zeigt Drayton früh dessen Grenzen auf. Er glaubt Drayton nicht den Vorfall mit dem Tentakelarm, der fünf Männer von ihnen in einem Nebenraum angegriffen hatte, und der vor allem für den Zuschauer die erste Konkretisierung der Gefahr bedeutet. Drayton kann Norton nicht von der Richtigkeit seiner Aussage überzeugen, obwohl diese problemlos beweisbar wäre, da ein Stück des Arms noch abgehackt im Nachbarraum liegt. Norton will Draytons Meinung und die angeblichen Fakten gar nicht erst wissen, und verlässt den Supermarkt mit einigen von ihm Überzeugten, womit er zielstrebiger handelt als Drayton, der keine klare Linie vorgeben kann.
Stattdessen wird immer mehr die religiöse Fanatikerin Mrs. Carmody (Marcia Gay Harden) als Gegenspielerin aufgebaut, die zu Beginn noch wenig Einfluss hat. Als erste Angriffe auf den Supermarkt erfolgen, hätte Drayton mit überzeugendem Handeln die Möglichkeit gehabt, die Anderen stärker um sich zu scharren. Doch trotz eines nicht uneffektiven Einsatzes verliert er Einfluss gegenüber der immer eindringlicher und hysterischer predigenden Mrs.Carmody. Der Film gewinnt hier seine eigene Linie und verlässt die ausgetretenen Pfade üblicher Helden-Epen. Ein Typ wie etwa Bruce Willis brauchte dank seines etwas sperrigen Charakters manchmal auch ein wenig Zeit, um Andere zu überzeugen, aber spätestens, wenn er aktiv wurde, brachen die Ressentiments. Draytons Gruppe dagegen verringert sich ständig und wird zunehmend von den Anderen bedroht.
Ganz bewusst manipuliert Darabont in seinem Film den Zuschauer dahingehend, dass er diese Realitäten nicht erkennen will und auch die erste Reaktion Draytons gegenüber der um Hilfe bittenden Frau vergisst. Denn parallel zu den Geschehnissen baut Darabont klare Sympathien auf. Die Ansammlung an Personen, die sich im Supermarkt zufällig zusammen gefunden hatte, verfügt über die üblichen Charaktere amerikanischer Kleinstädte. Die Meisten erweisen sich als leicht zu beeinflussende, Vorurteils beladene Hohlköpfe, deren Ressentiment gegenüber Intellektuellen und Künstlern schnell offensichtlich werden. Jim Grodin ist nur signifikant für dieses Verhalten und es überrascht auch nicht, dass er schließlich zu Mrs.Carmody überläuft, die als Einzige den verängstigten Kleinstädtern so etwas wie Halt gegen kann. Sehr gut ist die Systematik der Verführung in dieser Konstellation zu erkennen, denn Mrs.Carmody ist in keiner Situation um eine Aussage – egal wie idiotisch oder ignorant diese auch ist - verlegen und damit Drayton weit überlegen.
Diesem vertrauen nur die intelligentesten Charaktere, wie die Lehrerin Amanda (Laurie Holden), die resolute alte Dame Irene (Frances Sternhagen) oder eben Ollie Weeks. Darabont dividiert die hier eingeschlossene Gruppe bewusst auseinander und geht damit einen völlig anderen Weg, als zum Beispiel in vergleichbaren Filmen wie „Dawn of the Dead“, in dem sich zum Schluss sogar ein zuvor eingesperrter Wachmann den Anderen anschließt, oder in Carpenters „Assault“, wo Polizisten und Verbrecher gemeinsam ums Überleben kämpfen. Er betont diese Trennung besonders mit der Figur der Mrs. Carmody, die von Marcia Gay Harden beeindruckend gespielt wird. Mit ihren dauerhaften fanatischen Reden nervt sie vor allem den Zuschauer, der auf Grund seiner neutralen Position, ihr egoistisches und wahnsinniges Spiel sofort durchschaut. Und ansehen muss, wie ihr die Kleinstädter immer mehr zuströmen, und Drayton gegen diese Wucht keine Chance hat. „Der Nebel“ hat zu diesem Zeitpunkt die Chance auf eine Solidarität zwischen den Bedrohten aufgegeben und die Gruppe um Drayton muss nicht mehr nur noch gegen die Monster draußen kämpfen, sondern auch gegen die Feinde im Inneren.
Die Identifikation des Zuschauers wird immer mehr auf diese kleine Gruppe begrenzt, was zur Folge hat, dass deren Reaktionen, trotz Verletzung üblicher Muster, sogar begrüßt werden und ihre Einschätzung der Lage als richtig angesehen wird. Automatisch wird deren subjektive Sichtweise übernommen und Darabont gelingt es, durch die optisch immer konkreteren und furcht erregenden Monster, eine Konkretisierung der Gefahr vorzutäuschen. Die Animation der Monster wirkt leider zweitklassig, genauso wie die Kreationen wenig innovativ erscheinen. Aber letztlich bleiben sie im Film nur Mittel zum Zweck, denn die zunehmende Spannung des Films liegt besonders darin, gemeinsam mit der immer kleiner werdender Gruppe Überlebender deren Weg aus dem Nebel zu verfolgen und ihre letzten Reaktionen abzuwarten.
Das Ende kommt überraschend und unerwartet und wirkt vordergründig verstörend und unlogisch. Darabont bietet keine einfache Lösung, keine Erklärung der Entstehung der Monster und nicht einmal eine abschließende deutliche Sicht auf die tatsächliche Gefahr. Im Gegenteil scheint das Ende die vorherigen Geschehnissen in Frage zu stellen. Dieses Ende gibt dem Film einen komplett anderen Blickwinkel und erklärt letztendlich das oft aufkommende Gefühl der Unausgegorenheit in der zuvor gesehenen Handlung. Viele Handlungsstränge verdeutlichten diese Unsicherheit, das Ungeplante und die fehlende Linie im Handeln. Der gewohnte Aufbau mit einer sich steigernden Gefahr, findet nicht statt und immer wieder unterbrechen unterschiedliche Gewichtungen der Bedrohung und veränderte Konzentrationen auf bestimmte Gruppierungen die Handlung. Zwar gibt es schon früh einen konkreten Angriff eines Monsters, aber dann geschieht längere Zeit nichts, zwischendurch scheint Mrs.Carmody gestoppt, doch dann kommt sie erst richtig in Fahrt – einzig die Uneinheitlichkeit wird hier zu einer Konstanten und damit ist „Der Nebel“ wesentlich näher am üblichen Verhalten von Menschen als die vielen ähnlichen Genre-Beiträge, die davon leben, dass man in der höchsten Gefahr über sich hinaus wächst – gerade dem vermeintlichen Helden Drayton gelingt das nie.
In einer der letzten Szenen überlegt Drayton quälend lang, ob er noch den Revolver ins Auto holen soll, der auf der Motorhaube liegt, während schon die Monster ums Auto herumlauern. Für den Betrachter wirkt diese Szene zu lang, aber sie ist nur ein weiteres Detail in den vielen Anzeichen dafür, dass es sich bei Drayton nicht um den gewünschten, schnell entschlossenen Helden handelt. Ein offenes Ende wäre deshalb in „Der Nebel“ inkonsequent gewesen, denn es hätte die Erwartungshaltungen der Betrachter erfüllt und den Raum für die üblichen Vorstellungen von Gut und Böse, von Lohn und Strafe Aufrecht erhalten. Diese Vorstellungen zerstört Darabont mit seinem Ende und damit das Vertrauen in unser eigenes Urteil (7,5/10).