Review

Dario Argentos kreative Blütezeit lässt sich zwischen 1975 und 1987 festmachen. In diesen Jahren schien fast alles, was der gebürtige Römer begann, für die Fangemeinde zu cineastischem Gold zu werden. Seien es „Profondo Rosso“, „Tenebrae“ oder der zur Rezension stehende „Opera“, welcher 1987 gedreht, sozusagen das Ende von Argentos fulminanter Ära einläutete. Wie in fast allen seinen Produktionen zeichnet er sich auch hier wieder einmal als Regisseur, Drehbuchschreiber und Produzent in Personalunion verantwortlich- quasi ein „Auteur“ des italienischen Kinos.

Argento benutzt für „Opera“ die klassische Giallo- Ausgangslage. Abermals treibt ein verrückter Killer sein Unwesen, welcher es diesmal auf die junge Opernsängerin Betty abgesehen hat. Diese bekommt, nachdem die erste Besetzung für die Hauptrolle in der neusten Macbeth- Aufführung verunglückt ist, den Part zugesprochen und sieht sich fortan von dem mysteriösen Stalker verfolgt. Jedoch scheint er es diesmal nicht auf ihren Tod abgesehen zu haben, vielmehr zwingt er sie ein ums andere Mal, den bestialischen Morden an ihren Teamkollegen beizuwohnen.

So weit, so gut. Der Film bekommt alle Voraussetzungen mit auf den Weg, um ein ganz Großer des Genres zu werden- und er nutzt sie. Zwar präsentiert sich „Opera“ nicht mehr so rau und kühl wie der fünf Jahre zuvor gedrehte „Tenebrae“, weiß aber durch andere Stärken zu glänzen. Proportional zum Verlust der Rauheit gewinnt das Werk eine erhöhte Geschliffenheit- besonders in optischer Hinsicht. Die optische Opulenz liegt maßgeblich im imposanten Setting des Operngebäudes begründet und wird zudem durch die exzessiv eingesetzten, überaus ästhetischen Point-of-View- Kamerafahrten aus der Sicht des Mörders abgerundet. Auf diese Art wird der Zuschauer gezwungen die Perspektive des Killers einzunehmen und mit ihm zusammen die scheinbar endlosen Gänge und Wege zu erkunden, was zum einen stark zur Spannung beiträgt, zum anderen das verwöhnte Cineasten- Auge befriedigt. Ein weiteres Highlight, welches unbedingt Erwähnung finden sollte, stellt sicherlich der finale Rabenflug dar: Um den im Publikum befindlichen Täter zu entlarven, lässt der Opernregisseur einen Schwarm Raben, der zuvor bereits schmerzhafte Bekanntschaft mit dem großen Unbekannten gemacht hat, frei in der Oper fliegen. Dabei begleiten wir die Vögel bei ihren spektakulären Sinkflügen in POV. Die Kamera gleitet von der Decke des Hauses in kreisenden Bewegungen gen Erde und fängt einmalige Bilder der panisch werdenden Menge ein. Der aufmerksame Leser merkt an dieser Stelle bereits, dass ich in Lobhudeleien abzuschweifen drohe, deshalb nur noch ein Wort: virtuos!

Ein interessanter Punkt, der viele Werke Argentos durchzieht, sind die autobiographischen Referenzen bzw. die Parallelen zu seinem Leben als Regisseur von nicht jugendfreier Kost. Sein Bezugspunkt ist in „Opera“ natürlich der Opernregisseur Marco- seines Zeichens ebenfalls aus dem Horrormetier-, welcher von der Presse für seine Inszenierung des Macbeth-Stückes in der Luft zerrissen wird. Auch Argento erging es bei genauerer Betrachtung seines Werdegangs ähnlich. Nicht selten waren er und seine Filme im Zentrum der öffentlichen Kritik. Wo seine Fangemeinde die Kunst zu erblicken vermochte, standen den Kritikern – sei es wegen der dünnen Storys, der Gewalt oder was auch immer- die Haare zu Berge.
Wer jetzt laut „Zufall“ oder „Überinterpretation“ schreit, dem sei gesagt, dass sich vergleichbare Beispiele z.B. auch in „Tenebrae“ –in Form des Schriftstellers Peter Neal- finden. Diesem wird ebenfalls- aufgrund der drastischen Frauenmorde in seinen literarischen Werken- der Vorwurf der Misogynie bzw. des Sadismus gemacht. Wieder einmal deutliche Parallelen, sind doch genauso Argentos liebste Opfer in den Riegen der holden Weiblichkeit zu finden, was einigen Kritikern sauer aufzustoßen scheint.

Wenn wir schon beim Thema Tod, Blut und Wahnsinn sind: Argento darf sich auch in seiner wahrscheinlich letzten großen Produktion effekttechnisch ganz nach Belieben austoben. Zwar wird das Thema Gewalt langsam müßig und man möchte schon fast nichts mehr dazu schreiben, aber irgendwie kommt man am Ende- vielleicht wegen des essentiellen Charakteristikums des Stilmittels?- doch nicht drum herum. Wie sonst könnte Argento Suspense so zielsicher generieren, wenn nicht jedem Zuschauer bewusst wäre, welch drakonische Strafen- visuell bis ins kleinste Detail dokumentiert- auf die Opfer warten? Eine Frage, über die es nachzudenken gilt, wobei man „Opera“ neben all dem noch eine weitere Dimension des Grauens zusprechen muss. Die Dimension des Terrorkinos. Terror in Reinkultur, welcher forciert gegen die Hauptdarstellerin ausgeübt wird. Denn unser verrückter Killer scheint zunächst dem primären Ziel zu folgen, Cristina möglichst blutig am Ableben ihrer Teamkollegen teilhaben zu lassen. Er fesselt sie, justiert ihr mit Nadeln besetzte Klebestreifen unter die Augen und zwingt sie so aufs Grausamste den Morden beizuwohnen. Untermalung erhält das Ganze durch einen röhrenden Metall-Sound, welcher den Tötungssequenzen eine neue Qualität in Sachen Intensität verleiht, die sich selbst vor neueren Produktionen, die dasselbe Schema bemühen (bekanntestes Beispiel die „Saw“- Reihe), nicht verstecken braucht.

Ein negativer Punkt, den auch ein leicht verblendeter Giallo- Fan wie meiner einer nicht verleugnen kann, findet sich bei den dargebotenen schauspielerischen Leistungen. Blickt man über kleinere Mängel noch hinweg, gestaltet es sich schon ein wenig nervig, dem teilweise arg unterkühlten Acting der Hauptdarstellerin Cristina Marsillach (alias Betty) beizuwohnen. Ihr gelingt es oftmals nicht, die Gefahr, in der sie sich befindet, zu vermitteln. Des Weiteren handelt sie nicht selten absolut unnachvollziehbar, was aber nicht direkt ihr, sondern eher dem Drehbuch zuzuschreiben ist.

Nach dem eher durchwachsenen „Phenomena“ hat Dario Argento mit diesem Werk zu alter Stärke zurückgefunden. „Opera“ verleiht dem Giallo storytechnisch wahrscheinlich keine neuen Impulse, stellt aber mit seinem visuellen Einfallsreichtum und der ihm inne wohnenden Vitalität sicherlich einen Höhepunkt des Genres dar. Ansonsten bleibt alles beim Alten: die logischen Ungereimtheiten häufen sich und der rote Lebenssaft spritzt in Litern. Argento sei Dank…

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