Review

Zu den leidenschaftlichen Tarantino-Jüngern, die angesichts der viel gepriesenen Coolness seiner Genre-Cocktails regelmäßig vor Seligkeit zerfließen zähle ich ganz sicher nicht. Immer schon ging es mir gegen den Strich, dass man diesen aufgestiegenen Filmnerd zum Genie, zum Retter des Mainstream-Unterhaltungskinos und insbesondere Innovations-Herd hochstilisierte. Letztlich hätte er ohne das Genre-B-Kino der 70ziger und seinen ehemaligen Kumpel Roger Avery, dem er die Drehbücher zu „Reservoir Dogs“ und „Pulp Fiction“ zu verdanken hat, nicht viel in Händen. Die leidigen Lobeshymnen auf die angeblich beispiellos originellen Kultfilme waren mir also stets zuwider. Daher ist die Überraschung, die mir „Death Proof“ beschert hat, weitaus beispielloser. Endlich hat Tarantino etwas geschaffen, das ich mit einem Adjektiv honorieren würde welches mir angesichts seiner übrigen Werke nicht einmal schemenhaft in den Sinn gekommen wäre: souverän.

„Death Proof“ ist persönlich, er ist ehrlich und er lädt den Kenner des Bahnhofs- und Autokinos erstmals erfolgreich und auf Augenhöhe ein, in der offenen und reich gefüllten Zitate-Kiste zu wühlen – ganz offen und unverblümt ohne den prätentiösen Versuch, fremde Feuerwerkskörper für eigene Explosionen zu missbrauchen. Und ganz nebenbei ist er auch weit intelligenter als das grenzdebile, pubertierende (überwiegend männliche) Geschmeiß, von dem ich mich im Kino umzingelt sah und die meisten Kritiker einem Glauben machen wollen. Die lässigen, absurden und zweideutigen Dialoge, die stets als Markenzeichen Tarantinos ausgestellt werden – und wenn er so etwas überhaupt besitzt, dann ist es wohl hier zu materialisieren – werden hier endgültig zur eigenen Kunstform und zur Plattform für einen pro-emanzipatorischen (!), filmreflexiven und selbstironischen (Selbstironie war bislang noch nie die Stärke des Mr. Tarantino) Diskurs verwendet, der sich gewaschen hat. Im Trubel des Unterhaltungsfilms der „Death Proof“ mehr als alles andere ist sowie dem grundsätzlichen Missverständnis und dem Zerrbild des Regisseurs, das sich hartnäckig hält, geht das leider weitgehend unter.

Das pausenlose „Geschwätz“ im Film ist pseudo-cool, konstruiert, forciert und banal bis zur Ohnmacht. Die im Minutentakt auf den Zuschauer niederhagelnden Referenzen ebenfalls. Und formal ist „Death Proof“ Italowestern, Roadmovie, B-Actionfilm, Terrorfilm und Sexploitation-Reißer zugleich unter einem dezent trashigen Dach. Also alles Over-the-top. Und aus diesem Grunde – und noch einigen anderen auf die ich noch zu sprechen komme – ist all das auch in meinen Augen erstmals legitim und wunderbar.

Denn gerade diese Ehrlichkeit, diese Weigerung, die eigenen Vorbilder, bzw. Vorlagen zu verleugnen und sich ihnen zu unterwerfen (zuvor war eher das Gegenteil der Fall) gewährt Tarantino den Freiraum, seine Lieblinge, die er zuvor nur kopierte, soweit umzugestalten, das dabei etwas Neues, Eigenes zustande gekommen ist. Das ist seinen vorangegangenen Werken zwar auch schon unterstellt worden doch dort regiert noch die fröhliche Selbstbeweihräucherung und geistiger Diebstahl, zwei Äcker, die Tarantino gepachtet zu haben scheint ohne sie zu bestellen – bis jetzt.

Erstmalig ist er wirklich selbstreflexiv – und das nicht zu knapp. Auf den Rollenwechsel innerhalb der bekannten Konstellation der finalen Verfolgungsjagd und innerhalb der eigentlichen Handlung – Frauen wandeln sich von hilflosen Opern und erotischen Objekten zu eisenharten, maskulinen Furien – wurde bereits hinreichend eingegangen, ebenso auf den Schlag ins Gesicht, den diese augenzwinkernde Prise für zahlreiche Tarantino-Fans bedeuten dürfte (zuletzt war man doch immer genötigt, von typischem Männer-Kino zu sprechen, selbst wenn die Protagonisten – Pam Grier in „Jackie Brown“ und Uma Thurman in „Kill Bill“ weiblich waren). Das weit merk – und denkwürdigere: Die Sätze, die Tarantino seinen vier Amazonen in den Mund legt. Hier herrscht ein deftiger Umgangston, über die ewig Triebgesteuerten und auf Statussymbole wie ihre Autos angewiesenen Männer wird herzhaft gelästert und im gleichen Atemzug anzüglich getuschelt wie denn wohl das Gemächt dieses oder jenes Kandidaten beschaffen wäre, es wird aber auch begeistert über Autos und alte Autokino-Filme debattiert. Sprich: Diese Frauen reden über Männer so wie Männer über Frauen und über viele andere Dinge, über die Frau wohl schon spricht, nur kaum in einem solch derben Jargon und mit soviel johlender Hingabe. Eine italienische Ausgabe der „Vogue“ ist doch beinahe genauso schön wie ein ganzer Kasten Bier (übrigens ziehen die Damen Gras in rauen Mengen vor). Diese Frauen sind, mit Verlaub gesagt, ganze Kerle!

Was man von dem diabolischen Antagonisten, Stuntman Mike (Kurt Russel in einer Rolle, wie man sie ihm schon seit Jahren wünscht) nicht behaupten kann. Der tut zwar mächtig einen auf markig und prallen Schritt, hat aber als Anmachsprüche nur verhaltene Phrasen auf Lager, ein schwarzes Muscle-Car (das – hier sind sich unsere Amazonen einig – irgendeine Größe implizieren soll, die woanders nicht messbar ist) und entpuppt sich im Finale als larmoyanter und feiger Softie, der angesichts der todesmutigen Entschlossenheit der „Ladies“ lieber die Fliege machen will. Wenn ich diesen Film in den 70zigern gedreht hätte, käme für diese Rolle unter meiner Regie kein anderer als unser deutscher Nordbär Raimund Harmstorf – Gott hab ihn selig - in Frage.

Um noch einmal zu dem eigentlichen Ausgangspunkt meiner Kritik zurückzukommen: Die Dialoge. Die sind wichtiger als alles andere in „Death Proof“, auch wenn die beiden großen Schaumomente des Films sehr eindrucksvoll und süffig in Erscheinung treten, allen voran die finale Vefolgungsjagd (ohne CGI – traumhaft) und der blutige Crash zu Beginn. Die wahre Kunst besteht hier im Nichts. Selten war es spannender, endlosen Lamentationen über die banalsten, uninteressantesten und trivialsten Dinge beizuwohnen und auf diesem Wege zu den Protagonisten zu finden die ihren eigenen verbalen Ergüssen in nichts nachstehen – eigentlich im negativen, hier aber positiven Sinn.
Sie sind Puppen, ja. Aber gelegentlich sind ungewöhnliche oder besonders agile, spielende Puppen eben weit interessanter als echte Charaktere was sich beispielsweise auch an den Filmen Paul Verhoevens ausgezeichnet nachweisen lässt.

Das verringert denn auch die Distanz zu den zahllosen, omnipräsenten Vorbildern und Tarantinos eigenem Riesen-Ego. Schon in den ersten Einstellungen erkennen wir an der Wand in Butterfly’s (Vanessa Ferlito) Wohnung ein Kinoplakat des legendären „Das Wiegenlied vom Todschlag“, wir hören bei den ersten beiden Auftritten des schwarzen Todesautos die dissonanten, beunruhigenden Klänge Ennio Morricones aus „Die neunschwänzige Katze“ von Dario Argento, dessen Regie-Debüt „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ sowohl akustisch (ebenfalls Morricone) als auch visuell nachempfunden wird, als Mike (der seine Kühlerhaube ähnlich ziert wie Kris Kristofferson in Sam Peckinpahs "Convoy") die vier Amazonen mit dem Sucher seiner Kamera ortet und ablichtet. Ständig kommt die Rede innerhalb des Quartetts auf „Fluchtpunkt San Francisco“ zu sprechen und die unvergessliche, treibende Musik aus den Polizeifilm-Klassikern „Cop Hunter“ und „Der Tod trägt schwarzes Leder“ ist für den Kenner ebenfalls eine sehr nette Beigabe. Obligatorisch zu erwähnen, das auch das übrige musikalische Bouquet köstlich mundet. Dafür war Tarantino schließlich auch immer bekannt, doch im Gegensatz zu „Pulp Fiction“ wo der Soundtrack den gesamten Film überragte steht er hier hinter Bildern und Dialogen an. Ersteren gelingt übrigens tatsächlich – und das nicht etwa durch die künstlich erzeugten Kratzer, Aktwechsel und Filmrisse – das Kunststück, stilechtes 70ziger-Feeling zu erzeugen durch grobe Farben, harte Kontraste und eine sehr unzeitgemäße Kameraführung, die inzwischen ausgestorbene Stilmittel wie wackelige Zooms, Froschperspektive und ein oft voll ausgereiztes Scope-Bild (alles Tugenden denen man heute zu selten begegnet) und schräge Perspektiven und Anordnungen in Hülle und Fülle reanimiert. Um einem nicht ausrottbaren Irrtum entgegenzuwirken: Gerade das B-Genre-Kino der 70ziger zeichnete sich häufig durch heute unglaublich vielseitig und erfrischend wirkende formale Brillanz aus die selbst billigsten Schundprodukten noch eine gewisse künstlerische Wertigkeit verlieh.

Was Tarantinos Ego betrifft, so nimmt er sich hier sehr angenehm zurück und spart auch diverse selbstironische Anspielungen nicht aus. Wenn Stuntman Mike vor einem kleinen Grüppchen in der Bar zu Beginn von den alten Fernsehserien, in denen er seinen Hals riskierte erzählt, folgt ein Gegenschnitt auf die verunsicherten Gesichter seiner Gegenüber, die ganz offensichtlich nur Bahnhof verstehen. Eine Sequenz, mit der Tarantino jedem Cineasten aus der Seele sprechen dürfte. Und auch die unangenehme Umfunktionierung seiner Filme und seiner Person zum Konsumartikel nimmt er aufs Korn, als Abernathys Handy sich im Supermarkt mit Bernard Hermanns „Twisted Nerve“ (aus dem gleichnamigen Film, verwendet in „Kill Bill“) als Klingelton bemerkbar macht. In „Death Proof“ ignoriert Quentin Tarantino seine Geistesverwandten, die kongenial seine Liebe zum Auto- und Bahnhofskino teilen nicht sondern reicht ihnen brüderlich die Hand. Und daher bin ich als begeisterter Anhänger dieser glorreichen Kino-Dekade beinahe machtlos und gezwungen, einzuschlagen. Danke Mr. Tarantino, danke dass ich mich im Sitz eines großen Multiplex-Kinos einmal derartigen Freuden hingeben durfte. Trotzdem finde ich es nicht richtig von Ihnen, ein Remake von „Inglorious Bastards“ zu drehen. Aber wenn Sie ihren neuen Kurs beibehalten könnte sogar das etwas werden.

Fazit: „Death Proof“ ist mit Sicherheit QTs bislang weitester Wurf. Den Pantheon meiner Lieblingsregisseure wird er wohl nie erreichen, doch erstmals habe ich ihm gegenüber so etwas wie Respekt verspürt und bin in diesem Fall bereit, die oft auf ihn angewendete, etwas fragwürdige Bezeichnung „Autoren-Filmer“ stehen zu lassen. Denn das war wirklich eine souveräne Leistung und ganz nebenbei eine feurige Party.

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