Review

Obwohl keine dicken Spoiler enthalten sind, nach Möglichkeit am besten kurz vorher noch den Kurzfilm anschauen - das dürfte den Spaß an Film und Rezi erhöhen.

Die Spinne ist ein Wunder der Natur, so sagt die Populärwissenschaft - vor allem deswegen, so ist anzunehmen, weil sie Netze webt. Mehr noch als die Elastizität und Stabilität der Fäden fasziniert die Form und Anordnung eines Netzes, weil es ein im Universum immer wiederkehrendes Motiv ist. Die Netzstruktur lässt sich als Bildnis auf die Stadtplanung übertragen, auf Molekularbiologie oder die Skizzierung sozialer Strukturen menschlicher Gemeinschaften. Quasi eine Allzweckwaffe im Gebrauch von Metaphern.

Aus diesem Grund wird der Spinne gerade im filmhistorischen Kontext sehr häufig eine metaphorische Bedeutung zuteil, die sich nicht selten im Filmtitel manifestiert. Wo “Spider” draufsteht, muss nicht immer “Spider” drin sein, es können auch einfach Beziehungsnetze gemeint sein oder zeitliche Verwebungen - man frage nur mal David Cronenberg. Für den Freund von Tierhorror kann das manchmal ganz schön frustrierend sein. Ich selbst hatte diese Diskussion kürzlich noch rund um den südkoreanischen Film “Spider Forest”, bei dem ich einmal mehr mit einer nicht zu leugnenden Enttäuschung feststellen musste, dass es in dem Film ja gar keinen Wald voller Spinnen gibt. Aber ich will doch einen Spinnenfilm sehen!

Vermutlich, damit ich aufhöre zu knatschen, wurde ich nun auf den Kurzfilm “Spider” des seit Mitte der Neunziger aktiven Stuntmans Nash Edgerton aufmerksam gemacht. Aber hossa, bei genauer Betrachtung gibt es schon wieder keine Spinnen und schon wieder nur diese blöden Metaphern - aber irgendwie ist da ja doch so was wie eine Spinne und die Metaphern sind gar nicht mal so blöd.

Zunächst fällt die hochwertige Inszenierung ins Auge. Da sitzt ein scheinbar frisch vermähltes Pärchen (Regisseur Edgerton und Mirrah Foulkes) im Auto und schmollt sich gegenseitig an. Das Schmollen erfolgt über exzellente, filmreife Technik - man möchte meinen, es mit dem Teaser zu einem neuen Blockbuster zu tun zu haben.
Hat man sich an die überraschend hohe Produktionsqualität gewöhnt, fällt ein inhaltliches Detail in den Aufmerksamkeitsbereich des Zuschauers: im Auto sitzen ein Mann und eine Frau, aber die Frau sitzt am Steuer! Natürlich ist das nichts besonderes, denn es ist ja erwiesen, dass Frauen mindestens genauso gut Auto fahren wie Männer. Aber mal Hand aufs Herz, in diesem cineastischen Kontext entwickelt man als Zuschauer doch unmittelbar ein unbehagliches Suspense-Gefühl, wenn man sieht, wie eine Frau ein Auto durch belebten Verkehr auf einer mehrspurigen Straße steuert. Wenn schon nicht aufgrund tatsächlicher statistischer Fakten, dann doch zumindest, weil Filmemacher chauvinistische Schweine sind und die Tatsachen immer noch nicht begriffen haben. Und dieser Filmemacher ist auch noch Stuntman. Da liegt definitiv was in der Luft in dieser harmlos erscheinenden Szene.

Zumal sich ja noch eine weitere Assoziation einschleicht: Der Kurzfilm heißt ja immerhin “Spider” und haben Frauen, so lehrt uns das Klischee, nicht unheimliche Angst vor den Achtbeinern? Und was ist nun von dem Kurzfilm eines Stuntmans zu erwarten, der den Titel “Spider” trägt und eine autofahrende Frau im Mittelpunkt hat?

Pure Hitchcock.

Dann kommt aber die Erleichterung und der vermeintliche Thriller verwandelt sich kurzzeitig zum Monster-B-Movie der 50er Jahre, als eine altmodische Tankstelle angefahren und getankt wird. Das William Castle-Flair lebt auf, als der Mann in den Laden geht und jede Menge Zeug einkauft - Blumen und Pralinen als Entschuldigung. Nebenbei aber auch noch den verheerenden MacGuffin, die Gummispinne, die alles Schreckliche in Gang setzen wird. Eine Gummispinne ist es also, die der Tierhorrorfan vorgesetzt bekommt, aber eins sei mal versprochen, sie erfüllt ihren Zweck formidabel. Wie ein teuflisches Werkzeug Castles macht sie sich daran, “to scare the pants right off Australia” - plötzlicher Geisterbahn-Schock mit anschließender ironischer Brechung, die eine Erleichterung zur Folge hat.

Und hier kommen die handwerklichen Fähigkeiten des Regisseurs zur Geltung, der uns im folgenden zwei ziemlich krasse Szenen zumutet, die der “Final Destination”-Franchise alle Ehre machen und als Katalysator zur emotionalen Äußerung des Zuschauers dienen - der muss nämlich im ersten Moment mal kurz überlegen, ob er nun schockiert sein oder lieber vor Belustigung kreischen soll. Beim zweiten Schocker wird dann klar, dass letztere Variante eine gute Wahl ist.
Beides jedenfalls ist wie der komplette Kurzfilm allergrößtes Handwerk.

Aber dann ist da ja auch noch die Spinnennetz-Metapher, die dem Teil die Krönung versetzt. Die ganze Geschichte ist ein einziges kausales Missgeschick ab dem Moment, in dem die Gummispinne an der Tankstelle den Besitzer wechselt. So wäre das nämlich alles nicht geschehen, wenn der Mann nicht so einen eigenen Sinn für Humor hätte, wenn die Frau nicht so schreckhaft wäre, und der zweite Effekt hätte umgangen werden können, wenn sich der eine um den anderen nicht so viele Sorgen gemacht hätte. Ein menschliches Beziehungsnetz, gesponnen in sorgfältiger Arbeit, verbunden in alle Ewigkeit... mit einem Unfall.
“Spider” - kausale und emotionale Verwebungen, die dem Schicksal sein Antlitz verleihen. Zehn Minuten, die ihre Erfahrung absolut wert sind.

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