Zwei Jahre nach dem dortigen Kinostart hat es der in seinem Herkunftsland Südkorea (zurecht) rekordverdächtig erfolgreiche „The Host“ doch noch in die deutschen Kinos geschafft. Glücklicherweise, wie ich behaupten möchte. Joon-ho Boong der als Regisseur des ausgezeichneten Serienkiller-Dramas „Memories of murder“ einer enormen Erwartungshaltung standhalten musste, enttäuscht nicht sondern überrascht auf ganzer Linie. Sein gigantisch produzierter Film ist- dem Himmel sei dank- ein ungeschliffenes, ambitioniertes Juwel das innerhalb der Riege sogenannter „Blockbuster“ der letzten Jahre das Unfassbare vollbringt: Hollywood vorzuführen, wie man es richtig macht statt sich seiner Traditionen zu bedienen.
Dabei ist die anhand der Inhaltsangabe furchteinflößend konventionell anmutende Basis nicht gerade ideal und läuft Gefahr, falsche Hoffnungen und Desinteresse beim Publikum zu wecken- gerade die hiesigen Kritiken stellen wieder einmal mehr als deutlich unter Beweis das zahlreiche Rezipienten hemmungslos mit einem Film überfordert sind wenn er sich nicht in eine bestimmte Schublade stecken lässt. Doch sehr schnell erkennt man, was „The Host“ wirklich ist: Eine reinrassige, grandiose Gesellschaftssatire und auch angedeutete Persiflage, die sich weder in die Horror-, Katastrophenfilm,- Action oder Fantasy-Ecke abstellen lässt. Das Kaulquappen-artige Monster, das den Fluten des Han entsteigt ist- das deutet sich schon vor seinem ersten Auftritt an- nur ein Indikator, der eine aufbrechende bzw. eine sich uniformierende Gesellschaft dazu zwingt, Farbe zu bekennen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Vermarktung des Films als Monster-Horrorfilm unglücklich gewählt und nur bedingt Erfolg versprechend. Denn wer sich einen atemlosen Katastrophen-Action-Film im Stil von Roland Emmerichs unsäglichem „Godzilla“-Remake erwartet wird aus „The Host“ sicherlich nicht schlau werden.
Der Star ist bei Boong nämlich weder die skurril anmutende, sehr überzeugend animierte Mutation noch die Familie Park, die stellenweise wie aus einer Freakshow entsprungen wirkt (und mit der die Autoren mittels Karikativität doch nur an den empfindlichsten Punkten der südkoreanischen Bevölkerung kratzen). Es ist die Absurdität eines von unmenschlicher Bürokratie und den großkotzigen amerikanischen Besatzern manipulierten Staatsapparats, der just eine fatale Eigendynamik entwickelt als es gilt, das eigene Volk vor dem Untergang zu bewahren. Der wackelige Sieg, den die Familie Park letztendlich erringt bestätigt diese These, auch wenn Joon-ho Bong seine Protagonisten bei aller Komik, die sie versprühen doch nicht dem bloßen komischen Effekt zuliebe verrät.Das schöne und erfrischend moderne an Boongs Film ist aber das er nie in Eindimensionalität abdriftet. Trotz dem lautstarken Aufbegehren gegen die amerikanische Vereinahmung sind es doch vielmehr die „hohen Tiere“, deren Verantwortungslosigkeit und Anmaßung er anprangert. Bei seiner ersten todesmutigen und zugleich auch lächerlichen Attacke auf das Monster wird Gang-Du ausgerechnet von einem amerikanischen Touristen unterstützt der dann allerdings symbolisch als einer der ersten dem gefräßigen Wesen zum Opfer fällt.
Oft, zu oft wurde Boongs Film unterstellt, er wolle zuviel, könne sich „nicht entscheiden“, würde zu viele Genres durcheinander würfeln. Dabei hat sich der Regisseur im Grunde nur zwei Ziele gesteckt die er mühelos erreicht: Zum einen wünscht er sich von seinem (einheimischen) Publikum eine kritischere, sogar misstrauischere Haltung gegenüber der zunehmenden westlich, explizit amerikanisch gesteuerten Verwässerung kultureller und sozialer Werte innerhalb der südkoreanischen Gesellschaft, zum anderen will er facettenreich und intelligent unterhalten. Ersteres unter der Bedingung des zweiten. Im Gewand eines geradlinigen und zügig voran preschenden, sonst eher im Nachbarland Japan traditionsreichen Monsterfilms ist es sicherlich bedeutend hoffnungsvoller, sich mit unangenehmen Wahrheiten im Gepäck an ein breites Publikum heranzupirschen. Diese Vorgehensweise hat sich schließlich auch in der Vergangenheit schon des Öfteren bewährt, man denke hier an Größen des amerikanischen Kinos wie Stanley Kubrick, Terrence Malick oder Alfred Hitchcock. Anders kann sich ein Auteur mit großem Budget kaum treu bleiben.
Vielmehr ist „The Host“ schlicht und ergreifend tollkühn und setzt eine enorme Flexibilität seines Publikums voraus. Bitterer Ernst, intime Einblicke in die Strukturen zwischenmenschlicher Bindungen unter einem extraordinären Alpdruck und ergreifende Tragik tanzen bei Boong einen wilden Walzer mit nachtschwarzem Galgenhumor, dezenter Selbstironie sowie politischer Anklage und karikativer Groteske. Last but not least ist das Ganze auch noch mit einer deftigen Prise aus Schockeffekten und Gänsehaut-Momenten gewürzt. Es ist nicht der Film, der einen Fehler begeht- es ist die raue, rücksichtslose Feile des amerikanischen Pomp-Kinos die sich die Sehgewohnheiten des deutschen Publikums (ich will nicht vorgeben, die Sehgewohnheiten anderorts besser zu kennen) nach ihrem Belieben zurechtgehobelt und seine Auffassungsgabe für Film vergiftet und minimiert hat. Da erstaunt es schon das „The Host“ in anderen westlichen Ländern und gerade in den USA begeistert aufgenommen wurde- und verärgert die Nachricht, das sich ein amerikanischer Major bereits die Rechte an dem Stoff zwecks Remake gesichert hat. „The Host“ ist hierzulande mit seinen bislang offenbar mickrigen Besucherzahlen in Deutschland schicksalhaft selbst Opfer des Phänomens geworden, das er anklagt.
Traurig, denn er ist aus bereits genannten Gründen ein Unikum im Genre-Film, handwerklich ausgereift und brillant wodurch sich eine Neuauflage nicht nur erübrigt sondern lächerlich erscheint. Ohne den soziologischen und politischen Kontext wäre „The Host“ ebenso uninteressant wie seine amerikanischen Kollegen.Das sympathische an diesem Film ist neben seiner diebischen Freude an harten Seitenhieben sein Augenmerk auf das Schicksal der eher ärmlichen und gespaltenen Familie Park, der sich das Monster als Protagonist zu jedem Zeitpunkt unterzuordnen hat, die selbst aber dem erwähnten höheren Ziel untersteht. Der Action-Anteil und die bildgewaltigen Momente des Films stellen eine Minderheit dar gegenüber der minutiösen Beobachtung des innerlich maroden Quartetts, das der infantilen und auf direktem Weg bloßgestellten Bürokratie der Regierung nur gemeinsam entgegentreten kann. Der notorische Loser Gang-Du (Köstlich: Kang-ho Song), auf die leichte Schulter genommen von seinem versnobt-überheblichen jüngeren Bruder Nam-Il und seiner sarkastisch-unnahbaren Schwester Nam-Joo gründen gemeinsam mit ihrem besonnen und fast schon als geistig verwirrten „Familienpropheten“ überzeichneten Vater Hie-Bong den Clan neu, um Gang-Dus Tochter Hyun-seo den Klauen, respektive dem Futterlager des Monsters zu entreißen, dem sie in der allgemeinen Panik zugefallen ist. Machtkämpfe und Eifersüchteleien werden zurückgesteckt, man rauft sich notgedrungen zusammen und lernt die anderen neu kennen, schätzen und respektieren. Ein besonders wundervoller, berührender Moment der dies veranschaulicht ist das schweigende Essen der vier in dem geplünderten Kiosk des Vaters nach einer aufreibenden Suchaktion. Die tragikkomische Bestandsaufnahme der Familie Park folgt der Satire direkt auf den Fuß, kommt ihr aber nicht ins Gehege sondern bedient sie. Schon zu Beginn amüsiert die Einführung Hyun-seos als materialistisch-schnippisches Gör das trotz seiner Nationalität schon ein Mitglied der westlichen MTV-Generation geworden ist.
Der entscheidende Vorteil dieser Prämisse ist zweifellos eine ungleich individualistischere Sicht auf die Katastrophe, die die emotionale Wirksamkeit der tragischen Parts über all dem trockenen bis bösartigen Humor sichert. Es ist charakteristisch für diese Filmgattung das weder die feige südkoreanische Regierung, noch der „Host“ die Monster sind. Das eigentliche Monster ist die Allmacht der Amerikaner. Es ist ein amerikanischer Wissenschaftler, der zu Beginn einem koreanischen Assistenten bedenkenlos und aus fadenscheinigem Grund aufträgt, Unmengen von Formaldehyd in den Abfluss und damit in den Han-Fluss zu entsorgen, und es ist die Faust der um ihre Weltpolizei-Rolle besorgten Amerikaner im Nacken des südkoreanischen Parlaments und der Medien, die nicht zulässt das die „rückständigen Asiaten“ selbst Herr der Lage werden und deren Hauptstadt so ganz nebenbei als Testplattform für eine ihrer neuen biologischen Waffen namens „Agent yellow“ (eine Anspielung auf „Agent Orange“?) missbrauchen (Eine historische Analogie?).Die Absurdität des Gesamten kommt in einem ungemein paradoxen Moment zum Ausdruck als ausgerechnet ein amerikanischer Arzt Gang-du- vollkommen erschöpft vom Kampf gegen die ungläubige Polizei und die ignoranten Wissenschaftler- fragt warum er sich in seiner prekären Situation denn nicht an Polizei, Regierung und Menschenrechtsorganisationen gewandt hätte.
„The Host“ ist ein pompöser, aufwändiger und zweifellos überwiegend von kommerziellen Interessen mitinitiierter Film. Doch das hat ihm nicht geschadet. Meinen gerne zitierten Satz „Je teurer der Film desto schlechter“ sehe ich hier widerlegt. In Joon-ho Boongs Film verschaffen sowohl die inneren als auch die äußeren Werte höchste Befriedigung. Kurzweil und Anspruch treten hier nicht gegeneinander an sondern vereinigen sich zu einem fesselnden Gesamtwerk das zwar lustvoll mit verschiedensten Versatzstücken und Ansätzen jongliert, aufgrund klar umrissener Intentionen dennoch homogen wirkt. Das sichert „The Host“ schon jetzt einen der höchsten Plätze in meiner Liste der „großen“ Kinohighlights dieses Jahres und empfiehlt ihn als echte Alternative zum tumben Hollywood-Millionen-Kino für all diejenigen, die sich mit selbigem schon immer intellektuell unterfordert gefühlt haben. Auf elektrisierende Action, Herzscherz, Schmunzeln, Computergenerierte Schauwerte im großen Stil und bestechende handwerkliche Qualität in allen Belangen (Kamera, Schnitt, Ausstattung, Soundtrack, Ton und natürlich Darsteller) muss dabei selbstverständlich nicht verzichtet werden. Ein Monster-Film, so absurd wie das Leben selbst.Würden sich die südkoreanischen Filmemacher nicht permanent gegenseitig nacheifern, ihr Land wäre längst auf der Überholspur kurz vor Hollywood.