Kurz nach einem aufdringlichen Besuch ihres gewalttätigen, vereinnahmenden Ex-Freundes Jerry (Harry Connick jr.) steht der schüchterne und etwas wunderliche Peter (Michael Shannon) vor der Tür der Kellnerin Agnes (Ashley Judd). Über einen kurzen Zeitraum hinweg entwickelt sich zwischen den beiden eine seltsame Liebe, die jäh zu enden droht, als Peters manische Angst vor Insekten, insbesondere Käfern, offenbar wird - und sich zunehmend auf Agnes überträgt. Zwischen Zuneigung und Ablehnung steigert man sich gemeinsam in einen fiebrigen Wahnsinn, der tödlich zu enden droht…
Besessenheit und Persönlichkeitsspaltung scheinen zu den liebsten Themen von William Friedkin zu gehören, dessen äußerst zwiespältiges Oeuvre mit „Bug“ einen neuen Höhepunkt findet. Seine populärsten Filme kreisen allesamt um diese Geisteszustände die sich filmisch auf verschiedenste Weise und sowohl nüchtern als auch abstrakt und surrealistisch überhöht – sprich: extrem reizvoll - interpretieren lassen. Das Ergebnis war in den meisten seiner entsprechenden Werke jedoch überwiegend durchwachsen bis unbefriedigend und hinterließ nicht selten den faden Beigeschmack einer überreifen Frucht, gerade in seinen beiden bekanntesten Filmen „Der Exorzist“ und „Cruising“. Ob Friedkin im hohen Alter von 71 Jahren zu einer neuen Reife gefunden hat oder ob diese ungewohnte Bedachtsamkeit dem Drehbuch aus der Feder von Tracy Letts zuzuschreiben ist, die sich auch für das vorliegende Theaterstück verantwortlich zeichnet ist schwer auszumachen, feststeht allerdings: Friedkins jüngstes Werk „Bug“ ist nicht nur ein hervorragender Film sondern atmet auch den Geist Friedkins bisheriger Werke ohne sich, wie in der Vergangenheit so oft geschehen, gleichgültig über das Feingefühl seiner Zuschauer hinwegzusetzen.
Als unschätzbare Vorgabe ist dem Drehbuch in jedem Fall eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem spektakulären Potential seiner Geschichte anzurechnen, die Friedkin auch formal und inszenatorisch unterstreicht. Wer sich von „Bug“ einen Psychothriller oder gar einen Horrorfilm erwartet wird bitter enttäuscht werden. Seinem theatralischen Ursprung und Gestus entsprechend sind Körpersprache und mehr als alles andere, der Dialog das signifikanteste Transportmittel des Films und der einzige fest asphaltierte Weg, auf dem sich der Zuschauer ihm nähern kann. Es stehen ihm zwar noch einige schmale, abschüssige Pfade offen doch deren Ende ist ungewiss. „Bug“ ist (beinahe) ein Kammerspiel beinahe metaphysischer Natur und folgerichtig bezieht er seine Oberflächenreize und sein analytisches Potential einzig und allein aus seinen Figuren denen man sich annähern muss – will man eine Quintessenz erhalten. Auch die Form hat sich ihnen unterzuordnen, hält hier aber dennoch vorbildlich die Balance zwischen souveräner Ästhetik und funktionellem Baustein. Es bereitet beinahe schon Vergnügen, die Kamera in den schweigenden Momenten und ganz besonders in einer betörend gefilmten und montierten Sex-Szene zwischen Agnes und Peter freudig erregt von ihrer im übrigen Film diszipliniert berücksichtigten, selbst auferlegten Strenge abschweifen zu sehen.
Die vollkommene Konzentration auf die Charaktere schärft das Auge des Zuschauers für ein paradoxes psychologisches Vexierspiel dessen Regeln er akzeptieren muss. „Bug“ zu sehen heißt, dieses Spiel zu spielen – oder es nicht zu tun und zu verlieren. Agnes wird uns vorgestellt als eine emanzipierte, allerdings auch etwas abgehärmte, allein stehende Frau, die sich nach der Trennung von ihrem machistischen Ex-Freund Jerry gegen die Einsamkeit arrangiert hat und zu deren Bekämpfung gelegentlich lesbische Affären mit blonden Schönheiten aufnimmt. Eine starke Frau, eine Amazone zwischen den Mühlsteinen der rückständigen Gesellschaft von der die karge Landschaft, vor der sich die groteske Tragödie von „Bug“ abspielt, licht bevölkert ist. Die plumpen Wiedereroberungsversuche des selbstgefälligen Jerry, der schon in der ersten Szene mit schmierigem Grinsen seine aufgepumpten Muskeln spielen lässt, stählen ihre Willenskraft nur noch mehr. Die erste Stufe ihrer wachsenden Labilität wird mit dem unvermittelten Besuch des linkischen Peter (Michael Shannon) erreicht, mit dem sie einige verhaltene Worte spricht – um ihm schließlich aus Mitleid ihre Couch für eine Nacht anzubieten. Peter ist zu diesem Zeitpunkt noch ein sensibles Gegenstück zu Jerry und wirkt Agnes in nahezu jeder Situation unterlegen, introvertiert und schüchtern. Agnes befürchtet von ihm keine Annäherungsversuche sondern glaubt, mit ihm lediglich einen ziellosen Tramper aufgenommen zu haben. Am nächsten Morgen, nach einem unangenehmen Besuch Jerrys wendet sich das Blatt. Die Zuneigung Peters zu Agnes spielt hierbei eine eher untergeordnete Rolle. Vielmehr scheint sich Peter bereits einen dem Zuschauer noch unbekannten Plan zurechtgelegt haben zu dessen Verwirklichung er Agnes beim Frühstück in ein überraschend intimes Gespräch verwickelt. Unbewusst und in der trügerischen Gewissheit, mit Peter einem sensiblen und „ungefährlichen“ Mann gegenüber zu stehen hat sich Agnes ihm gegenüber veröffnet, verletzlich gemacht. Und diesen kurzen Moment nutzt Peter aus und setzt genau in ihm an, die gefestigte Persönlichkeit der unnahbaren Frau zu unterminieren – scheint seiner jedoch Handlung nur halb bewusst zu sein. Das zumindest im ersten Moment.
Wenn man einen Menschen nicht mehr ablehnt, ist man ihm längst noch nicht zugeneigt – doch für ihn offen. In einer brillanten, mit höchster Konzentration inszenierten Sequenz artet das gemeinsame Frühstück von Agnes und Peter zu einem emotionalen Strip-Pokerspiel aus, in dessen Verlauf Peter seinen ersten Sieg verbuchen kann – er hat die Öffnung von Agnes erkannt und seinen ersten Virus implantiert. Statt sich ihm, dem Fremden, dem Freak zu unterwerfen oder anzunähern führt Agnes’ Unbedachtsamkeit geradewegs in eine schwer begreifliche Paradoxie. In einen Rollentausch in dessen Verlauf sie trotz einem Verhältnis, das sich jeder herkömmlichen Bezeichnung und ganz besonders der Charakterisierung als Liebesbeziehung, entzieht, keinerlei emotionale Bindung zu Peter entwickelt. Es ist reine und zugleich manische Abhängigkeit - von etwas motiviert, das man vielleicht als emotionale Pragmatik oder seelischen Selbsterhaltungstrieb bezeichnen könnte. Denn Agnes hat Peter das Geheimnis preisgegeben, das sie zu jener unnahbaren, kalten Frau hat werden lassen als die der Zuschauer und Peter sie kennen lernen: Einst war sie eine Mutter – bis zu jenem Tag, an dem ihr Kind im Supermarkt aus dem Sitz des kurz unbeaufsichtigt zurückgelassenen Einkaufswagens entführt wurde.
Agnes identifiziert dieses intime Geständnis vor Peter erst zu spät als Fehler. Um ihn wieder gut zu machen schenkt sie Peter ungeteilte Aufmerksamkeit und begleicht an ihm unbewusst die Schuld, die sie ihrem verschwundenen Kind gegenüber immer noch verspürt. Sie schläft mit ihm – die geschlechtliche Vereinigung wird nicht selten als abstraktes Pendant mit der Stillung eines Kleinkindes gleichgesetzt. Sie umsorgt ihn nach allen Regeln der Kunst und kurz nachdem Peters krankhafte Angst vor Käfern bekannt wird stellt er sie auf die Probe. Zum ersten Mal – erst das zweite Mal muss Agnes eine drastische Feuerprobe bestehen.
Vermeintlich von Unmengen kleiner Käfer attackiert, wälzt er sich einem Epileptiker gleich auf ihrem Bett. Die Mechanik gegenseitigen Gebens und Nehmens und ihre beginnende Abhängigkeit nach dem ersten „Schuss“ der neuen Droge „Identifikation“ funktioniert bereits hier ausgezeichnet. Agnes wirft sich, von panischem Entsetzen und Angst ergriffen, über seinen zerkratzten, schweißbedeckten Körper. Für den Zuschauer ist diese Handlung – ebenso wie beinahe die gesamte Entwicklung von Agnes’ Charakter – kaum nachvollziehbar. Er kann nur Hypothesen über die Ursachen und ihre Beweggründe aufstellen und sich an den seltenen metaphorischen Sequenzen des Films orientieren. In diesem Moment ist Agnes für Peter noch Mutter und begehrenswertes Objekt zugleich – in Zukunft wird sie zum vorübergehend funktionellen Fundament in Peters künstlichem Universum das augenscheinlich von „Bugs“ erfüllt ist. Die Frage, ob er sich Agnes nur aus emotionaler Bedürftigkeit nähert, steht spätestens nach der ersten Hälfte des Films nicht mehr länger im Raum. Längst hat der Zuschauer begriffen was Agnes, die emotionale sehr wohl bedürftig ist, nicht mehr begreifen wird: Peter missbraucht sie, nicht aus bösem Willen, einfach aus einem unbegreiflichen Trieb, einer Manie heraus wie sie nur eine beschädigte Seele in Kooperation mit einem überspannten Gehirn kreieren kann.
Aus dem lang ausgebreiteten Wortgefecht wird ein bizarrer, wilder und zunehmend exzessiver Rausch in den sich beide zwischen Verzweiflung (über die nicht vorhandene Lösung eines nicht definierbaren Problems), blankem Entsetzen und sexueller Begierde hineinsteigern und der zunehmend in Absurditäten und Affekthandlungen mündet. Die letzten zwanzig Minuten von „Bug“ sind an Intensität kaum noch zu übertreffen und im US-Kino der letzten Jahre in dieser Form und aus dieser Perspektive heraus beispiellos. Hier und da wurde Friedkins Film mit den Werken Andrzej Zulawskis verglichen. Eine durchaus sinnvolle Parallele – wie auch bei Zulawski geben sich Friedkins Protagonisten mit geradezu masochistischem Eifer einer seelischen Selbstzerfleischung hin die an Schmerz kaum noch zu überbieten ist – auch wenn „Bug“ keine ungewöhnlich emotionale Erfahrung wäre. Denn Friedkin entwickelt – jenseits jeglichen Zynismus – im Finale eine geradezu spöttische Schadenfreude über dem dümmlich-hysterischen, zweifellos dezent satirisierten Geplapper seiner beiden Figuren, die mit absurd-grotesken Verschwörungstheorien der Wurzel ihres persönlichen Übels auf die Spur zu kommen versuchen. Hat der eine einen Ansatzpunkt, bzw. eine Idee gefunden, baut der andere die Theorie mit geradezu kindlicher Begeisterung weiter aus bis ein lächerliches Konstrukt steht, für das sich beide vor Dankbarkeit in die Arme fallen. Ein Leben ohne Illusionen scheint nicht mehr möglich. Auch hier spielt eine gefährliche Abhängigkeit in die von rationalem Denken entfesselten Handlungen der Figuren. Beinahe könnte man diesen kleinen, minimalistischen Film als Abrechnung mit allen signifikanten Schwächen der Spezies Mensch auffassen.
Eine weitere Parallele zu dem Kino des Andrzej Zulawski ist zweifellos die emotionale Unentschlossenheit der Figuren, der Kampf zwischen Herz und Verstand, mehr aber noch zwischen Berechnung und Begierde. Der Exzess, den Friedkin in adäquaten Bildern darzustellen versucht ist bei weitem nicht nur ein emotionaler sondern auch sinnlich, voll von Begierde. Gerade diese morbide Begierde ist es, die sich selbst aufgeschlossenen Zuschauern verschließt und nicht begreiflichh erscheint, den Zugang zum Film erschwert - denn ohne das Wissen um den korrekten Treibstoff lässt sich nur schwerlich tanken.
Als in den letzten Minuten ein angeblicher Freund Peters das inzwischen insektensicher versiegelte Apartment von Agnes betritt, in dem sie sich mit Peter von der Außenwelt isoliert hat, ist man sich als Zuschauer schon nicht mehr sicher ob er nur in der Einbildung und der verzerrten Wahrnehmung der beiden existiert, die ihren Wahnsinn auf einen gemeinsamen Nenner gebracht haben. Zur Beruhigung der Nerven beschert uns Friedkin nach diesem infernalischen Psychoritt eine Art Happy End. Es ist müßig zu beschreiben, warum das Happy End eines solchen Films so derart scheußliche und zugleich erlösende Gefühle bei seinem Rezipienten auslöst.
„Bug“ ist bestens dazu angetan, nachtragenden Zuschauern wie mir späte Vergebung zu ermöglichen. Wem wie mir bislang Friedkins Mentalität, mit seinen Figuren und Themen gleichgültig und mitunter sogar verlogen zu verfahren, auf die Nerven ging kann sich hier davon überzeugen das der inzwischen 71jährige Veteran gelegentlich durchaus in der Lage ist, eine Balance zwischen beißendem Spott und humanitärem Tiefgang, zwischen expressiv inszeniertem Wahnsinn und vieldeutigem Schweigen herzustellen – und das ausgesprochen souverän. „Bug“ ist ein schwieriges aber brillantes Psychodrama das trotz seiner stark kontrastierten Phasen wie aus einem Guss wirkt und trotz des möglicherweise intellektuelle Anstrengungen und Langeweile verheißenden obigen analytischen Versuchs durchweg unterhaltend und dynamisch auftritt, seinem Publikum viel bietet aber nur wenig abverlangt. Wer Friedkin hier Misanthropie vorwirft, hat nichts verstanden. Denn der Spott ist manchmal auch nur das abgeklärte Resultat von inniger Verzweiflung die man William Friedkin im Angesicht der Menschheit und ihrer Entwicklung nicht verdenken kann. Nicht zuletzt liefert er nämlich auch einen Kommentar zu der heutigen – freilich nicht nur - amerikanischen Gesellschaft und ihrem Drang, selbst im Ungewissen die Gewissheit und in der Schuld die Unschuld zu suchen. Wer etwas für die kongenialen Werke Andrzej Zulawskis und Werner Herzogs übrig hat, sollte sich dieser lohnenden Kino-Erfahrung unbedingt aussetzen.