They never come back. Es war der 5. November 1994, als ein gewisser George Foreman mit einem rechten Schlag nicht nur Michael Moorer, sondern auch eine alte Boxerweisheit am schwersten ausknockte - vorher gelang es bereits unter anderem Floyd Patterson, Evander Holyfield und Muhammad Ali das ungeschriebene Gesetz mit einer Erfolgreichen Wiederkehr zu brechen. Allerdings war niemand so alt, wie Foreman seinerzeit – er wurde mit 45 Jahren Weltmeister der großen Verbände nach Version der WBA und IBF. Bis heute hat das niemand mehr erreicht. An diesem Punkt hatte den alten Mann, der von der Vergangenheit lebte niemand mehr belächelt. Das ist Realität, wenngleich auch Vergangenheit. Fiktiv ist Rocky Balboa, der Philly-Fighter. Eine Figur steht quasi für den Darsteller, nämlich Sylvester Stallone. Beide haben ihre großen Tage hinter sich und trauern der erfolgreichen Vergangenheit hinterher. Man kennt sie, Stallone wie Balboa, doch der alte Schatten ist groß. So starten in gewissem Sinne beide ihr Comeback, um es der Welt noch einmal zu zeigen.
„Rocky“ ist die Geschichte eines Warriors, wie man im Boxerjargon sagen würde. Die Rockys dieser Welt leben von ihrem Willen und dem Herz, das sie vorantreibt. Der Stolz, ein unsichtbarer Knochen hält den Kopf nach oben, auch wenn der Körper eigentlich signalisiert, dass er am Ende ist.
Der alte Mann, den wir am Anfang sehen, ist jemand, der in der Vergangenheit lebt. Rockys Frau Adrian ist vor Jahren an Krebs gestorben, melancholisch sitzt er am Grab auf einem Klappstuhl, den er direkt vor Ort deponiert hat. Sein Sohn (Milo Ventimiglia) ist erwachsen geworden, doch mittlerweile eher fremd als vertraut. In den Straßen von Philadelphia sind immer noch die alten Erinnerungen verankert, aber im Zeichen der Zeit wirkt alles angestaubt. Die Leute, die Örtlichkeiten und Rocky selbst. Er wird immer noch gefeiert, im Sinne von nostalgischer Verehrung. Den inneren Frieden hat der Protagonist dennoch nicht gefunden, die Trauer und der Erfolg alter Zeiten sitzen wie ein Dämon in der Magengrube.
Parallel dazu kämpft Schwergewichtschampion Mason Dixon (Antonio Tarver) um seinen aktuellen Ruhm. Er steht im Zwielicht, weil die Gegner handverlesen wirken und sein Image im Auge des Zuschauers nicht das Beste ist. Es fehlt irgendwas, was früher besser war. Das Spektakel, was Massen elektrisiert. Ein simulierter Kampf, wie seinerzeit zwischen den Legenden Rocky Marciano und Muhammad Ali (den Marciano gewann), bringt Rocky als Sieger im Computer-Duell zwischen ihm und Dixon hervor. Die Simulation ist Auftakt für eine PR-Aktion durch Dixons Management. Lou DiBella spielt sich als Promoter selbst und gibt Einblicke, welche Kriterien mitunter bei der Vermarktung von Kämpfen eine Rolle spielen. Der Champion soll sein Image in einem Showkampf gegen den alten Mann aufpolieren. Rocky willigt ein, weil er mit dem Kampf, den Schlägen, die ihn nie vom Ziel abbringen konnten, innerlich noch nicht abgeschlossen hat.
„Rocky“ war und ist in gewisser Weise naives Pathoskino, das auf der Hoffnung mit Willen und Herz sein Ziel erreichen zu können, Kraft schöpft. Dem steht ein schwermütiger Anfang des Comebacks entgegen. Das Score-Revival zu Beginn mündet in Klavierklänge, die nochmals die Dramatik in Rockys aktueller Situation widerspiegeln sollen. Manchmal ist es aber zuviel des Guten, wenn beispielsweise an bekannten Schauplätzen mit alten Weggefährten emotional diskutiert und zusätzlich noch die Melancholie der Klänge im Hintergrund wirken. Stallone führt Rocky zweifelsohne souverän mit einem gelungen Drehbuch auf die Comeback-Schiene, aber in punkto Regie fehlt ihm (noch) das Fingerspitzengefühl. Dramaturgie läuft Häppchenweise ab. Man verbringt viel Zeit, die Dämonen in Rockys Magengegend im Hier und Jetzt zu erklären, aber die Schnittfolge hinterlässt nur selten den Eindruck eines kompakten Gesamtwerks. Pathos ist nichts Fremdes in Rockys Welt, der Film lebt von seinen Emotionen, aber man wäre besser beraten gewesen, wenn das Schauspiel ohne musikalische Hardcore-Dramatik untermalt hätte. So fahren zwei Züge ineffektiv in die gleiche Richtung.
Visuell greift man dagegen in die richtige Trickkiste, indem man alte Szenen reaktiviert und mit einem Blaustich hinterlegten Kontext ablaufen lässt. Gegenwart und Vergangenheit verschmelzen im Einklang. Das überträgt sich auch auf die Schauspieler, die wie in alten Zeiten agieren und nochmals Erinnerungen hervorrufen. Stallone ist immer noch der Grenzgänger zwischen fast schon dümmlicher Naivität und Kampfeslust, die mit der Weisheit der Straßen Philadelphia genährt ist. Rocky tut einem mitunter fast Leid, er ist immer noch Sympathieträger und schlichtweg derjenige, den man den Sieg gönnt. Stallone hat daran großen Anteil, weil er Rocky mit Herzblut spielt. Das verwundert auch nicht, da der US-Amerikaner genau wie der Protagonist auch an seiner eigenen Vergangenheit nagt. Paulie (Burt Young) ist ebenso der Alte geblieben. Mit lakonisch trockenen Sprüchen sorgt er immer noch für die Highlights in Sachen Humor.
So bewegt man sich ein Stück weit auf altem Terrain, was man als Fan der Reihe nostalgisch begrüßt. Nach viel Schwermut und Trauerstimmung folgt der Paukenschlag zum großen Kampf, wenn die Vorbereitung beginnt. Leider verbleibt man hier nicht allzu lange, so dass der Übergang zwischen Einleitung und Höhepunkt nur seinen formellen Zweck erfüllt. Man möchte mehr Training, mehr Hoffnung und stimmungsgeladene Momente, die signalisieren, dass Rocky bereit ist. Gefühlsmäßig hat man hier deutlich gekürzt, weil der Anfang, das Leben in Trauer und Vergangenheit, offensichtlich Hauptaugenmerk war. Das wäre auch kein Negativpunkt, aber der Film hätte gut und gerne noch weiter ausgedehnt werden können, zumal man bis auf dem Mittelteil generell sehr viel Wert auf Details gelegt hat.
Belohnt wird man aber durch einen gelungen Kampf am Ende, gemäß der üblichen Dramatik der Reihe. Gerade als Boxfan kommt man hier auf seine Kosten. Der Sender HBO überträgt live, mit all den Experten und Kommentatoren (Larry Merchant, Jim Lampley), Punchstats und anderen Details, die im Rahmen einer realen Übertragung genauso zum Einsatz kommen. Zudem gibt sich Max Kellerman, der als Experte mit seinen Prognosen für eine unglaubliche Serie an Klogriffen bekannt ist, die Ehre. Aber auch die anderen Rahmenbedingungen stimmen. Der berühmte Michael Buffer ist Ringsprecher, während der in der Szene nicht minder bekannte Ringrichter Joe Cortez den Kampf „firm but fair“ leitet. Die Punktrichter sind auch keine Unbekannten. Das Stichwort ist Detailliebe und da muss man den Film ein großes Kompliment machen, denn selbst altbekannte Sätze und Marotten der gezeigten Fachleute sind vollständig übernommen worden. Allerdings sollte man als Kenner der Abläufe unbedingt auf die Originalsprache zurückgreifen, die deutsche Synchronisation klingt ansonsten wie ein schlechter Scherz.
Kleinigkeiten trüben aber nicht den positiven Gesamteindruck – der Kampf ist schon vor dem Kampf ein Spektakel. Gegner von Stallone, der im Ring auch als alter Mann keine schlechte Figur macht, ist übrigens der Weltklasse-Halbschwergewichtler Antonio Tarver. Der als „Magic Man“ bekannte US-Amerikaner musste für den Film ein paar Kilogramm zulegen. Danach folgte übrigens auch für den Kämpfer aus Florida eine herbe Niederlage, als er gegen die, wie Rocky, aus Philadelphia stammende Boxlegende Bernard Hopkins klar nach Punkten verlor. Ob sich Tarver die Essenz des Films zu Herzen nimmt, weiß man bis dato nicht. Viele Boxer denken wie Rocky und können mit dem vergangenen Ruhm nicht abschließen, weil der Stolz verleitet und die eigene Geschichte einen einholt.
Stallone gelingt jedenfalls das Comeback, auch wenn er als Regisseur noch ein wenig subtiler agieren könnte. Das Drehbuch ebnet den Weg für eine glaubwürdige Fortsetzung, die im Großen und Ganzen nostalgische Erinnerungen wecken kann. Ohne Vorkenntnisse wird man sich aber in der Welt Rockys schwer zurechtfinden. „Rocky Balboa“ ist aufgrund der großen Detailfreude eher ein Film für Fans der Reihe und des Sports. (6,5/10)