Ist man gewillt sich mit dem frühen deutschen Kino der 20/ 30er Jahre etwas intensiver auseinanderzusetzen, wird man sehr schnell feststellen, dass Personen existieren, an denen ein Vorbeikommen fast unmöglich ist, scheinen sie doch mit der Epoche untrennbar verbunden. Neben Josef von Sternberg (Der blaue Engel) und Fritz Lang (M- Eine Stadt sucht einen Mörder)- beide zwar genau genommen Österreicher- zählt Friedrich Wilhelm Murnau zu diesem Personenkreis. Unvergessen sein Meisterwerk „Nosferatu- Eine Symphonie des Grauens“ (1922). Eine unlizenzierte Verfilmung von Bram Stokers Dracula und gleichzeitig der Grundstein von Murnaus Ruhm.
Nicht minder interessant wie zuvor genanntes Werk präsentiert sich eine Produktion aus dem Jahre 1926: „Faust- Eine deutsche Volkssage“, welche die filmische Aufbereitung eines Themas ist, dessen sich schon Johann Wolfgang von Goethe (Urfaust, Faust 1+2) annahm und es zu einem unvergessenen Stück Weltliteratur formte.
Der Gelehrte Faust muss hilflos mit ansehen, wie eine Pestwelle seine Heimatstadt in einen Ort des Todes verwandelt. Aus Verzweiflung über sein Unvermögen ein Heilmittel zu finden, ruft er die Mächte der Finsternis an und bekommt vom Teufel Mephisto geschickt. Dessen Aufgabe ist es, Faust dazu zu bewegen, dem Herrscher der Finsternis seine Seele zu verkaufen. Als Gegenleistungen ködert ihn Mephisto mit Verlockungen wie dem ersehnten Mittel gegen den schwarzen Tod, ewige Jugend und Frauen, sodass Faust schließlich nicht widerstehen kann und nach einem verführerischen „Probetag“ den Pakt mit dem Bösen unterzeichnet. Fortan wird er immer tiefer in einen Strudel aus Leid und Tod gezogen, der auch vor seiner Umwelt keinen Halt macht…
Murnaus „Faust- Eine deutsche Volkssage“ hält sich in vielerlei Bereichen dicht an Goethes Bearbeitung des klassischen Stoffs. So ist auch hier der Ausgangspunkt für die folgende Geschichte der berühmte „Prolog im Himmel“. Gott –hier vertreten durch Erzengel Michael- und der Teufel liegen im Streit um die Vorherrschaft auf Erden. Deshalb einigen sie sich auf eine Wette, zu deren Gegenstand der Gelehrte Faust auserkoren wird. Sollte es dem Teufel möglich sein, diesen vom rechten Weg- dem Göttlichen- abzubringen, könne er fortan die Herrschaft über die Erde für sich beanspruchen. Gesagt, getan! Die Wette gilt und Fausts Unheil nimmt seinen Lauf…
Von tricktechnischer Seite gesehen, ist das Werk ein unbestrittenes Meisterstück des deutschen Stummfilms. Was hier aufgeboten wird- man bedenke: wir befinden uns im Jahr 1926- um Murnaus Visionen umzusetzen, ist schlicht und ergreifend sagenhaft. Sicher, es bedarf einem gewissen Faible für die damalige Zeit, um den Film in vollem Umfang genießen zu können, doch „Faust“ gestaltet es dem Zuschauer denkbar einfach.
Beim Schreiben dieser Zeilen sind noch viele Einstellungen und Szenen präsent wie gerade frisch gesehen. So zum Beispiel die durch die Nacht fliegenden Ritter der Apokalypse, welche per Doppelbelichtung- eine häufig von Murnau verwandte Technik- zum Leben erweckt werden. Gleichfalls unvergessen, wie der Teufel in einer Totalen seinen Mantel des Verderbens über Fausts Heimatstadt ausbreitet und die Pest über die Bewohner hereinbrechen lässt. Einer der atmosphärischsten Momente überhaupt.
Wenngleich Murnau bei den Effekten- neben gekonnten Doppelbelichtungen auch der Einsatz von Miniatursets- aus den Vollen schöpft, bei der Kameraarbeit präsentiert er seinen Film minimalistisch, schlicht und ergreifend aufs Wesentliche reduziert. Keine ausufernden Schwenks oder Fahrten, sondern stets jede Einstellung aus einem festgelegten Winkel. Dabei fängt die Kamera perfekt durchkomponierte, atmosphärisch dichte Bildwelten ein, welche die wunderbare Eigenschaft besitzen, den Zuschauer in ihren Bann zu ziehen.
Einer der spannendsten Aspekte des Werks dürfte die vielschichtige Figur des Protagonisten Faust sein. Bei ihm- genauer: bei seinem Charakter- sind die Differenzen zwischen Murnaus und Goethes Interpretation des Stoffs am augenscheinlichsten, denn beide statten ihn mit anderen Motiven für seine Handlungsweisen aus. Während bei Goethe das Streben nach Erkenntnis und schnödem Wissen („erkennen was die Welt im Innersten zusammenhält“) im Vordergrund steht, also hart formuliert: egoistische Motive, die Faust zur Geisterbeschwörung animieren, sind es bei Murnau altruistische Beweggründe, ausgelöst durch die Pest. Diese gilt es zu bekämpfen und da Faust auf sich allein gestellt der Sache nicht Herr werden kann, ruft er nach finsterem Beistand.
Dass er sich damit ins Unglück stürzt, bleibt natürlich sowohl im Buch als auch im Film gleichermaßen obligatorisch. Denn hier wie da fungiert Faust nur als Spielball höherer Mächte, die ihn zum Opfer auserkoren haben. Das Mitleid, welches ihm sein Publikum entgegenbringt, resultiert dabei aus seinen zutiefst menschlichen Regungen. Schwächen (sein verständlicher Wunsch nach einer Frau) und Sehnsüchte (die Zurückgewinnung seiner Jugend) sind es, die ihn ins Verderben stürzen und die für uns durchaus nachvollziehbar sind.
Bei der Bewertung von schauspielerischen Leistungen gestaltet es sich bei Stummfilmen immer etwas komplizierter, stellen diese bedingt durch die fehlende akustische Komponente vollkommen andere Ansprüche an Mimik und Gestik der Darsteller. Nichtsdestotrotz lässt sich das Talent und die Freude am Spiel bei Gösta Ekman (Faust) und Emil Jannings (Mephisto) deutlich erkennen.
Beide erfüllen die Ansprüche ihrer Rollen mit Bravur und verkörpern ihre Charaktere mit der nötigen Intensität, sodass sie im Gedächtnis zu haften vermögen.
„Faust- Eine deutsche Volkssage“ ist ein beeindruckendes Relikt vergangener Tage. Zugleich
eine Sternstunde des deutschen Kinos, die sich eigentlich nur dem ganz einfachen, aber immer wieder faszinierend- wirksamen Prinzip von „Gut gegen Böse“ bedient, welches hier in Reinkultur vorexerziert wird. Definitiv ein Film, den man gesehen haben sollte.