Review

Episoden-Filme haben in der Regel zwei wesentliche Ziele: Durch die narrative Kompression für Kurzweil zu sorgen und zugleich mehrere unterschiedliche Regisseure, oft unter einem bestimmten thematischen Oberpunkt, zusammenzuführen. Im Falle der japanischen Horror-Kurzfilm-Anthologie „Unholy Women“ war die für dieses Konzept übliche und ratsame – schließlich erhofft sich die Mehrheit der Zuschauer von einem solchen Projekt instinktiv gruselige Kurzweil - dramaturgische „Sortierung“ der drei Episoden offensichtlich ein sehr schwieriges Unterfangen- das auch nicht glücklich gelöst wurde, selbst wenn man berücksichtigt das Qualität, Originalität und Effizienz sehr wechselhaft über die drei Episoden, die sich dem Titel entsprechend um diabolische Frauen ranken, verteilt sind.

Ein weiser Entschluss war es aber sicherlich, mit dem Kurzfilm „KLAPPERN“ zu beginnen, mit dem Regisseur Keita Amemiya reichlich ausgetretene, konventionelle Pfade beschreitet. Der Plot um eine junge Frau, Kanako die auf ihrem nächtlichen Heimweg durch ein seltsames, klapperndes Geräusch beunruhigt wird und einem kleinen, geisterhaften Mädchen begegnet, lässt es bereits erahnen: „Klappern“ ist nur ein weiterer Geisterfilm in typischer J-Horror-Manier, die sich bekanntermaßen schon zu einem eigenen Genre-Klischee entwickelt hat und regelmäßig als Fundgrube für ratlose US-Produzenten herhalten muss. Und vielleicht- was ihn sicherlich in kein vorteilhafteres Licht rückt- eine Hommage an die Episode „Der Wassertropfen“ aus Mario Bavas grandiosem Gothic-Horrorfilm „I tre volti della paura“.

Der Zuschauer muss also auf nichts verzichten und sieht all seine Erwartungen, bzw. Befürchtungen bestätigt. In Kanakos Wohnung sind natürlich seltsame Stimmen zu hören, ihr geplantes Bad wird selbstredend von unsichtbarer Hand eingelassen und der obligatorische weibliche, lang- und schwarzhaarige Geist der sich besonders gerne an der Zimmerdecke festkrallt darf selbstverständlich auch nicht fehlen.

Was folgt ist eine ermüdende, an filmischer Grobmotorik und Einfallslosigkeit kaum zu überbietende Verfolgungsjagd, während der die Dämonenfrau in rotem, flatternden Gewand unsere gesichtslose Protagonistin durch die Straßen hetzt- musikalisch und akustisch ohrenbetäubend um Einschüchterung des Zuschauers bemüht, der sich dieser Intention aber trotzig widersetzt.

Um das letzte Quäntchen des äußerst bescheidenen Potentials von Amemiyas Beitrag an dieser Stelle nicht auch noch preiszugeben schweige ich mich über die Schlusspointe aus- ihr könnt sie bereits erahnen. Die erfolgstrunkenen Schatten von „Ju-on- The Grudge“, „The Ring“ und „Dark Water“ reichen weit.

Sieht man von der ansehnlichen Kameraarbeit und einem stellenweise stimmungsvollen Score ab, bietet „Klappern“ dem im J-Horror-Metier erfahrenen Zuschauer nichts. Ein schwacher Auftakt, dem ich mit größtem Wohlwollen knappe 5 Punkte opfere.

Der nervlich angeschlagene Zuschauer erhält bei der zweiten Episode „HANAGE- STAHL“ allerdings sogleich die Möglichkeit, sich von den noch frischen Ärgernissen zu erholen. Das bizarr-komische Körperhorror-Märchen von Takuji Suzuki stellt in meinen Augen den unbestreitbaren, im Grunde auch einzigen Höhepunkt der Anthologie dar und lässt auf ein baldiges Langfilm-Debüt des Regisseurs hoffen. Was sich auf dem Papier befremdlich und sogar konventionell liest ist auf der Leinwand eine genauso morbide wie verschmitzte Kreuzung von Tsukamoto und Miike. Der Kenner wird bei der gemeinsamen Nennung dieser beiden Namen sicherlich mit der Zunge schnalzen- und bei „Hanage“ vermutlich ebenso.

Positiv hebt sich „Hagane“ von den anderen beiden Episoden durch seinen beinahe konsequenten Verzicht auf die Stilmittel des Horrorfilms ab. Suzuki benötigt sie nicht: Seine Prämisse ist surreal und bizarr genug um auf einfache Schockeffekte und bedrohliche Szenerien verzichten zu können. Ein inzwischen aussterbender Luxus.

Stell dir vor, dein Chef bittet dich darum, seine Tochter auszuführen. Halte dir weiterhin vor Augen, das dein Chef jemand ist, aus dem du nie so recht schlau geworden bist und der dir immer ein wenig „strange“ vorkam. Und nun stell dir vor, das seine Tochter nicht wie auf dem Foto, was er dir gezeigt hat, ein wunderschönes Gesicht hat sondern einen braunen Jutesack über ihrem Oberkörper trägt, den sie nicht abnehmen will. Würde dir das trotz der schönen Beine, die dieses unförmige Bündel tragen, nicht auch reichlich seltsam vorkommen? Und überhaupt: Wer führt schon gerne eine wandelnde Kartoffel zum Essen aus?

Der schüchterne Mechaniker Sekiguchi bereut seine Zusage jedenfalls schnell. Die still schweigende junge „Dame“ scheint von der gut gemeinten Idee ihres Vater nämlich ebenfalls nicht sonderlich entzückt und unternimmt ständig Ausreißversuche, die jedoch immer an ihrer unvorteilhaften Physiognomie scheitern- um einen steilen Abhang nicht hinab zu rollen und sich zu halten benötigt man eben doch zwei Arme.

Um sich die Sympathien seines Chefs nicht zu verscherzen kommt Sekiguchi seiner Aufgabe so gewissenhaft wie möglich nach. Bis in seiner Begleiterin die Fleischeslust und damit eine echte „Femme fatale“ erwacht.

„Hanage“ ist hinreißend und unterstreicht anschaulich, wie gerne Groteske und Horrorfilm sich aneinander schmiegen. Die Episode ist weder effekthascherisch, noch sonderlich düster- sondern nüchtern, lebendig und minimalistisch inszeniert und – besonders erfreulich – dank der unschlagbaren Basis sehr wortkarg und beinahe ausschließlich über die rustikalen Bilder erzählt. Der laufende „Sack“, das verhüllte Mädchen entlockt dem Zuschauer dieselbe paradoxe Ratlosigkeit wie Sekiguchi. Soll man auf dieses Ungetüm nun eher interessiert und belustigt oder beunruhigt reagieren? Was sich unter dem Sack verbirgt ist schließlich nicht bekannt. Ist die junge Frau, die ja offenbar einmal von betörender Schönheit war, inzwischen durch einen Unfall entstellt oder verbirgt sich unter dem groben Stoff etwas anderes, schlimmeres?

Die vage Auflösung führt uns erwartungsgemäß in Cronenbergianische Gefilde wobei dem Zuschauer aber eine eindeutige Antwort auf seine Wissbegierde versagt bleibt- Genauso wie dem unglückseligen Sekiguchi, dessen Annäherungsversuche die verliebte Hanage gegen ihren eigenen Willen höchst undankbar honoriert.

Das „Hanage“ trotz seiner schrägen Einfälle, des hohen, auch aus der intelligenten Erzählweise resultierenden Unterhaltungswertes und der dichten Atmosphäre nur Herzstück, nicht aber krönender Abschluss von „Unholy Women“ sein durfte, erstaunt nicht. Es fehlt im der so genannte, „gewisse Knall-Effekt“, die echte Action und vor allem der schlichte, oberflächliche Horror. Für mich kein Argument- „Hanage“ hat sich seine 9 Punkte redlich verdient und in mir die Hoffnung und Neugierde auf einen Langfilm von Takuji Suzuki geweckt. Eine völlig neue, popkulturelle Definition des Schimpfwortes „Sackgesicht“.

Warum „Hanage“ den Film seiner unkonventionellen Geschichte und Art zum trotz dennoch besser ausklingen hätte lassen als der nun folgende „THE INHERITANCE“ ist leicht beantwortet: Diese letzte Episode von Keisuke Toyoshima besitzt zwar die echte Action, den Knalleffekt und die unkomplizierte, aber effiziente Schlusspointe, präsentiert sich dann leider doch als Gegenteil eines „echten Krachers“. Ein solcher benötigt schließlich zuvorderst eine zündende Idee- die „The Inheritance“ eindeutig fehlt und „Hanage“ mühelos als glorreichen Abschlussfilm prädestiniert hätte.

Mit der Nennung von „Ju-on“-Regisseur Takashi Shimizu als Berater im Vorspann werden beim Zuschauer automatisch bestimme Assoziationen geweckt- die Regisseur Toyoshima auch baldigst bestätigt- und zwar leider nicht in Richtung des Kleinods „Marebito“ mit welchem sich Shimizu nach „Ju-on“ beim anspruchsvollen Horrorfilmliebhaber rehabilitierte, sondern eher in Richtung des ersteren Kassenschlagers, dem inzwischen auch ein unnützes US-Recycling widerfahren ist. Zwar übertrumpft „The Inheritance“ den inzwischen bereits erfolgreich verdrängten Einstieg „Klappern“, verliert aufgrund seiner massiven Einfallslosigkeit aber haushoch gegenüber dem brillanten „Hanage“. Die Handlung, die uns Toyoshima präsentiert unterscheidet sich nur marginal von den oben genannten japanischen Kassenhits und der ersten Episode. Dennoch kann man dem Regisseur Talent bescheinigen, versteht er es doch in Opposition zu dem hilflosen Amemiya, eine suggestive, düstere Atmosphäre zu schaffen- und das nicht mithilfe von in kaltem Grün zu Tode gefilterten Bildern sondern durch den weitgehenden Verzicht auf Beleuchtung und anderweitige handwerkliche Vorzüge. „The Inheritance“ ist ein extrem dunkler Film, der auf der Kinoleinwand noch funktioniert, dem Zuschauer auf DVD aber sicherlich Ärger bereiten dürfte.

Trotzdem ist man geneigt, enerviert die Augen zu verdrehen. Schon wieder serviert das Drehbuch uns eine Geschichte um einen kleinen Jungen, der einst verschwand und nun- Jahrzehnte später- mit der Lebenskraft seines Enkels eine Rückkehr aus dem Nirvana plant. Eine gewissenhafte Inszenierung und reizvolle Locations – gedreht wurde in einem kleinen Dorf in der japanischen Berglandschaft – bescheren dem nach „Hanage“ verwöhnten Rezipienten aber dennoch passable Spukhaus-Unterhaltung, die, obwohl nicht von nachhaltiger Wirkung, den Tanz auf dem Geduldsfaden des Zuschauers gegenüber der thematisch identischen Episode eins elegant umschifft und mit einem blauen Auge sowie 7 Punkten den Wettbewerb verlässt.

Somit empfiehlt sich „Unholy Women“ als pikanter Imbiss für den kleinen Hunger zwischendurch, ist aber einzig aufgrund des überragenden „Hanage“ als sehenswert einzustufen. Im Durchschnitt 7 Punkte wert.

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