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Mit „Das Schweigen der Lämmer“ bildete sich Anfang der 90er ein völlig neuartiges Subgenre – der Serienkiller-Film - welches in der Filmindustrie bis heute noch seine Konsolidierung bewahrt und mit späteren Werken wie „Sieben“ sogar wahre Klassiker hervorbrachte. Jüngster Vertreter dieser Gattung war „Zodiac“ von David Fincher, welcher seinen Film als „letzten wirklichen Serienkiller-Streifen“ bezeichnete. Diese Worte betonte er nicht umsonst, denn prinzipiell wurde schon so ziemlich alles über dieses Thema erzählt, und die letzten Streifen dieser Sorte waren qualitativ auch nicht mehr der Rede wert.

„Kalifornia“ lässt sich jedoch nicht so einfach in den Wulst der Serien-Killer-Filme einordnen, sondern liefert eine eigene Variation des Themas. Im Vordergrund stehen nämlich nicht die Mordszenen, oder der Thrill, sondern die feine Zeichnung der Charaktere und die Frage, was einen Serienkiller von einem „normalen“ Bürger unterscheidet; bzw. wie sich das „normal“ in diesem Falle überhaupt definiert.

Schon in diesem Punkt bildet „Kalifornia“ unter seinen Genre-Kollegen ein Unikum, denn der Serienkiller (verkörpert durch einen völlig heruntergekommenen Brad Pitt) wird hier nicht als humanisiertes Monster präsentiert, sondern als Mensch. In vielen Szenen wirkt er über weite Strecken geradezu sympathisch. Doch gerade diesen Punkt nutzt Regisseur Dominic Sena („Passwort: Swordfish“) im nächsten Moment gekonnt aus, um ihn als kaltblütigen Mörder zu entlarven, welcher Spaß daran hat, sein Gegenüber mit einem Stein zu erschlagen, oder mit einem Auto zu überfahren. Wie kann ein Mensch nur zu so etwas fähig sein? Was bringt einen Menschen überhaupt dazu, solche Taten zu begehen?
David Duchovny verkörpert den Autoren Brian Kessler, welcher ein Buch über Serienmörder verfassen möchte und genau jenen Fragen eine Antwort gewähren möchte. Um auf diese Aufklärungen zu stoßen, fährt er mit seiner Freundin Carrie (Michelle Forbes) einige Tatorte grausamer Verbrechen ab, um ein Bild der Räumlichkeiten zu bekommen, und ein Gefühl dafür zu entwickeln, was Opfer und Täter in jenen Momenten gespürt haben könnten. Carrie soll dabei die Bilder schießen, die er für sein Buch verwenden möchte. Da die beiden für eine Fahrt nach Kalifornien knapp bei Kasse sind, nehmen sie ein etwas einfältiges Pärchen mit, welches die Reise mitfinanzieren soll. Nichts ahnend, dass einer von den beiden der gesuchte Mörder Early Grayce (Brad Pitt) ist.

Aus heutiger Sicht bildet „Kalifornia“ ein unter Wert verkauftes Werk ab, welches völlig zu Unrecht einen solch niedrigen Bekanntheitsgrad in der Filmlandschaft besitzt. Mit David Duchovny, Juliette Lewis und Brad Pitt besitzt der Film (aus heutiger Sicht) auch ein erstklassiges Darsteller-Ensemble, welche auch durch die Bank weg solide Leistungen geben.

Vor allem Brad Pitt ist es zu verdanken, dass der Film über weite Strecken wie eine Zeitbombe ohne Timecode wirkt. Man kann nicht sagen, wann sie explodiert; aber sie wird definitiv explodieren. Brad Pitts Spiel oszilliert stets zwischen sympathisch-exzessiv und abschreckend-imponderabel. Jeden Moment könnte etwas mit Early geschehen. Jeden Moment könnte er jemanden töten. Doch wann und wo und warum, kann womöglich nicht einmal er selbst beantworten.
Das Töten wird nicht als berechenbares Spiel mit dem Erwartungshalt des Zuschauers abgebildet - welcher durch sein förmliches Vorwissen durch ähnlich geartete Filme schon ein Gespür für analoge Mordszenen besitzt - sondern als ein spontaner Akt. Der Mord geschieht aus einer alltäglichen, völlig unaffektierten Situation heraus, ohne, dass der Zuschauer es überhaupt mitbekommt, ohne dass ein Motiv besteht, ohne ein Anzeichen von Reue. Der Mord als impulsartiger Akt der Befriedigung Earlys… Als ob man sich am Kopf kratzt, weil es dort gerade juckt. Gerade dieser Umstand macht das Spiel Pitts unheimlich interessant und lenkt den Fokus des Zuschauers weniger auf die Morde, sondern viel mehr seine Person selbst: Wer ist dieser Early? Warum macht er das? Simple Fragen, welche in ihrer Antwort schier zu komplex ausarten, gerade weil der Charakter Earlys kaum greifbar erscheint.

Brad Pitts tolles Spiel wird dabei unterstützt von der infantil-naiven Darstellung seiner Freundin Adele durch die Schauspielerin Juliette Lewis, welche in diesem Film ein weiteres Mal beweist, dass sie die erste Wahl für psychisch gebrochene Charaktere ist. Sie gibt dabei eine erstklassige Leistung ab und mimt glaubhaft das eingeschüchterte Mädchen, welches in ihrem Freund Early eben auch nur ihren Freund sieht und seine Taten weitgehend ausklammert, bzw. ignoriert. Dass er sie zuweilen sogar schlägt, sieht sie als „gerechte Bestrafung“ an.
Lewis Darstellung ist die teils morbide Atmosphäre des Filmes zu verdanken, da ihre Gefühlausbrüche ebenso plötzlich aus ihr heraus brechen, wie die Morde ihres Freundes und sie unwissentlich immer weiter in die Opferrolle gedrängt wird.
David Duchovny und Michelle Forbes bilden dann die letzten beiden Rädchen im Getriebe der tickenden Zeitbombe, welche sich unaufhörlich ihrer Explosion naht. Vor allem Forbes Spiel ist gen Ende des Filmes äußerst beeindruckend, wohingegen Duchovny eher grundsolide ohne nennenswerte Nuancen agiert, sich in den richtigen Momenten aber dennoch zu guten Leistungen aufrafft.

Somit ist es letztendlich den Leistungen der Darsteller zu verdanken, dass der Film über weite Strecken so gut funktioniert, und weniger dem zuweilen arg kitschigen Drehbuch, welches Esprit und Innovationen vermissen lässt. Vor allem gen Ende bedient sich der Film etwas zu eifrig aus der Klischee-Kiste und es kommt zum unvermeidlichen Action-Showdown, in dem auch ordentlich Blut fließen darf.
Doch bis dahin unterhält der Film grundsolide, nimmt stellenweise sogar arg verstörende Züge an, und geizt auch nicht mit ruhigen Szenen, welche im Kontext überraschend gut funktionieren und zur gelungenen Charakterzeichnung beitragen. Leider verheizt der Film dieses Potenzial mit zunehmender Laufzeit immer mehr, und entwickelt sich eher zu einem oberflächlichen Entertainer.

Nichtsdestotrotz konnte Regisseur Sena schon damals beweisen, dass er ein äußerst versierter Handwerker- und für tolle Bilder und einem solide aufspielenden Cast immer der richtige Mann ist. Und so macht der Film – trotz einer etwas unausgereiften Dramaturgie – stets eine gute Figur, und darf einerseits als Charakterdrama, als auch als Entertainer vollauf punkten; auch wenn dieses Konglomerat nicht immer zu 100% zündet.

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